Der Graf von Bragelonne. Александр Дюма

Der Graf von Bragelonne - Александр Дюма


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      Der Graf von Bragelonne oder Zehn Jahre nachher

      Erstes und zweites Bändchen

       I.

      Der Brief

      Gegen die Mitte des Monats Mai im Jahr 1660, um neun Uhr Morgens, als die schon warme Sonne den Thau auf den Violen des alten Schlosses von Blois trocknete, kehrte eine kleine Cavalcade, bestehend aus drei Männern und zwei Pagen, über die Brücke der Stadt zurück, ohne eine andere Wirkung auf die Spaziergänger am Quai hervorzubringen, als eine erste Bewegung mit der Hand an den Kopf, um zu grüßen, und eine zweite Bewegung der Zunge, um im reinsten Französisch, das in Frankreich gesprochen wird, den Gedanken auszudrücken:

      »Monsieur kehrt von der Jagd zurück.«

      Während aber die Pferde den steilen Abhang hinaufkletterten, der vom Fluß nach dem Schlosse führte, näherten sich mehrere Ladenbursche dem letzten Pferd, das, am Sattelbogen hängend, verschiedene am Schnabel angebundene Vögel trug.

      Bei diesem Anblick gaben die Neugierigen mit einer ganz ländlichen Offenherzigkeit ihre Verachtung gegen einen so magern Fang kund und kehrten dann, nachdem sie sich über die Nachtheile der Beize besprochen hatten, zu ihren Geschäften zurück. Nur einer von den Neugierigen, ein dicker, bausbackiger Bursche von heiterer Laune, fragte, warum sich Monsieur, der sich bei seinen großen Einkünften so gut belustigen könne, mit einer so kläglichen Unterhaltung begnüge.

      »Weißt Du nicht,« antwortete man ihm, »das, es die Hauptbelustigung des Prinzen ist, sich zu langweilen?«

      Der lustige Bursche zuckte die Achseln mit einer Geberde, welche klar wie der Tag bedeutete: »Dann will ich lieber der dicke Jean als der Prinz sein.« Und Jeder ging wieder an seine Arbeit.

      Monsieur ritt indessen seines Wegs mit einer so schwermüthigen und zugleich so majestätischen Miene, daß er sicherlich die Bewunderung der Zuschauer erregt haben würde, wenn er Zuschauer gehabt hätte; doch die Bürger von Blois verziehen Monsieur nicht, daß er diese so heitere Stadt gewählt hatte, um sich nach Belieben zu langweilen, und so oft sie den erhabenen Gelangweilten erblickten, machten sie sich gähnend davon, oder kehrten den Kopf in das Innere ihrer Zimmer, als wollten sie sich dem einschläfernden Einfluß dieses langen, bleichen Gesichtes, dieser schwimmenden Augen und dieser lahmen Haltung entziehen, so daß der würdige Prinz beinahe sicher war, die Straßen öde und verlassen zu finden, so oft er sich darein wagte.

      Dies war nun von Seiten, der Einwohner von Blois eine sehr strafbare Unehrerbietigkeit, denn Monsieur war nach dem König, und selbst vielleicht vor dem König, der vornehmste Herr des Reiches. Gott, der dem damals regierenden Ludwig XIV. das Glück gewährt hatte, der Sohn von Ludwig XIII. zu sein, hatte Monsieur die Ehre gewährt, der Sohn von Heinrich IV. zu sein. Es hätte also kein geringer Gegenstand des Stolzes für die Stadt Blois sein sollen, dieser Vorzug, den Gaston von Orleans, der seinen Hof im alten Schlosse der Stände hielt, der Stadt Blois gönnte.

      Doch es lag in dem Geschick dieses großen Fürsten, daß er überall, wo er sich zeigte, in einem nur geringen Grade die Aufmerksamkeit und die Bewunderung des Publikums erregte. Monsieur hatte sich mit der Gewohnheit vertraut gemacht und sich darein ergeben.

      Dies war es vielleicht, was ihm die Miene ruhiger Langweile gab. Monsieur war in seinem Leben sehr beschäftigt gewesen. Man läßt nicht einem Dutzend seiner besten Freunde die Köpfe abschlagen, ohne daß dies ein wenig Lärm verursacht. Da man aber nun, seit Mazarin an das Ruder gekommen, Niemand mehr den Kopf abgeschlagen, so hatte Monsieur keine Beschäftigung mehr, und dies machte sich an seinem ganzen Wesen fühlbar.

      Das Leben des armen Prinzen war ein trauriges. Nach seiner kleinen Jagd am Ufer des Beuvron oder in den Wäldern von Chiverny, setzte Monsieur über die Loire und frühstückte in Chambord, mit oder ohne Appetit, und die Stadt Blois hörte bis zu der nächsten Jagd nicht mehr von ihrem allerhöchsten Herrn sprechen.

      So viel von der Langweile extra muros: was die Langweile im Innern betrifft, so werden wir dem Leser einen Begriff davon geben, wenn er mit uns der Cavalcade folgen und bis zu der majestätischen Halle des Schlosses der Stände hinaufsteigen will.

