Der Graf von Monte Christo. Александр Дюма
auf Alles warf, was ihn umgab. Aber was seine Aufmerksamkeit anzog, war weder das poetische Corsica, dessen Häuser er sogar unterscheiden konnte, noch das darauf folgende beinahe unbekannte Sardinien, noch die Insel Elba mit den riesenhaften Erinnerungen, noch die unmerkliche Linie, die sich am Horizont ausdehnte und dem Auge des Seemanns das stolze Genua und das handeltreibende Livorno enthüllte; nein, es war die Brigantine, welche bei Tagesanbruch, und die Tartane, welche so eben die Anker gelichtet hatte; die erste war auf dem Punkte, in der Meerenge von Bonifacio zu verschwinden, die andere fuhr, dem entgegengesetzten Wege folgend, an Corsica hin und war im Begriff, diese Insel zu umsegeln.
Dieser Anblick beruhigte Edmond, er lenkte nun seine Augen auf die Gegenstände zurück, die ihn mehr unmittelbar umgaben; auf dem höchsten Punkte der conischen Insel sah er sich als die gebrechliche Statue dieses ungeheuren Piedestals; unter ihm kein Mensch; um ihn her keine Barke, nichts als das azurblaue Meer, das die Base der Insel peitschte, welche das ewige Anschlagen mit einer silbernen Franse besetzte. Dann stieg er mit raschen Schritten, aber vorsichtig hinab: er hatte in diesem Augenblick gewaltig bange vor einem Unfall, wie der, welchen er so geschickt und glücklich vorgegeben.
Dantes hatte, wie gesagt, die Gegenspur der in den Felsen zurückgelassenen Kerben genommen und gesehen, daß diese Linie zu einem kleinen, wie ein Nymphenbad des Altertums verborgenen, Krek führte. Diesen Krek war in seiner Öffnung weit genug und in seinem Mittelpunkte tief genug, daß ein kleines Fahrzeug von der Art der Speronaren einlaufen und darin verborgen bleiben konnte. Den Faden der Schlüsse verfolgend, diesen Faden, den er in den Händen des Abbé Faria den Geist auf eine so sinnreiche Weise hatte durch das Irrsal der Wahrscheinlichkeiten führen sehen, – dachte er, der Cardinal Spada habe in seinem Interesse, nicht bemerkt zu werden, in diesem Krek gelandet, sein kleines Fahrzeug darin versteckt, die von den Kerben angedeutete Linie verfolgt und am Ende dieser Linie seinen Schatz vergraben. Dieser Gedanke hatte Dantes zu dem kreisförmigen Felsen zurückgeführt. Nur Eines beunruhigte Edmond und stürzte alle seine Gedanken nieder: wie hatte man, ohne beträchtliche Kräfte anzuwenden, diesen Felsen, welcher vielleicht fünfzig bis sechzigtausend Pfundschwer war, auf die Base emporarbeiten können, auf der er ruhte?
Plötzlich kam Dantes ein Gedanke.
»Statt den Felsen hinaufzuarbeiten, hat man ihn ohne Zweifel herabgeschafft,« sagte er zu sich selbst und er eilte über den Felsen hinaus, um die Stelle seiner ersten Base zu suchen. Er sah in der Tat bald, daß nachdem ein leichter Abhang gemacht worden, der Felsen von seiner Base herabgeglitten war und an der Stelle angehalten hatte, wo ihm ein anderer Felsen, so groß als ein gewöhnliches Werkstück, als Untersatz diente. Steine und Kiesel waren sorgfältig wieder an die entsprechenden Orte gelegt worden, um jede Auflösung des Zusammenhangs verschwinden zu machen; diese, so zusagen, Maurerarbeit hatte man mit vegetabilischer Erde bedeckt, das Gras war gewachsen, das Moos hatte sich ausgebreitet, einige Myrten- und Mastirsamen hatten sich festgesetzt, und der alte Felsen schien an den Boden gelöthet. Dantes nahm vorsichtig die Erde weg und erkannte das sinnreiche Kunstwerk oder glaubte es wenigstens zu erkennen. Dann fing er an, mit der Haue diese durch die Zeit verkittete Zwischenmauer anzugreifen.
Nach einer Arbeit von zehn Minuten gab die Mauer nach, und es ward ein Loch, durch das man den Armschieben konnte, geöffnet. Dantes fällte den stärksten Olivenbaum, den man finden konnte, entblößte ihn von seinen Zweigen, steckte ihn in das Loch und machte einen Hebel daraus; aber der Fels war zugleich zu schwer und zu fest durch den unteren Felsen unterlegt, als daß eine menschliche Kraft, und wäre es die von Herkules gewesen, ihn hätte erschüttern können.
Dantes bedachte nun, daß er diese Unterlage selbst angreifen müsse, aber durch welches Mittel? Er schaute umher, wie es verlegene Menschen tun, und sein Blick fiel auf ein Pulverhorn, das ihm sein Freund Jacopo zurückgelassen hatte; er lächelte: die höllische Erfindung sollte das Werk verrichten.
