Der Wohlstand der Nationen. Adam Smith
muss groß genug sein, um diesen hohen Zinsfuß möglich zu machen.
Ein Fehler im Gesetze kann bisweilen den Zinsfuß weit über das Maß erhöhen, das der Zustand des Landes, sein Reichtum oder seine Armut erfordert. Wenn das Gesetz die Erfüllung von Verträgen nicht erzwingt, so setzt es alle Borger so ziemlich auf denselben Fuß mit Bankerottierern oder Leuten von zweifelhaftem Kredit in besser verwalteten Ländern. Die Ungewissheit, sein Geld wieder zu bekommen, veranlasst den Darleiher, denselben Wucherzins zu fordern, der von Bankerottierern genommen zu werden pflegt. Unter den Barbaren, die die westlichen Provinzen des römischen Reichs überschwemmten, war die Erfüllung der Verträge lange Zeit hindurch der Ehrlichkeit der kontrahierenden Teile überlassen. Die Gerichte ihrer Könige mischten sich nur selten ein. Diesem Umstande mag wohl zum Teil der hohe Zinsfuß beizumessen sein, der in jenen alten Zeiten gewöhnlich war.
Verbietet das Gesetz den Zins völlig, so beseitigt es ihn damit nicht. Viele Menschen müssen borgen, und niemand wird etwas verleihen, ohne eine Vergütung für die Nutzung seines Geldes, wie sie nicht nur dem Dienste, den es leisten kann, sondern auch der Schwierigkeit und Gefahr, welche die Gesetzesumgehung verursacht, entspricht. Den hohen Zinsfuß bei allen muhamedanischen Völkern schreibt Montesquieu nicht ihrer Armut, sondern teils jener Gefahr, und teils der Schwierigkeit zu, Geld wieder zu bekommen.
Der niedrigste übliche Gewinnsatz muss immer etwas größer sein als zur Ausgleichung der zufälligen Verluste, denen jede Kapitalanlage ausgesetzt ist, erfordert wird. Nur dieser Überschuss ist reiner oder Nettogewinn. Was Bruttogewinn genannt wird, schließt oft nicht nur diesen Überschuss, sondern auch die zur Ausgleichung solcher außergewöhnlichen Verluste zurückgelegte Summe in sich ein. Der Zins, den der Borger zahlen kann, richtet sich nur nach dem reinen Gewinn.
Der niedrigste übliche Zinsfuß muss in gleicher Weise etwas höher sein als zur Ausgleichung der zufälligen Verluste, denen das Darleihen selbst bei gehöriger Vorsicht ausgesetzt ist, erfordert wird. Wäre er nicht höher, so könnte mir Mildtätigkeit oder Freundschaft zum Darleihen bewegen.
In einem Lande, das sein volles Maß des Reichtums erworben hätte, und in dem in jedem Geschäftszweige die größte Kapitalmenge steckte, die darin angelegt werden könnte, würde sowohl der gewöhnliche Satz des reinen Gewinnes als auch der marktgängige Zinsfuß, der von jenem Gewinn bestritten werden muss, so niedrig stehen, dass es nur den reichsten Leuten möglich wäre, von den Zinsen ihres Geldes zu leben. Wer nur ein kleines oder mittelmäßiges Vermögen besäße, sähe sich genötigt, die Beschäftigung seiner Kapitalien selbst zu übernehmen; fast jeder müsste ein Geschäftsmann sein, oder irgendein Gewerbe treiben. Holland scheint sich diesem Zustand zu nähern. Es ist dort gegen den guten Ton, nicht ein Geschäftsmann zu sein. Die Notwendigkeit macht es fast jedem zur Gewohnheit, und die Gewohnheit bestimmt überall den guten Ton. Wie es lächerlich ist, sich nicht wie die anderen Leute zu kleiden, so ist es gewissermaßen lächerlich, nicht wie sie beschäftigt zu sein. Wie ein Mann, der ein bürgerliches Gewerbe treibt, in einem Lager oder einer Garnison eine schlechte Figur macht, und sogar Gefahr läuft, verlacht zu werden, so geschieht es einem Müßiggänger unter geschäftstätigen Leuten.
Der höchste übliche Gewinnsatz kann ein solcher sein, dass er in dem Preise der meisten Waren alles verschlingt, was der Grundrente zufallen sollte, und nur so viel übrig lässt als zur Bezahlung der Arbeit, durch welche die Waren hergerichtet und auf den Markt gebracht werden, erforderlich ist, und zwar zu so geringer Bezahlung, wie irgend möglich, nämlich wobei nur die nackte Existenz des Arbeiters bestritten wird. Der Arbeiter muss stets auf die eine oder andere Art so lange ernährt werden, wie er bei der Arbeit ist; aber der Grundbesitzer braucht nicht immer seine Rente zu erhalten. Die Gewinne der Geschäfte, welche die Bediensteten der ostindischen Kompagnie in Bengalen treiben, dürften nicht weit von diesem Satze entfernt sein.
