Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3. Александр Дюма
auf dem Titel steht. Verbreiten Sie die Grundsätze desselben: es sind die der allgemeinen Gleichheit. Lassen Sie das Buch an den langen Winterabenden vorlesen. Das Lesen ist die Nahrung des Geistes, wie das Brot die Nahrung des Körpers ist.
»An einem dieser Tage werde ich Sie besuchen und Ihnen eine neue Art der Pachtung vorschlagen, die in Amerika sehr üblich ist. Sie besteht darin, daß die Ernte zwischen dem Pächter und dem Grundeigentümer geteilt wird, was mir mehr nach den Gesetzen der Urgesellschaft und besonders nach dem Herzen Gottes zu sein scheint.
Gruß und Brüderschaft.
»Ho! ho!« rief Pitou, »das ist ein Brief, der mir gut abgefaßt zu sein scheint.«
»Nicht wahr?« sagte Billot.
»Ja, mein lieber Vater,« sprach Katharine, »doch ich bezweifle, ob der Gendarmerieleutnant Ihrer Ansicht ist.«
»Und warum dies?«
»Weil meines Dafürhaltens dieser Brief nicht nur den Doktor Gilbert, sondern auch Sie gefährden kann.«
»Bah!« sagte Billot, »du hast immer Angst; nichtsdestoweniger ist hier die Broschüre, und dein Geschäft, Pitou, ist völlig gefunden. Am Abend wirst du lesen.«
»Und am Tage?«
»Am Tage wirst du die Schafe und die Kühe hüten. Hier ist indessen deine Broschüre,« sagte der Pächter.
Und er zog aus seinen Holftern eine von jenen kleinen Broschüren mit roter Decke, wie man sie in großer Anzahl in jener Zeit mit und ohne Erlaubnis der Behörden veröffentlichte.
Nur wagte in letzterem Fall der Verfasser die Galeere.
»Lies mir den Titel hievon, Pitou, damit ich einstweilen vom Titel sprechen kann, bis ich vom Werte spreche. Du wirst mir das übrige später lesen.«
Pitou las auf der ersten Seite die Worte, die der Gebrauch seitdem sehr unbestimmt und sehr unbedeutend gemacht hat, die aber in jener Zeit einen tiefen Widerhall in allen Herzen fanden:
Von der Unabhängigkeit des Menschen und von der Freiheit der Nation.
»Was sagst du dazu, Pitou?« fragte der Pächter.
»Mir scheint, Herr Billot, die Unabhängigkeit und die Freiheit, das ist dasselbe; mein Gönner wäre von Herrn Fortier wegen dieses Pleonasmus aus der Schule gejagt worden.«
»Pleonasmus oder nicht, dieses Buch ist das eines Mannes,« erwiderte der Pächter.
»Gleichviel, mein Vater,« sagte Katharine mit jenem wunderbaren Instinkt der Frauen, »ich bitte Sie inständig, verbergen Sie es. Ich weiß, daß ich zittere, wenn ich es nur sehe.«
»Und warum soll es mir schaden, wenn es seinem Verfasser nicht geschadet hat?«
»Was wissen Sie davon, mein Vater; dieser Brief ist vor acht Tagen geschrieben worden, und das Päckchen konnte nicht acht Tage brauchen, um von Havre hierherzukommen. Ich habe heute morgen auch einen Brief erhalten.«
»Von wem?«
»Von Sebastian Gilbert, der uns seinerseits schreibt; er beauftragt mich sogar, viele Dinge seinem Milchbruder Pitou zu sagen; ich hatte den Auftrag vergessen.«
»Nun?«
»Nun, er schreibt, seit drei Tagen erwarte man in Paris seinen Vater, der ankommen sollte und nicht ankommt.«
»Die Mademoiselle hat recht,« sagte Pitou, »mir scheint, dieser Verzug ist beunruhigend.«
»Schweige, Furchtsamer, und lies die Abhandlung, des Doktors,« rief der Pächter; »dann wirst du nicht nur ein Gelehrter, sondern auch ein Mensch werden.«
Man sprach so in jener Zeit, denn man war bei der Vorrede von jener großen griechischen und römischen Geschichte, welche die französische Nation, zehn Jahre hindurch in allen ihren Phasen: Aufopferungen, Ächtungen, Siegen und Sklaverei, kopierte.
Pitou schob das Buch mit einer so feierlichen Geberde unter den Arm, daß er vollends das Herz des Pächters gewann.
»Sage nun, hast du zu Mittag gegessen?« fragte Billot,
»Nein, Herr,« antwortete Pitou, die halb religiöse, halb heroische Stellung behauptend, die er, seitdem er das Buch empfangen, angenommen hatte.
