Oblomow. Иван Гончаров

Oblomow - Иван Гончаров


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Der Vater, der, wie es einst in Rußland üblich war, sich seine Bildung für ein paar Kupfermünzen angeeignet hatte, wollte seinen Sohn mit der Zeit mitgehen lassen und wünschte, ihm auch außer der schwierigen Kunst, fremde Angelegenheiten zu vertreten, etwas beizubringen. Er schickte ihn drei Jahre lang zum Popen, wo er Latein lernte.

      Der von Natur aus begabte Knabe hatte im Laufe der drei Jahre die lateinische Grammatik sammt Syntax bewältigt und begann gerade Cornelius Nepos zu lesen, als sein Vater beschloß, daß er schon genügend wußte, daß er auch durch diese seine Kenntnisse der alten Generation gegenüber einen ungeheuren Vorsprung gewonnen hatte und endlich, daß ihm seine weiteren Studien möglicherweise im Amtsdienst schaden konnten. Der sechzehnjährige Michej wußte nun nicht, was er mit seinem Latein beginnen sollte und vergaß es nach und nach in seinem Elternhause, nahm aber dafür, in Erwartung der großen Ehre, im Landes- und Kreisgericht anwesend sein zu dürfen, an allen Festgelagen seines Vaters theil, und in dieser Schule, inmitten der aufrichtigen Gespräche, verfeinerte und entwickelte sich der Geist des jungen Mannes. Er lauschte mit jugendlicher Empfänglichkeit den Erzählungen des Vaters und dessen Kameraden von verschiedenen strafrechtlichen und civilen Angelegenheiten, von all den interessanten Fällen, welche durch die Hände aller dieser altmodischen Gerichtsschreiber gegangen waren. Doch das alles führte zu nichts. Michej wurde zu keinem Sachkundigen und Fintenmacher, trotzdem alle Bemühungen des Vaters darauf gerichtet waren und auch gewiß durch Erfolg gekrönt worden wären, wenn das Schicksal seine Absichten nicht hintertrieben hätte. Michej hatte sich thatsächlich die ganze Theorie der väterlichen Belehrungen angeeignet, er brauchte sie nur anzuwenden, doch er kam infolge des Todes seines Vaters nicht dazu, eine Anstellung bei Gericht zu erlangen, und wurde von einem Wohlthäter, der ihm eine Schreiberstelle in irgendeinem Departement verschafft hatte und später an ihn vergaß, nach Petersburg mitgenommen. Auf diese Weise blieb Tarantjew sein Leben lang nur Theoretiker. Er konnte in dem Petersburger Amt mit seinem Latein und mit seiner raffinierten Theorie, gerechte und rechtlose Sachen willkürlich zum Ziele zu führen, nichts anfangen. Und dabei trug er die schlummernde Kraft bewußt mit sich herum, die durch feindliche Umstände ohne Hoffnung auf Befreiung in ihm eingeschlossen war. Vielleicht war Tarantjew infolge dieses Bewußtseins so grob, feindselig, immer zornig und streitsüchtig im Verkehr. Er verhielt sich seinen amtlichen Beschäftigungen, dem Abschreiben von Papieren, dem Zusammennähen von Acten etc. gegenüber voll Bitterkeit und Verachtung. Ihm lächelte in der Zukunft nur die eine letzte Hoffnung entgegen: bei der Accise angestellt zu werden; das war für ihn der einzige Weg, der für die ihm vom Vater vermachte, aber nicht erreichte Laufbahn einen lohnenden Tausch bot. Und in Erwartung all dessen äußerte sich die fertige, von seinem Vater erschaffene Theorie der Thätigkeit und Lebensführung, diese Theorie der Bestechlichkeit und der Kniffe, nachdem sie um ihre würdigste Anwendung in der Provinz gekommen war, in allen Details seiner nichtigen Existenz in Petersburg und schlich sich in Ermangelung von officieller Bethätigung in alle seine freundschaftlichen Beziehungen ein. Er war in seiner Seele und seinen Principien nach bestechlich und brachte es fertig, in Ermangelung von Geschäften und Bittstellern von seinen Kameraden und Collegen Bestechungsgelder einzufordern, Gott weiß warum und wofür; ließ sich, von wem und wo es nur gieng, bald durch List, bald durch Aufdringlichkeit frei halten, verlangte allen unverdiente Achtung ab und suchte Händel. Seine abgetragenen Kleider brachten ihn niemals in Verlegenheit, doch er wurde unruhig, wenn er in der Perspective des Tages kein opulentes Mittagmahl mit einer angemessenen Quantität von Wein und Schnaps vor sich sah. Infolge dessen spielte er im Kreise seiner Bekannten die Rolle eines großen Kettenhundes, der alle anbellte und niemand sich rühren ließ, dabei aber unfehlbar jedes Stück Fleisch im Fluge auffieng, woher und wohin es auch fliegen mochte.

