Der Graf von Monte Christo. Александр Дюма

Der Graf von Monte Christo - Александр Дюма


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ihr zu folgen; der Tag und Nacht über mir erschallende Tritt ließ mir nicht einen Augenblick Ruhe.«

      »Aber gingen Sie denn nicht selbst zu dem Greise hinauf, um ihn zu trösten? fragte der Priester.

      »Ah! mein Herr,« erwiderte Caderousse, »man tröstet nur diejenigen, welche getröstet sein wollen, er aber wollte es nicht sein. Überdies kam es mir, ich weiß nicht warum, vor, als hätte er einen Widerwillen gegen meinen Anblick. In einer Nacht jedoch, da ich sein Schluchzen hörte, konnte ich nicht widerstehen und ging hinauf; als ich jedoch an die Thüre kam, schluchzte er nicht mehr, er betete. Ich kann Ihnen nicht wiederholen, welche beredte Worte, welche erbarmenswerte Bitten er fand: es war mehr als Frömmigkeit, es war mehr als Schmerz; ich, der ich kein Heuchler bin und die Jesuiten nicht liebe, sagte mir auch an diesem Tage: Es ist ein Glück, daß ich allein bin und daß der liebe Gott mir keine Kinder geschenkt hat, denn wenn ich Vater wäre und empfände einen Schmerz, ähnlich dem des armen Greises, und könnte weder in meinem Gedächtnis noch in meinem Herzen Alles finden, was er dem guten Gotte sagt, so stürzte ich mich geraden Weges in das Meer, um nicht länger zu leiden.«

      »Armer Vaters!« murmelte der Priester.

      »Von Tag zu Tag lebte er einsam und abgeschieden; Herr Morrel und Mercedes kamen oft, um ihn zu besuchen, aber seine Thüre war verschlossen, und er antwortete nicht, obgleich ich bestimmt wußte, daß er zu Hause war. Als er eines Tages, wider seine Gewohnheit, Mercedes einließ und das arme Kind, selbst in Verzweiflung, ihn zu trösten suchte, sagte er:

      »»Glaube mir, meine Tochter, er ist tot . . . und statt daß wir ihn erwarten, erwartet er uns. Ich bin sehr glücklich, denn ich bin älter und werde ihn folglich zuerst wiedersehen.««

      »So gut man sein mag, so hört man am Ende doch auf, die Menschen zu besuchen, durch welche man traurig gemacht wird. Der alte Dantes blieb zu Letzt ganz allein. Ich sah nur noch von Zeit zu Zeit unbekannte Leute zu ihm hinausgehen, die mit irgend einem schlecht verborgenen Päckchen zurückkamen; ich begriff, welche Beschaffenheit es mit diesen Päckchen hatte, er verkaufte nach und nach, was er hatte, um zu leben. Endlich nahm es bei dem guten Mann ein Ende mit seiner armseligen Habe . . Er war drei Miethzinse schuldig, man bedrohte ihn mit dem Wegschicken; er verlangte noch acht Tage, man bewilligte sie ihm. Ich erfuhr diesen Umstand, weil der Hauseigenthümer bei mir eintrat, als er ihn verließ. Während der drei ersten Tage hörte ich ihn wie gewöhnlich auf- und abgehen; am vierten . . . vernahm ich nichts mehr . . . Ich ging hinauf, die Thüre war verschlossen; durch das Schlüsselloch sah ich den Greis jedoch so bleich und entstellt, daß ich ihn für sehr krank hielt, Herrn Morrel benachrichtigen ließ und zu Mercedes lief. Beide eilten herbei; Herr Morrel brachte einen Arzt, der Arzt erkannte eine Magendarmentzündung und verordnete Diät. Ich war dabei, mein Herr, und werde nie das Lächeln des Greises bei dieser Verordnung vergessen. Von nun an öffnete er seine Thüre, er hatte eine Entschuldigung, daß er nicht mehr aß: der Arzt hatte Diät verordnet.«

      Der Abbé stieß einen Seufzer aus.

      »Diese Geschichte interessiert Sie, nicht wahrt mein Herr?« sagte Caderousse.

      »Ja,« erwiderte der Abbé, »sie ist rührend.«

      »Mercedes kam wieder; sie fand ihn so verändert, daß sie ihn wie das erste Mal in ihr Haus bringen lassen wollte. Es war dies auch die Ansicht von Herrn Morrel, welcher die Überschaffung mit Gewalt durchsetzen wollte, doch der Greis schrie dergestalt, daß sie bange bekamen. Mercedes blieb an seinem Bette. Herr Morrel entfernte sich, nachdem er Mercedes durch ein Zeichen bedeutet hatte, er lasse eine Börse auf dem Kamine. Aber bewaffnet mit der Verordnung des Arztes, wollte der Greis nichts zu sich nehmen. Endlich nach neun Tagen der Verzweiflung und Enthaltsamkeit verschied der Greis, diejenigen verfluchend, welche sein Unglück verursacht hatten. Zu Mercedes aber sprach er noch:

      »»Wenn Du meinen Edmond wiedersiehst, so sage ihm, ich sei ihn segnend gestorben.««

      Der Abbé stand auf und ging zweimal im Zimmer auf und ab, wobei er eine zitternde Hand an seine trockene Kehle legte.