»Er wollte eben essen, als er fortgejagt wurde,« sagte das Mädchen.
»Nun denn!« sprach der Pächter, »verlange von der Mutter Billot die Kost des Pachthofes, und morgen wirst du deine Funktionen antreten.«
Pitou dankte mit einem beredten Blick Herrn Billot und trat, geführt von Katharine, in die Küche ein, welcher Teil des Hauses unter der unumschränkten Herrschaft von Frau Billot stand.
VI.
Hirtengedichte
Frau Billot war eine dicke Mama von fünfunddreißig bis sechsunddreißig Jahren, kugelrund, frisch, fleischig, herzlich; sie trabte ohne Unterschied vom Taubenhaus zum Hühnerhaus, vom Schafstall zum Kuhstall, inspizierte ihre Öfen, ihre Kessel und ihren Braten, beurteilte mit einem einzigen Blick, ob alles an seinem Platze stand, und nach dem Geruch allein, ob Thymian und Lorbeer in den Kasserollen in genügender Quantität verteilt waren; brummte aus Gewohnheit, aber ohne die entfernte Absicht, daß ihnen ihre Brummerei unangenehm sein sollte, gegen ihren Mann, den sie ehrte, wie den höchsten Potentaten, ihre Tochter und gegen ihre Taglöhner, die sie speiste, wie keine Pächterin auf zehn Meilen in der Runde die ihrigen speiste. Es fand sehr große Konkurrenz statt, um bei Herrn Billot unterzukommen. Aber auch hier waren leider, wie im Himmel, im Vergleich zu denen, die erschienen, viele Berufene und wenig Auserwählte.
Wir haben gesehen, daß Pitou, ohne berufen zu sein, auserwählt worden war. Das war ein Glück, das er zu seinem wahren Wert schätzte, besonders als er das goldgelbe Brot sah, das man zu seiner Linken legte, den Äpfelmostkrug, den man zu seiner Rechten stellte, und das Stück gesalzene Fleisch, das man ihm vorsetzte. Seit der Zeit, wo er seine arme Mutter verloren, und das war fünf Jahre her, hatte Pitou selbst an Festtagen keine solche Kost genossen.
Voll Dankbarkeit fühlte auch Pitou in demselben Maße, in dem er das Brot verschluckte und das gesalzene Fleisch mit einem reichlichen Aufguß von Äpfelmost befeuchtete, seine Bewunderung für den Pächter, seine Achtung für dessen Frau und seine Liebe für ihre Tochter zunehmen. Ein einziger Umstand quälte ihn: das war die demütigende Funktion, der zufolge er am Tage die Schafe und die Kühe hüten sollte, eine Funktion, die so wenig im Einklang mit der stand, welche ihm für den Abend vorbehalten war und die Belehrung der Menschheit über die erhabensten Grundsätze der Gesellschaft und der Philosophie zum Zwecke hatte. Pitou träumte davon nach seinem Mittagessen, doch selbst in dieser Träumerei machte sich der Einfluß des vortrefflichen Mahles fühlbar. Pitou sing an, die Dinge unter einem ganz andern Gesichtspunkte zu betrachten, als er dies nüchtern gethan hatte. Die Funktionen eines Schäfers und Kuhhirten, die er als so sehr unter seiner Person ansah, waren von Göttern und Halbgöttern verrichtet worden.
In einer der seinigen ungefähr ähnlichen Lage, nämlich von Jupiter aus dem Olymp weggejagt, wie er, Pitou, durch seine Tante Angélique vom Pleux weggejagt worden, hat sich Apollo zum Hirten gemacht und die Herden von Admetos gehütet; allerdings war Admetos ein König-Hirte, Apollo war aber auch ein Gott.
Herkules war etwas wie Kuhhirte gewesen, da er, wie die Mythologie sagt, die Kühe von Geryon am Schweif gezogen; und ob man die Kühe am Schweif oder am Kopf führt, das ist ein Unterschied in den Gewohnheiten von demjenigen, welcher sie führt, und nichts anderes; im ganzen bleibt er immer ein Kuhführer oder Kuhhirte.
Mehr noch, jener von Virgil erwähnte Titerus, der am Fuße einer Buche liegt und sich in so schönen Versen zu der Ruhe, die ihm Augustus bereitet hat. Glück wünscht, war auch ein Schäfer. Ferner war ein Schäfer jener Mecibeus, der sich so poetisch darüber beklagt, daß er seinen Herd verlassen soll.
Sicherlich sprachen alle diese Leute gut genug Lateinisch, um Abbés zu werden, und dennoch wollten sie lieber ihre Ziegen den bittern Geißklee abweiden sehen, als Messe lesen oder Vesper singen.