Rudin. Иван Тургенев

Rudin - Иван Тургенев


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sagte sie in Gedanken russisch.

      – Ich werde es nicht unternehmen, fuhr Rudin nach einigem Schweigen fort, – die Bildung zu vertheidigen: – sie bedarf meiner Vertheidigung nicht. Sie mögen dieselbe nicht . . . Jeder hat feinen eigenen Geschmack. Es würde uns übrigens auch zu weit führen. Erlauben Sie mir nur, Sie an einen alten Spruch zu erinnern: »Jupiter, du wirst böse, folglich hast du Unrecht!« Ich wollte sagen, daß alle diese Ausfälle auf Systeme, allgemeine Theorien u.s.w. deshalb eben so zu bedauern sind, weil mit den Systemen zugleich die Menschen das Wissen überhaupt, die Wissenschaft und den Glauben an eine solche, verleugnen, folglich auch den Glauben an sich selbst, an die eigene Kraft. Die Menschen bedürfen aber dieses Glaubens: von Eindrücken allein können sie nicht leben, es wäre sündhaft, wenn sie vor dem Gedanken Scheu hätten und ihm nicht Vertrauen schenkten. Der Skeptizismus hat sich von jeher durch Unfruchtbarkeit und Ohnmacht ausgezeichnet . . .

      – Das sind alles Worte! murrte Pigassow.

      – Vielleicht. Erlauben Sie mir aber, Ihnen zu bemerken, daß mit diesem Ausrufe »Das sind nur Worte,« wir uns oft der Nothwendigkeit entheben, etwas Gescheidteres als nur Worte zu sagen.

      – Wie? fragte Pigassow und kniff die Augen zusammen.

      – Sie haben verstanden, was ich Ihnen sagen wollte, erwiederte Rudin, mit unwillkührlicher, doch sofort unterdrückter Ungeduld. – Ich wiederhole es, wenn der Mensch keinen festen Grund hat, an den er glaubt, keinen Boden, aus dem er sicher fußt, wie kann er sich dann Rechenschaft geben von den Bedürfnissen, der Bedeutung, der Zukunft seines Volkes? wie kann er wissen, was er selbst? zu thun hat, wenn . . .

      – Ehre dem Ehre gebührt! stotterte Pigassow hervor, verbeugte sich und trat auf die Seite, ohne Jemand anzublicken.

      Rudin sah ihn an, lächelte leicht und verstummte.

      – Aha! er hat die Flucht ergriffen! begann Darin Michailowna. – Seien Sie unbesorgt, Dimitri . . .

      Um Vergebung, fügte sie mit freundlichem Lächeln hinzu: – wie hieß Ihr Herr Vater?

      – Nikolai!

      – Machen Sie sich keine Sorge, werther Dimitri Nikolaitsch! Er hat Niemand hier angeführt. Er machte die Miene als wollte er nicht mehr disputiren . . . Er fühlt, daß er es mit Ihnen nicht kann. Sehen Sie sich aber näher zu uns, und lassen Sie uns plaudern.

      Rudin rückte seinen Sessel näher.

      –– Wie kommt es, daß wir nicht früher bekannt geworden sind? fuhr Tarja Michailowna fort. Das ist mir ein Räthsel . . . Haben Sie dies Buch gelesen? C’est de Tocquoville, vous savez?

      Und Darja Michailowna schob Rudin eine französische Broschüre hin.

      Rudin nahm das dünne Büchlein in die Hand, blätterte ein wenig darin und erklärte, nachdem er es wieder auf den Tisch zurückgelegt hatte, er habe diese Schrift des Herrn Tocquoville zwar nicht gelesen, doch häufig über die von ihm berührte Frage nachgedacht. Das Gespräch war angeknüpft Rudin zeigte sich anfangs etwas befangen, er zögerte, mit seiner Meinung hervorzutreten, fand nicht immer sogleich die Ausdrücke, wurde jedoch allmählich warm und beredt. Eine Viertelstunde später vernahm man nur seine Stimme im Zimmer. Alle hatten einen Kreis um ihn geschlossen.

      Pigassow allein blieb entfernt, in einer Ecke neben dem Kamin Rudin sprach klug, mit Geist und Feuer, und zeigte viele Kenntnisse und große Belesenheit. Niemand hatte erwartet, in ihm einen bedeutenden Menschen zu treffen . . . Er war so alltäglich gekleidet, man hatte bisher so wenig von ihm gehört. Allen blieb es unbegreiflich und auffallend, wie ein so geistreicher Mann so unverhofft auf dem Lande hatte auftauchen können. Um so mehr erregte er bei Allen Bewunderung, man könnte sagen, er bezauberte Jeden, vor Allen Darja Michailowna . . . Sie war stolz auf ihren Fang, und dachte schon zum Voraus daran, wie sie Rudin in die Welt führen wolle. Trotz ihres Alters mischte sich bei ihr in die ersten Eindrücke viel jugendliches, ja beinahe kindisches Feuer. Alexandra Pawlowna hatte, offen gestanden, wenig von Allem begriffen, was Rudin gesprochen, war aber dennoch sehr erstaunt und erfreut; ihr Bruder war es nicht weniger; Pandalewski beobachtete Darja Michailowna und wurde neidisch; Pigassow dachte: »wollte ich fünfhundert Rubel wegwerfen – ich könnte mir eine bessere Nachtigall verschaffen « . . .