      Monsieur ritt auf einem kleinen Pferde von sanftem Gang, das mit einem breiten Sattel von rothem flandrischem Sammet und mit Steigbügeln in Form von Pantoffeln versehen war; dieses Pferd war salb seiner Farbe nach; das Wamms von Monsieur vermengte sich, von carmoisinrothem Sammet gemacht, unter dem gleichfarbigen Mantel, mit der Equipirung des Pferdes, und nur an dieser röthlichen Gesammtheit konnte man den Prinzen unter seinen Gefährten erkennen, von denen der eine links, violett gekleidet, der Stallmeister, und der andere rechts, grün gekleidet, der Oberjägermeister waren.

      Einer von den Pagen trug zwei Edelfalken auf einer Aufsitzstange, der andere ein Jagdhorn, in das er, zwanzig Schritte vom Schloß, nachlässig blies. Alles, was diesen nachlässigen Prinzen umgab, that, was es zu thun hatte, mit Nachlässigkeit.

      Auf dieses Signal liefen acht Wachen, welche in dem viereckigen Hof in der Sonne spazieren gingen, herbei, nahmen ihre Hellebarden, und Monsieur hielt seinen feierlichen Einzug im Schloß.

      Als er unter der tiefen Vorhalle verschwunden war, zerstreuten sich ein paar Taugenichtse, welche hinter der Cavalcade vom Mail zum Schloß hinaufgestiegen waren und dabei fortwährend einander die hängenden Vögel gezeigt hatten, indem sie ihre Commentare über das machten, was sie gesehen; sobald sich diese Taugenichtse entfernt hatten, blieben die Straße, der Platz und der Hof wieder öde.

      Monsieur stieg vom Pferde, ohne ein Wort zu sagen, ging in sein Zimmer, wo sein Kammerdiener ihm seine Kleider wechselte, streckte sich, da Madame noch nicht nach seinen Befehlen für das Frühstück hatte fragen lassen, auf einer Ottomanne aus, und entschlief so gutwillig, als ob es Abends elf Uhr gewesen wäre.

      Die acht Wachen, welche einsahen, daß ihr Dienst für den Rest des Tages beendigt war, legten sich in der Sonne auf die steinernen Bänke; die Stallknechte verschwanden mit ihren Pferden in den Ställen und, abgesehen von einigen munteren Vögeln, die sich einander durch scharfes Gezwitscher in den Büschen der Mauernelken scheu machten, hätte man glauben sollen, das ganze Schloß schlafe mit Monsieur.

      Plötzlich erscholl mitten unter diesem sanften Schweigen ein nerviges, lautes Gelächter, das einen von den Hellebardieren, die in ihre Siesta versunken waren, ein Auge zu öffnen bewog.

      Dieses Gelächter kam aus einem Fenster des Schlosses, das in diesem Augenblick von der Sonne besucht wurde. Der kleine eiserne Balcon, der an diesem Fenster hervorragte, war von einem Topf mit rothen Nelken, einem andern Topf mit Primeln und mit einem Frührosenstock besetzt, dessen herrlich grünes Blätterwerk durch mehrere rothe Punkte das baldige Erscheinen der Rosen ankündigte.

      In dem Zimmer, das dieses Fenster erhellte, sah man einen viereckigen Tisch mit einem alten, großblumigen Harlemer Teppich bedeckt, mitten auf diesem Tisch eine steinerne Phiole mit langem Hals, in der Maiblumen und Irisblüthen staken, an jedem von den Enden dieses Tisches ein junges Mädchen.

      Die Haltung dieser zwei Kinder war sonderbar: man hätte sie für zwei dem Kloster entwichene Kostschülerinnen halten können. Das eine zeichnete, die beiden Ellenbogen auf den Tisch gestützt, eine Feder in der Hand, Charactere auf ein Blatt schönes, holländisches Papier; das andere kniete auf einem Stuhl, was ihm den Kopf und die Büste über die Lehne und bis mitten auf den Tisch zu strecken erlaubte, und sah zu, wie seine Gefährtin schrieb, oder vielmehr zu schreiben zögerte. Daher tausendfaches Geschrei, Gespötte, Gelächter, wobei das eine immer geräuschvoller war als das andere, und die Vögel in den Mauernelken erschreckt und die Wache von Monsieur im Schlafe gestört hatte.

      Wir sind an den Portraits, und man wird hoffentlich die zwei letzten dieses Kapitels hinnehmen. Diejenige, welche sich auf den Stuhl stützte, nämlich die geräuschvolle, die lachende, war ein hübsches Mädchen von neunzehn bis zwanzig Jahren, braun von Haut, braun von Haaren, glänzend durch seine Augen und besonders durch seine Zähne, welche wie Perlen unter den blutrothen Korallen ihrer Lippen funkelten.

      Jede von den Bewegungen dieses Mädchens schien das Resultat des Spiels einer Mine zu sein; es lebte nicht, es sprang.

      Die Andere, diejenige, welche schrieb, schaute


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