Mit Hilfe seiner Haue grub Dantes zwischen dem oberen Felsen und demjenigen, auf welchem dieser ruhte, einen Minengang, wie es die Pioniere zu tun pflegen, wenn sie dem Arme des Menschen eine zu große Anstrengung ersparen wollen, dann verstopfte er ihn mit Pulver, fädelte sein Sacktuch aus, wälzte es im Salpeter und machte eine Lunte daraus. Sobald die Lunte brannte, entfernte sich Dantes. Die Explosion ließ nicht auf sich warten; der obere Felsen wurde einen Augenblick durch die unberechenbare Kraft aufgehoben, der untere zersprang in Stücke. Durch die kleine Öffnung, welche Dantes zuerst gemacht hatte, kam eine ganze Welt von zitternden Insekten hervor, und eine ungeheure Natter, die Wächterin dieses geheimnisvollen Weges, wälzte sich auf ihren bläulichen Ringen fort und verschwand.
Dantes näherte sich. Nunmehr ohne Stütze, neigte sich der obere Felsen gegen den Abgrund. Der unerschütterliche Sucher machte die Runde um denselben, wählte eine von den schwankendsten Stellen, stützte seinen Hebel an eine seiner Ecken und stemmte sich mit seiner ganzen Kraft, einem Sisyphus ähnlich, gegen den Felsen. Bereits durch die Explosion erschüttert, wankte der Fels; Dankes verdoppelte seine Anstrengung. Man hätte glauben sollen, einer von den Titanen reiße Berge mit der Wurzel aus, um mit dem Herrn der Götter Krieg zu führen. Der Fels gab endlich nach, rollte, sprang, stürzte nieder und verschwand, sich im Meere versenkend. Er ließ einen kreisförmigen Platz entblößt und brachte einen eisernen Ring an den Tag, welcher mitten in eine Platte von viereckiger Form gelöthet war.
Dankes stieß einen Schrei der Freude und des Erstaunens aus. Nie hatte ein glänzenderer Erfolg einen ersten Versuch gekrönt. Er wollte fortfahren, aber seine Beine zitterten so stark, sein Herz schlug so heftig, eine so glühende Wolke zog vor seinen Augen vorüber, daß er inne halten mußte. Dieses augenblickliche Zögern hatte die Dauer eines Blitzes. Edmond steckte seinen Hebel in den Ring, hob ihn kräftig, und aus ihrem Kitte gebrochen, öffnete sich die Platte und entblößte den jähen Abhang einer Art von Treppe, welche sich in den Schatten einer immer dunkler werdenden Grotte vertiefte.
Ein Anderer wäre mit einem Freudengeschrei hineingestürzt, Dantes blieb stehen, erbleichte, zweifelte.
»Ruhig, ich will ein Mann sein,« sagte er zu sich selbst. »Ich will, an das Unglück gewöhnt, mich nicht durch eine Täuschung niederschlagen lassen, sonst hätte ich vergebens gelitten. Das Herz bricht, wenn es, nachdem es übermäßig durch die Hoffnung dem warmen Atem geöffnet war, zurücktritt und sich in die kalte Wirklichkeit verschließt. Faria hatte einen Traum; der Cardinal Spada hat nichts in dieser Grotte vergraben, vielleicht ist er sogar niemals hierher gekommen, oder wenn er hier gewesen, so ist Cesare Borgia, der unerschütterliche Abenteurer, der finstere, unermüdliche Dieb nach ihm gekommen, hat seine Spur entdeckt, dieselben Zeichen vefolgt wie ich, diesen Stein aufgehoben wie ich, und, vor mir hinabsteigend, nichts zum Nehmen zurückgelassen.«
Er blieb eine Minute unbeweglich nachdenklich, die Augen auf die finstere Öffnung geheftet.
»Ja, ja, das ist ein Abenteuer, das seine Stelle in dem vom Licht und Schatten gemischten Leben dieses königlichen Banditen findet. In dem Gewebe von seltsamen Ereignissen, welche den buntscheckigen Einschlag seines Daseins bilden, mußte sich dieses fabelhafte Abenteuer unsichtbar mit anderen Dingen verketten. Ja, Borgia ist in einer Nacht hierher gekommen, in der einen Hand eine Fackel, in der andern ein Schwert haltend, während zwanzig Schritte von ihm, düster und drohend, die Erde, die Luft und das Meer beobachtend, zwei Sbirren standen, indes ihr Herr eintrat, wie ich es tun will, und mit seinem flammenden, furchtbaren Arme die Finsternis verjagte. Ja, aber was mag Cesare mit den Sbirren getan haben, denen er auf diese Art sein Geheimnis, verriet?« fragte sich Dantes, »Das,« antwortete er lächelnd, »was man mit den Bestattern von Alarich getan hat, welche man mit dem Beerdigten begrub. Nun aber, da ich auf nichts mehr zähle, und da ich mir gesagt habe, daß es unsinnig wäre, eine Hoffnung zu nähren, ist die Folge dieses Abenteuers für mich eine Folge der Neugierde, und nicht mehr.«
Und er blieb abermals unbeweglich und nachsinnend.
»Kam er indessen hierher,« fuhr Dantes fort, »fand er den Schatz und nahm er denselben, so wußte Borgia, der Mann, der Italien mit einer Artischocke verglich und der es Blatt für Blatt verzehrte, seine Zeit zu gut zu verwenden, als daß er sie damit verloren hätte, daß er diesen Felsen wieder auf seine Vase stellte. Wir wollen hinabsteigen.«
Und er stieg hinab, ein Lächeln auf den Lippen, und murmelte das letzte Wort der menschlichen Weisheit:
»Vielleicht! . . . «
Aber