Das Verhältnis, in welchem der marktgängige Zinsfuß zu dem gewöhnlichen Satz des Reingewinns stehen muss, ändert sich notwendig je nach dem Steigen oder Fallen des Gewinns. Doppelte Zinsen werden von den Kaufleuten in Großbritannien als ein guter, mäßiger, billiger Gewinn angesehen, – Ausdrücke, mit denen man nur einen gewöhnlichen und üblichen Gewinn meint. In einem Lande, wo der gewöhnliche Satz des Reingewinns acht bis zehn Prozent beträgt, mag es billig sein, dass bei Geschäften, die mit erborgtem Gelde getrieben werden, die Hälfte des Reingewinns als Zins abgeht. Das Risiko der Kapitalseinlage trägt der Borger, der es dem Darleiher sozusagen versichert; und vier oder fünf Prozent können in den meisten Geschäften ein hinlänglicher Gewinn für die Gefahr dieser Versicherung, sowie eine ausreichende Entschädigung für die Mühe der Beschäftigung des Kapitals sein. Indessen kann das Verhältnis zwischen den Zinsen und dem Reingewinn in Ländern, wo der gewöhnliche Gewinnsatz entweder viel niedriger oder viel höher ist, nicht das Nämliche sein. Ist er viel niedriger, so kann für den Zins vielleicht nicht die Hälfte des Reingewinns bewilligt werden; ist er viel höher, so kann weit mehr gegeben werden.
In Ländern, die schnell zu Reichtum gelangen, kann der niedrige Gewinnsatz dem hohen Arbeitslohn in dem Preise vieler Waren das Gegengewicht halten, und diese Länder instand setzen, ebenso wohlfeil zu verkaufen als ihre weniger aufblühenden Nachbarn, bei denen der Arbeitslohn niedriger ist.
In der Tat tragen hohe Gewinne viel mehr zur Erhöhung des Warenpreises bei als hoher Arbeitslohn.
Wenn z. B. in der Leinenmanufaktur der Lohn der verschiedenen Arbeiter, der Flachszurichter, der Spinner, der Weber usw. um 2 Pence täglich erhöht wird, so braucht der Preis eines Stückes Leinwand nur so vielmal um zwei Pence erhöht zu werden als die Zahl der damit beschäftigten Leute, multipliziert mit der Zahl der dabei zugebrachten Tage beträgt. Derjenige Teil des Warenpreises, welcher sich in Arbeitslohn auflöst, würde durch alle Stufen der Bearbeitung nur nach arithmetischem Verhältnis zu jener Lohnerhöhung steigen. Wenn dagegen die Gewinne aller Arbeitgeber um fünf Prozent steigen sollten, würde derjenige Teil des Warenpreises, der sich in Gewinn auflöst, durch alle Stufen der Bearbeitung im geometrischen Verhältnis zu jener Gewinnerhöhung steigen. Der Arbeitgeber der Flachszurichter würde beim Verkauf seines Flachses einen weiteren Gewinn von fünf Prozent auf den ganzen Wert des Materials und des den Arbeitern vorgeschossenen Lohns fordern. Der Arbeitgeber der Spinner würde sowohl auf den vorgeschossenen Preis des Flachses, wie auf den Lohn der Spinner weitere fünf Prozent, und der Arbeitgeber der Weber auf den vorgeschossenen Preis des Leinengarns und den Lohn der Weber ebenfalls fünf Prozent haben wollen. Das Steigen des Arbeitslohns wirkt auf die Erhöhung des Warenpreises ebenso, wie einfache Zinsen auf die Anhäufung einer Schuld; das Steigen des Gewinnes aber wirkt wie Zinseszins. Unsere Kaufleute und Fabrikherren klagen viel über die schlimmen Wirkungen der hohen Löhne auf die Erhöhung der Preise und die daraus folgende Verminderung des Absatzes im In- und Auslande. Sie sagen aber nichts von den schlimmen Wirkungen hohen Kapitalgewinns. Von den verderblichen Folgen der Vorteile, die ihnen zufließen, schweigen sie und klagen nur über die, die anderen zufallen.
Zehntes Kapitel
Lohn und Gewinn in den verschiedenen Verwendungen der Arbeit und des Kapitals
Im Ganzen müssen die Vorteile oder Nachteile bei den verschiedenen Verwendungen der Arbeit und des Kapitals in der nämlichen Gegend entweder ganz gleich sein, oder doch beständig nach Ausgleichung streben. Wäre in der nämlichen Gegend irgendeine Verwendung offenbar mit mehr oder weniger Vorteil verknüpft als die übrigen Verwendungen, so würden in dem einen Falle sich so viele Leute dazu drängen, und in dem andern so viele sie aufgeben, dass ihre Vorteile bald auf das Niveau der übrigen kämen. Dies würde wenigstens in einer Gesellschaft der Fall sein, wo man den Dingen ihren natürlichen Lauf ließe, wo vollkommene Freiheit waltete, und wo es jedermann frei stände, sowohl seine Beschäftigung nach Belieben zu wählen, wie sie so oft zu wechseln als es ihm gut dünkt. Jeden würde sein Interesse bestimmen, vorteilhafte Geschäfte zu suchen und unvorteilhafte zu meiden.
Geldlohn und Geldgewinn sind freilich in Europa überall je nach den verschiedenen Verwendungen von Arbeit und Kapital äußerst verschieden. Allein diese Verschiedenheit rührt teils von gewissen Umständen in den Verwendungen selbst her, die entweder wirklich oder wenigstens in der Einbildung der Einzelnen bei den einen den geringen Geldgewinn ersetzen,