Der Graf von Monte Christo. Александр Дюма
heißt: die Seite der entgegengesetzt, welche ihre Thüre den Reisenden öffnet, geht auf ein Gehege, worin einige verkrüppelte Olivenbäume und ein paar wilde Feigenbäume stehen, deren Blätterwerk vom Staube versilbert ist; in ihren Zwischenräumen wachsen, statt aller anderer Gemüse, Knoblauch, Taubenkraut und Schalotten; in einer von den Ecken streckt endlich, wie eine verlorene Schildwache, eine Fichte schwermütig ihren biegsamen Stamm empor, während ihr fächerartig ausgebreiteter Gipfel unter einer Sonne von dreißig Graden kracht. Alle diese Bäume, groß oder klein, beugen sich natürlich in der Richtung gegeneigt, wo der Mistral, eine von den drei Geißeln der Provence, hinstreicht. Die zwei andern waren, wie man weiß oder vielleicht nicht weiß, die Durance und das Parlament. Da und dort in der umliegenden Ebene, welche einem großen Staubsee gleicht, vegetieren einige Weizenstängel, welche die Gartenliebhaber der Gegend ohne Zweifel nur der Seltenheit wegen ziehen, und von denen jeder als Aufsitzstange einer Grille dient, welche mit ihrem schrillen, eintönigen Gesange die in diesem Thebais verirrten Reisenden verfolgt.
Seit etwa sieben die acht Jahren wurde diese kleine Wirthschaft von einem Manne und einer Frau geführt, deren einzige Dienerschaft ein Stubenmädchen genannt Toinette und ein Hausknecht Namens Pacaud waren, eine doppelte Beihilfe, welche indessen für die Bedürfnisse des Dienstes genügte, seitdem ein von Beaucaire nach Aigues-Mortes gegrabener Canal siegreich die Kähne auf die Eil fuhr und das Marktschiff auf die Diligence hatte folgen lassen. Dieser Canal lief, als wollte er das Bedauern des unglücklichen Gastwirthes, den er zu Grunde richtete, noch lebhafter machen, zwischen der Rhone, die ihn ernährt, und der Landstraße, die er entkräftet, etwa hundert Schritte von dem Wirthshaus, von dem wir eine kurze, aber getreue Schilderung gegeben haben. Vergessen wir nicht einen Hund, einen alten Nachtwächter, der nun gegen die Vorübergehenden sowohl am Tage, als während der Dunkelheit bellte, so wenig war er mehr gewohnt, Fremde zu sehen.
Der Mann, welcher diese kleine Wirthschaft führte, war ungefähr vierzig bis zwei und vierzig Jahre alt, groß, trocken und nervig, der wahre südliche Typus, mit seinen tiefliegenden, glänzenden Augen, seiner adlerschnabelförmigen Nase und seinen Zähnen, so weiß wie die eines fleischfressenden Tieres; seine Haare, welche sich dem ersten Hauche des Alters zum Trotz, nicht zum Weißwerden entschließen zu wollen schienen, waren, wie sein dichter, krauser Bart, kaum mit etwas Grau durchstreut, sein natürlich bräunlicher Teint hatte sich mit einer neuen Lage von Nußbraun dadurch bedeckt, daß sich der arme Teufel vom Morgen bis zum Abend auf seiner Thürschwelle aufzuhalten pflegte, um zu sehen, ob ihm nicht zu Fuß oder zu Wagen ein Kunde zukäme, eine Erwartung, in der er beinahe immer getäuscht wurde, indes er den ganzen Tag hindurch der sengenden Sonnenhitze kein anderes Präservativ entgegensetzte, als ein nach der Weise der spanischen Maulthiertreiber um seinen Kopf gewickeltes rotes Sacktuch. Dieser Mann war unser alter Bekannter Gaspard Caderousse. Seine Frau, welche sich als Mädchen Madeleine Radelle nannte, sah im Gegenteil bleich, mager und kränklich aus.. In der Gegend von Arles geboren, hatte sie, obwohl die ursprünglichen Spuren der traditionellen Schönheit ihrer Landsleute bewahrend, ihr Gesicht langsam in einem beinahe beständigen Anfall von einem jener dumpfen Fieber, welche unter den Nachbarn der Teiche von Aigues-Mortes und des Marschlandes der Camargue so gewöhnlich sind, in Verfall geraten sehen. Sie hielt sich beinahe immer vor Kälte schnatternd in ihrem im ersten Stocke liegenden Zimmer auf, entweder in einem Lehnstuhle ausgestreckt, oder an ihrem Bette lehnend, während ihr Mann an der Thüre seine gewöhnliche Wache bezog, die sich um so länger ausdehnte, als ihn seine magere Ehehälfte, so oft er sich wieder mit ihr zusammenfand, mit ihren ewigen Klagen gegen das Schicksal verfolgte, welche er gewöhnlich nur mit den philosophischen Worten erwiderte: Schweige, Carconte, Gott will es so!«
Dieser Spottname kam davon her, daß Madeleine Radelle in dem Dorfe la Carconte, welches zwischen Salon und Lambèse liegt, geboren war. In Folge einer Gewohnheit dieser Gegend, die Leute beinahe immer mit einem Beinamen statt mit ihrem wahren Namen zu bezeichnen, hatte ihr Mann diese Benennung mit Madeleine vertauscht, war für seine rohe Zunge vielleicht zu sauft und zu wohlklingend war.
