Oblomow. Иван Гончаров

Oblomow - Иван Гончаров


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der Gesellschaft ausstoßen . . .

      – Sie aus der Mitte der Bürger ausstoßen! – begann plötzlich Oblomow voll Begeisterung, sich vor Pjenkin erhebend, – das heißt vergessen, daß in diesem schlechten Gefäß ein höherer Ursprung eingeschlossen war; daß er ein verderbter Mensch, aber doch immerhin ein Mensch, das heißt einer wie ihr, ist. Ausstoßen! Und wie wollt ihr ihn aus dem Kreise der Menschheit, aus dem Schoße der Natur, aus Gottes Barmherzigkeit ausstoßen? – schrie er fast mit flammenden Augen.

      – Sie übertreiben aber! – sagte Pjenkin, an den jetzt die Reihe zu erstaunen gekommen war.

      Oblomow sah, daß auch er zu weit gegangen war. Er verstummte plötzlich, blieb eine Weile stehen, gähnte und legte sich langsam auf das Sofa nieder.

      Sie schwiegen beide.

      – Was lesen Sie denn? – fragte Pjenkin.

      – Ich? . . meistens Reisebeschreibungen.

      Ein erneuertes Schweigen.

      – Werden Sie also das Poem lesen, wenn es erscheint? Ich würde es Ihnen bringen . . . – sagte Pjenkin.

      Oblomow schüttelte verneinend den Kopf.

      – Dann werde ich Ihnen meine Erzählung schicken!

      Oblomow nickte zum Zeichen der Zustimmung.

      – Jetzt muß ich aber in die Druckerei! – sagte Pjenkin – Wissen Sie, warum ich zu Ihnen gekommen bin? Ich wollte Ihnen den Vorschlag machen, mit mir nach Jekaterinhof zu fahren; ich habe einen Wagen. Ich muß morgen einen Artikel über den Corso schreiben; wir würden zusammen beobachten, wenn mir etwas entgienge, würden Sie es mir mittheilen; das wäre lustiger. Kommen Sie mit . . .

      – Nein, ich bin unwohl, – sagte Oblomow, das Gesicht verziehend und sich in die Decke einhüllend; – ich fürchte die Feuchtigkeit, es ist jetzt noch nicht trocken. Kommen Sie aber heute zum Mittagessen; wir würden miteinander einiges besprechen . . . Mir ist ein doppeltes Unglück passiert . . .

      – Nein, unsere ganze Redaction versammelt sich heute im Restaurant Saint-Georges, von dort aus fahren wir zum Corso. Und in der Nacht muß ich schreiben und beim Morgengrauen in die Druckerei schicken. Auf Wiedersehen!

      – Auf Wiedersehen, Pjenkin!

      »In der Nacht schreiben,« dachte Oblomow, »wann soll man denn schlafen? Er verdient aber sicher fünf Tausend jährlich! – Das ist ein Brot! Aber immer schreiben, seine Gedanken, seine Seele auf Kleinigkeiten ausgeben, die Überzeugungen ändern, mit dem Verstande und der Phantasie Handel treiben, seine Natur vergewaltigen, sich aufregen, immer glühen und entflammt sein, keine Ruhe kennen und sich immer weiter bewegen . . . Und immer schreiben, immer schreiben, wie ein Rad, wie eine Maschine: morgen, übermorgen; es kommen Feiertage, es kommt der Sommer, und er muß immer schreiben! Wann soll man da stehen bleiben und ausruhen? Der Unglückliche!«

      Er wandte den Kopf zum Tische hin, wo alles leer war, wo das ausgetrocknete Tintenfaß stand und keine Feder zu sehen war, und freute sich, daß er sorglos wie ein neugeborenes Kind dalag, sich nicht mit soviel Dingen zu befassen und sich nicht zu verkaufen brauchte . . »Und der Brief des Dorfschulzen und die Wohnung?« – erinnerte er sich plötzlich und wurde nachdenklich.

      Jetzt ertönte aber wieder ein Läuten.

      »Bei mir ist ja heute der reinste Jour!« sagte Oblomow und wartete, wer eintreten würde.