      So waren die beiden eifrigsten Besucher Oblomows. Warum kamen diese beiden russischen Proletarier zu ihm? Das wußten sie sehr gut: um zu essen, zu trinken und gute Cigarren zu rauchen. Sie fanden warme, ruhige Räume und einen gleichmäßigen, wenn nicht freudigen, so doch gleichgiltigen Empfang. Aber warum Oblomow sie zu sich ließ, darüber gab er sich wohl kaum Rechenschaft. Wahrscheinlich aus demselben Grunde, aus welchem noch bis nun, in unseren entlegenen Oblomowkas (Die vom Familiennamen des Besitzers abgeleitete Benennung des Gutes.), in jedem wohlhabenden Hause sich ein Schwarm ähnlicher Persönlichkeiten beiderlei Geschlechtes drängt, ohne Brot, ohne Beschäftigung, ohne Hände, um etwas zu producieren, und nur mit einem Magen, um zu consumieren, aber fast immer mit einem Rang und einem Titel. Es gibt noch Sybariten, für welche solche Anhängsel in ihrem Leben ein Bedürfnis sind: sie langweilen sich, ohne auf der Welt etwas Überflüssiges zu haben. Wer wird eine irgendwohin verschwundene Tabatiére reichen, oder wer wird das auf den Fußboden herabgefallene Taschentuch aufheben? Wem kann man mit einem Anrecht auf Theilnahme über Kopfweh klagen, einen bösen Traum erzählen und dessen Deutung verlangen? Wer wird vor dem Schlaf vorlesen und einzuschlafen helfen? Und manchmal wird ein solcher Proletarier in die nächste Stadt zum Einkauf geschickt und hilft in der Wirtschaft mit – man wird sich doch mit diesen Dingen nicht selbst befassen!

      Tarantjew machte viel Lärm und rüttelte Oblomow aus seiner Unbeweglichkeit und Langeweile auf. Er schrie, stritt und führte selbst etwas von der Art einer Vorstellung auf, indem er den faulen Edelmann von der Nothwendigkeit zu sprechen und zu handeln befreite. Tarantjew brachte in das Zimmer, in welchem Schlaf und Ruhe herrschten, Leben, Bewegung und manchmal Kunde von außen, Oblomow konnte ohne einen Finger zu rühren etwas Lebendiges sehen und hören, das sich vor ihm bewegte und sprach. Außerdem war er noch einfältig genug zu glauben, Tarantjew wäre imstande, ihm thatsächlich etwas Brauchbares anzurathen. Alexejews Besuche wurden von Oblomow aus einem anderen, nicht minder wichtigen Grunde geduldet. Wenn er die Zeit nach seinem Geschmack verbringen, d.h. schweigend daliegen, schlummern oder im Zimmer auf und ab gehen wollte, schien Alexejew gar nicht anwesend zu sein; er schwieg gleichfalls, schlummerte oder blickte in ein Buch hinein und betrachtete mit einem faulen Gähnen, bis zu Thränen, die Bilder und Kleinigkeiten. Er konnte drei Tage ununterbrochen auf diese Weise verbringen. Wenn das Alleinsein Oblomow aber lästig wurde, wenn er das Bedürfnis zu sprechen, zu lesen, zu raisonnieren, irgendeine Erregung zu äußern, fühlte, hatte er stets einen gehorsamen und bereitwilligen Gesellschafter vor sich, der sein Schweigen und Sprechen, seine Aufregung und seine Denkweise, wie diese auch sein mochte, mit dem gleichen Diensteifer theilte. Die übrigen Gäste kamen selten, nur für einen Augenblick, wie die früheren drei; jedes lebenskräftige Band, das ihn mit ihnen allen verbunden hatte, lockerte sich immer mehr und mehr. Oblomow interessierte sich manchmal für irgendeine Neuigkeit, für ein Gespräch von fünf Minuten und schwieg dann befriedigt. Man mußte sich ihnen durch Aufmerksamkeit erkenntlich erweisen und an allem, was sie interessierte, theilnehmen. Sie ließen sich vom Menschenstrom forttragen; ein jeder von ihnen faßte das Leben auf seine Weise auf, so wie Oblomow es nicht auffassen wollte, sie drängten ihn aber auch hinein. Das alles mißfiel ihm, stieß ihn ab, war ihm unangenehm. Nur ein Mensch war nach seinem Geschmack; auch dieser störte ihn in seiner Ruhe; auch dieser liebte das Neue, die Welt, die Wissenschaft und das ganze Leben, doch er liebte das alles tiefer, wärmer, aufrichtiger – und Oblomow, der mit allen freundlich war, liebte nur ihn allein von Herzen und glaubte nur ihm allein, vielleicht deswegen, weil er mit ihm zusammen aufgewachsen war, mit ihm zusammen gelernt und gelebt hatte. Das war Andrej Iwanitsch Stolz. Er war abwesend, doch Oblomow erwartete ihn stündlich.

      IV

      – Guten Tag, Landsmann, – sagte Tarantjew kurz angebunden, seine zottige Hand Oblomow hinstreckend. – Warum liegst Du noch bis jetzt wie ein Holzklotz da?

      – Komm nicht heran, komm nicht heran: Du bringst Kälte mit – sagte Oblomow sich zudeckend.

      – Was Du Dir ausdenkst! Ich sollte Kälte mitbringen?! – schrie Tarantjew auf. – Nimm nur die Hand, wenn man sie Dir reicht! Es ist bald zwölf Uhr und er liegt noch herum!

      Er wollte Oblomow vom Bett aufheben, doch dieser kam ihm zuvor, indem er die Füße rasch herabgleiten ließ und sofort in beide Pantoffel zugleich schlüpfte.

      – Ich wollte selbst bald aufstehen, – sagte er gähnend.

      – Ich weiß schon, wie Du aufstehen wolltest; Du würdest bis zum Mittagessen liegen bleiben. He, Sachar! wo steckst Du, alter Dummkopf? Hilf dem Herrn beim Anziehen.

      – Schaffen Sie sich zuerst Ihren eigenen Sachar an, dann können Sie schimpfen! – sagte


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