Trotz dieser vorgeblichen Fügsamkeit in die Beschlüsse der Vorsehung, darf man indessen nicht glauben, daß unser Wirth den armseligen Zustand nicht tief erkannte, in welchen ihn der elende Canal von Beaucaire versetzt hatte, und daß er unverwundbar gegen die ewigen Klagen blieb, mit denen ihn seine Frau verfolgte. Er war, wie alle Südländer, ein mäßiger Mensch und ohne große Bedürfnisse, aber eitel für äußere Dinge. So ließ er in den Zeiten seines Wohlstandes nie eine Prozession der Tarasque5 vorübergehen, ohne sich dabei mit der Carconte zu zeigen, er in der malerischen Tracht des Südfranzosen, welche die Mitte zwischen dem Andalusier und Catalonier hält, sie in dem reizenden Gewande der Frauen von Arten, das Griechenland und Arabien entlehnt zu sein schien. Allmälig aber waren Uhrketten, Halsbänder, tausendfarbige Gürtel, gestickte Leibchen, Sammetwesten, Strümpfe mit zierlichen Zwickeln, buntscheckige Kamaschen, Schuhe mit silbernen Schnallen Verschwunden, und Gaspard Caderousse, der sich nicht mehr in seinem ehemaligen Glanze zeigen konnte, hatte für sich und seine Frau Verzicht geleistet auf alles weltliche Gepränge, dessen freudigen Geräusch er, sich dumpf das Herz zernagend, bis in dem armseligen Wirthshause hörte, das er mehr als ein Schirmdach, denn als Speculation behielt.
Caderousse hatte sich seiner Gewohnheit gemäß einen Teil des Morgens vor der Thüre aufgehalten und seinen schwermütigen Blick von einem kleinen kahlen Rasen, worauf ein paar Hühner marodirten, nach den zwei Enden der öden Landstraße spazieren lassen, welche einer Seits nach Süden und anderer Seits nach Norden lief, als ihn plötzlich die spitzige Stimme seiner Frau seinen Posten zu verlassen nötigte. Er ging brummend hinein und stieg in den ersten Stock hinauf, ließ aber nichtsdestoweniger seine Thüre weit offen stehen, als wollte er die Reisenden einladen, ihn im Vorbeigehen nicht zu vergessen.
In dem Augenblick, wo Caderousse hineinging, war die von uns erwähnte Landstraße, welche seine Blicke durchliefen, so leer, so kahl und verlassen, wie die Wüste um Mittag; sie dehnte sich weiß und unabsehbar zwischen zwei Reihen magerer Bäume aus, und man begriff vollkommen, daß kein Reisender, dem es freistand, eine andere Stunde des Tages zu wählen, sich in diese furchtbare Sahara wagte. Caderousse hätte jedoch, trotz aller Wahrscheinlichkeit, wenn er an seinem Posten geblieben wäre, in der Richtung von Bellegarde einen Reiter und ein Pferd herbeikommen sehen, welche mit dem ehrlichen, freundschaftlichen Wesen erschienen, woraus sich auf das beste Einverständniß zwischen dem Menschen und dem Tiere schließen läßt. Das Pferd war ein Wallach und ging einen ganz angenehmen Paß; der Reiter war ein Priester mit schwarzem Rock und dreieckigem Hute. Trotz der verzehrenden Sonnenhitze zogen sie doch nur sehr vernünftig einher. Vor der Thüre hielt die Gruppe an; es wäre schwer zu entscheiden gewesen, ob das Pferd den Menschen, oder ob der Mensch das Pferd anhielt; in jedem Fall stieg der Reiter ab, zog das Pferd am Zügel nach und band es an den Reiber eines verwitterten Ladens, dann schritt der Priester, seine von Schweiß triefende Stirne mit einem roten baumwollenen Sacktuche abwischend, auf die Thüre zu und that mit dem eisernen Ende des Stockes, den er in der Hand hielt, drei Schläge auf die Schwelle.
Sogleich erhob sich der große schwarze Hund und machte ein paar Schritte bellend und seine weißen scharfen Zähne fletschend, eine doppelte feindselige Demonstration, welche bewies, wie wenig er an Gesellschaft gewöhnt war. Alsbald erschütterte ein schwerer Tritt die hölzerne, an der Wand hinlaufende Treppe, welche sich bückend und rückwärts der Wirth des armseligen Hauses, an dem der Priester stand, herabstieg.
»Hier bin ich!« sagte Caderousse ganz erstaunt, »hier bin ich! Willst du schweigen, Margotin. Haben Sie nicht bange, mein Herr, er bellt, aber er beißt nicht. Sie wollen Wein, nicht wahr? denn es ist teufelsmäßig heiß. Ah! um Vergebung,« unterbrach sich Caderousse, als er sah, mit welcher Sorte von Reisenden er es zu tun hattet; »um Vergebung, ich wußte nicht, wen ich zu empfangen so glücklich war. Was wünschen Sie, was verlangen Sie, Herr Abbé? Ich stehe zu Befehl.«
Der Priester schaute diesen Menschen ein paar Secunden lang mit seltsamer Aufmerksamkeit an: er schien sogar seiner Seits die Aufmerksamkeit des Wirthes auf sich lenken zu wollen; als er aber sah, daß die Züge des letzteren kein anderes Gefühl ausdrückten, als ein Erstaunen darüber, daß er keine Antwort erhielt, dachte er, es wäre Zeit, eben diesem Erstaunen ein Ende zu machen, und sagte mit stark italienischem Acccnt:
»Sind Sie nicht Monsou Caderousse?«
»Ja,
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Tarasque ist der Name, den man in Taraocon der Darstellung eines Ungeheuers gib, welcher der Sage nach von der heiligen Martha mit ihrem Strumpfband erwürgt wurde, und das man in Prozession in dieser Stadt umherträgt. D. Übers.