      Es kam ein Mann von unbestimmtem Alter mit einem indifferenten Gesicht herein; er befand sich in einer Periode, in der es schwer ist, die Zahl der Jahre zu bestimmen; er war nicht schön und nicht häßlich, nicht groß und nicht klein gewachsen, weder blond noch brünett. Die Natur hatte ihm keinen einzigen ausgeprägten, bemerkbaren Zug verliehen, weder einen bösen, noch einen guten. Viele nannten ihn Iwan Iwanitsch, andere – Iwan Wassiljitsch und noch andere Iwan Michailitsch. Sein Familiennamen wechselte auch beständig; manche sagten, er hieße Iwanow, andere nannten ihn Wassiljew oder Andrejew, noch andere Alexejew. Ein Fremder, der ihn zum erstenmale sah und dem man seinen Namen nannte, merkte sich weder diesen noch das Gesicht; er merkte sich auch nicht, was er sagte. Seine Anwesenheit bietet der Gesellschaft gar nichts, ebenso wie seine Anwesenheit ihr nichts raubt. Sein Geist besitzt weder Scharfsinn, noch Originalität, noch sonst welche hervorragende Eigenschaften, ebenso wie seinem Körper besondere Merkmale fehlen. Er würde vielleicht das, was er gesehen und gehört hat, erzählen können und die Anwesenden wenigstens auf diese Weise amüsieren, er kam aber nirgends hin; seit er in Petersburg geboren wurde, fuhr er nirgends hin, er sah und hörte folglich nur das, was auch den anderen bekannt war. Ist ein solcher Mensch sympathisch? Liebt er? Haßt er? Leidet er? Er müßte doch lieben und nicht lieben und leiden, weil ja niemand davon befreit wird. Er bringt es aber zuwege, alle zu lieben. Es gibt Menschen, in denen man, so sehr man sich auch abmüht, unmöglich Widerspruchsgeist oder Rachedurst etc. hervorrufen kann. Man mag mit ihnen thun, was man will, sie bleiben immer zärtlich. Trotzdem man von solchen Menschen sagt, daß sie alle lieben und infolge dessen gut sind, lieben sie doch im Grunde niemand und sind nur darum gut, weil sie nicht böse sind. Wenn andere in seiner Anwesenheit einem Bettler ein Almosen geben, wirft auch er ihm einen Nickel hin, wenn sie den Bettler aber beschimpfen, ihn fortjagen oder verhöhnen, wird auch er mit den anderen schimpfen und höhnen. Man kann ihn nicht reich nennen, weil er nicht reich, sondern eher arm ist; man kann ihn aber auch nicht ausgesprochen arm nennen, übrigens nur darum, weil es viel ärmere Menschen gibt, als er. Er bezieht von irgendwo ein Einkommen von dreihundert Rubel jährlich, außerdem hat er eine mittelmäßige Anstellung und bekommt einen mittelmäßigen Gehalt; er leidet nicht Noth und borgt bei niemand Geld, und es fällt niemand ein, bei ihm zu borgen. In seinem Amte wird ihm keine bestimmte, ständige Beschäftigung zugewiesen, weil weder seine Collegen, noch seine Chefs es auf irgendeine Weise herauszubringen vermögen, was er schlechter und was er besser ausführt, um beurtheilen zu können, wozu er eigentlich befähigt ist.

      Sein Erscheinen auf der Welt wurde wohl kaum von irgendjemand außer von seiner Mutter bemerkt, sehr wenige bemerken ihn während seines Lebens, es wird wohl aber niemand bemerken, wie er aus der Welt verschwinden wird; niemand wird fragen, sein Bedauern ausdrücken, aber auch niemand wird sich über seinen Tod freuen. Er hat weder Feinde noch Freunde, aber eine Menge Bekannte. Vielleicht wird sein Leichenzug die Aufmerksamkeit des Passanten auf sich lenken, der dieser unbestimmten Persönlichkeit durch eine tiefe Verbeugung die ihr zum erstenmale zutheil werdende Ehrenbezeugung erweisen wird; vielleicht wird sogar ein Neugieriger der Procession nachlaufen, um den Namen des Todten zu erfahren, den er sogleich wieder vergißt.

      Dieser ganze Alexejew, Wassiljew, Andrejew, oder wie Sie sonst wollen, daß er heißt, ist ein unvollständiger, unpersönlicher Abklatsch der Masse, ihr dumpfer Wiederhall und unklarer Widerschein. Sogar Sachar, der in offenherzigen Gesprächen in den Versammlungen beim Hausthor oder im Krämerladen, eine scharfe Charakteristik aller Gäste, die seinen Herrn besuchten, machte, wurde immer verlegen, wenn dieser . . . sagen wir Alexejew an die Reihe kam. Er dachte lange nach, suchte lange irgendeinen scharfen Zug, an dem man sich festhalten könnte, im Äußern, in den Manieren oder im Charakter dieses Menschen aufzufangen, zuckte endlich die Achseln und drückte sich so aus: »Und dieser ist weder Fisch, noch Fleisch, noch Gemüse!«

      – Ah! – empfieng ihn Oblomow, – das sind Sie, Alexejew? Guten Tag. Woher? Kommen Sie nicht in meine Nähe; ich gebe Ihnen nicht die Hand. Sie bringen Kälte herein!

      – Aber es ist ja gar nicht kalt! Ich hatte nicht die Absicht heute zu Ihnen zu kommen, – sagte Alexejew, ich bin aber Owtschinin begegnet, und er hat mich mitgenommen. Ich komme, um Sie abzuholen, Ilja Iljitsch.

      – Wohin denn?

      – Kommen Sie zu Owtschinin mit. Dort ist Matwjej Andreitsch Oljanow, Kasimir Albertitsch Pchailo und Wassili Sewastjanitsch Kolimjagin.

      – Wozu haben sie sich dort versammelt und wozu brauchen sie mich?

      – Owtschinin ladet Sie zum Mittagessen ein.

      – Hm! zum Mittagessen . . . – wiederholte Oblomow eintönig.

      – Und dann fahren alle nach Jekaterinhof; er hat Ihnen sagen lassen, Sie möchten einen Wagen nehmen.

      – Und


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