      Mehr als alle Uebrigen waren jedoch Bassistow und Natalia erstaunt. Bassistow war der Athem fast ausgegangen; er war die ganze Zeit über mit offenem Munde und weit geöffneten Augen sitzen geblieben und hatte mit einer Spannung zugehört, wie bisher noch niemals; Natalia’s Gesicht war roth geworden und ihr Blick, den sie unverwandt auf Rudin geheftet gehalten hatte, wurde dunkler und glänzender zugleich . . .

      – Was für prachtvolle Augen er hat, flüsterte ihr Wolinzow zu.

      – Ja, sie sind schön.

      – Schade nur, daß seine Hände so groß und roth sind.

      Natalia antwortete nichts.

      Man brachte den Thee. Die Unterhaltung wurde allgemeiner, doch ließ sich an dem plötzlichen Verstummen Aller, sobald Rudin den Mund aufthat, gleich merken, wie überwältigend der Eindruck war, den er hervorgebracht hatte. Es kam Darja Michailowna in den Sinn, Pigassow ein wenig aufzuziehen. Sie trat zu ihm und fragte ihn halblaut: »Warum schweigen Sie denn und zeigen uns nur ein höhnisches Lächeln? Versuchen Sie es doch, mit ihm wieder anzubinden,« und ohne feine Antwort abzuwarten, winkte sie Rudin zu sich.

      – Sie kennen noch eine seiner Seiten nicht, sagte sie zu ihm, auf Pigassow deutend: – ein erschrecklicher Weiberfeind, fortwährend greift er sie an; ich bitte, bekehren Sie ihn doch.

      Rudin blickte Pigassow unwillkührlich . . . von Oben herab an: er war um zwei Kopflängen höher als er. Dieser krümmte sich fast vor Aerger, sein gelbes Gesicht wurde noch gelber.

      – Darja Michailowna hat nicht ganz Recht, begann er mit unsicherer Stimme: – ich greife nicht ausschließlich die Weiber au; das ganze Menschengeschlecht behagt mir nicht sehr.

      – Was konnte Ihnen denn eine so schlechte Meinung von demselben einflößen? fragte Rudin.

      Pigassow schaute ihm gerade in’s Gesicht.

      – Vermuthlich meine Studien des eigenen Herzens, in welchem ich mit jedem Tage mehr und mehr Schlacken entdecke. Ich urtheile über Andere nach mir selbst. Das mag vielleicht ungerecht sein, und ich tauge viel weniger als Andere; was wollen Sie aber? Gewohnheit!

      – Ich verstehe Sie und sympathisire mit Ihnen, erwiederte Rudin. Welche edle Seele hätte nicht Anwandlungen von Selbstunterschätzung gehabt! Man sollte aber doch aus dieser schlimmen Lage herauszukommen trachten.

      – Danke recht sehr für die Adelsbescheinigung, die Sie meiner Seele ausstellen, erwiederte Pigassow: – mit meiner Lage hält sich’s noch – sie ist so übel nicht, und wenn es auch einen Ausgang aus ihr giebt, er mag bleiben, suchen will ich ihn nicht.

      – Das hieße aber, verzeihen Sie den Ausdruck – die Befriedigung seiner Eigenliebe, dem Verlangen, in der Wahrheit zu verbleiben, vorziehen . . .

      – Und was denn Anderes! rief Pigassow: – die Eigenliebe – das Ding verstehe ich, verstehen Sie, versteht ein Jeder; aber Wahrheit – was ist Wahrheit? Wo ist sie, diese Wahrheit?

      – Sie verfallen in Wiederholungen, ich muß Ihnen diese Bemerkung machen, warf Darja Michailowna ein.

      Pigassow zuckte die Achseln.

      – Und was liegt daran? Ich frage: wo ist Wahrheit? Die Philosophen selbst wissen nicht, was sie ist. So sagt Kant: Das ist sie; Hegel aber – nein bewahre! Dies ist sie.

      – Und wissen Sie, was Hegel darüber sagt? fragte Rudin. ohne die Stimme zu erheben.

      – Ich wiederhole, eiferte Pigassow: – ich kann nicht begreifen, was Wahrheit ist. Meiner Ansicht nach giebt es eine solche nicht auf der Welt, das heißt, das Wort ist da, die Sache selbst aber existirt nicht.

      – Ei! Ei! rief Darja Michailowna: – schämen Sie sich doch so zu sprechen, Sie alter Sünder! Es gäbe keine Wahrheit? Wozu nützte es denn auf der Welt zu leben?

      – Und wissen


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