      »Und Sie glauben, er starb . . . «

      »Hungers, mein Herr, Hungers, dafür stehe ich, so wahr wir hier zwei Christen sind,« antwortete Caderousse.

      Der Abbé ergriff mit krampfhafter Hand das noch halbvolle Glas, leerte es auf einen Zug und setzte sich wieder, die Augen geröthet und die Wangen bleich.

      »Gestehen Sie, daß dies ein großen Unglück ist,« sagte er mit heiserer Stimme.

      »Um so größer, mein Herr, als es nicht Gott herbeigeführt hat, sondern die Menschen allein Schuld daran sind.«

      »Gehen wir also auf diese Menschen über, doch vergessen Sie nicht,« rief der Abbé mit einer beinahe drohenden Miene, »Sie haben mir Alles zu sagen Versprochen; wer sind die Leute, welchen es zuzumessen ist, daß der Sohn vor Verzweiflung und der Vater vor Hunger starb?«

      »Zwei Menschen, welche auf ihn eifersüchtig waren, der eine aus Liebe, der andere aus Ehrgeiz, Fernand und Danglars.«

      »Auf welche Weise offenbarte sich diese Eifersucht?«

      »Sie gaben Edmond als bonapartistischen Agenten an.«

      »Welcher von Beiden gab ihn an? welcher von Beiden war der wahre Schuldige?«

      »Beide, mein Herr; der Eine schrieb den Brief, der Andere brachte ihn auf die Post.«

      »Und wo wurde dieser Brief geschrieben?«

      »In der Reserve selbst, am Tage vor der Hochzeit.«

      »So ist es, so ist es,« murmelte der Abbé! . .»Oh! Faria! Faria! wie kanntest Du die Menschen und die Dinge!«

      »Sie sagen, mein Herr?« fragte Caderousse.

      »Nichts; fahren Sie fort.«

      »Danglars schrieb die Anzeige mit der linken Hand, damit man seine Schrift nicht erkennen würde, und Fernand schickte sie ab.«

      »Aber Sie waren dabei?« rief plötzlich der Abbé.

      »Ich?« versetzte Caderousse erstaunt, »wer hat Ihnen gesagt, daß ich dabei war?«

      Der Abbé sah, daß er zu weit gegriffen hatte, und erwiderte:

      »Niemand; doch um alle diese Einzelheiten so genau zu kennen, müssen Sie notwendig Zeuge gewesen sein.«

      »Das ist wahr,« sprach Caderousse mit erstickter Stimme, »ich war dabei.«

      »Und Sie haben sich dieser Schändlichkeit nicht widersetzt? Folglich sind Sie ein Mitschuldiger.«

      »Mein Herr sie hatten mich Beide in einem Grade trinken lassen, daß ich beinahe die Vernunft verlor. Ich sah nur noch durch eine Wolke. Alles, was ein Mensch in einem solchen Zustande sagen kann, sagte ich, aber Beide erwiderten, sie hatten nur einen Scherz machen wollen, und dieser Scherz hätte keine Folgen.«

      »Doch am andern Tage sahen Sie, daß er Folgen hatte; Sie sagten aber nichts und waren dabei, als man ihn verhaftete.«

      »Ja, mein Herr, ich war dabei und wollte Alles sagen, Danglars hielt mich jedoch zurück. »»Wenn er zufällig schuldig ist,«« sprach er zu mir, »»wenn er wirklich an der Insel Elba angehalten, wirklich einen Brief für das bonapartistische Comité in Paris mitgenommen hat, wenn dieser Brief bei ihm gefunden wird, so werden diejenigen, welche ihn unterstützt haben, als seine Mitschuldigen betrachtet werden«« Ich hatte bange vor der Politik, wie sie damals getrieben wurde, und schwieg; ich gestehe, es war eine Feigheit, aber kein Verbrechen.«

      »Ich begreife, Sie ließen gewähren und sonst nichts.«

      »Ja, mein Herr, und das ist mein Gewissensbiß bei Tag und bei Nacht. Ich schwöre Ihnen, ich bitte Gott sehr oft um Verzeihung, und zwar um so mehr als diese Handlung, die einzige, die ich mir in meinem ganzen Leben vorzuwerfen habe, ohne Zweifel die Ursache meines Unglücks ist. Ich büße einen Augenblick der Selbstsucht, und sage auch immer zu der Carconte, wenn sie sich beklagt: »»Schweige, Frau, Gott will es so.««

      Und Caderousse neigte das Haupt mit allen Zeichen wahrer Reue.

      »Gut, mein Herr,« sagte der Abbé, »Sie haben offenherzig


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