Der Wolfsführer. Александр Дюма
aus Engoulevents Händen und betrachtete den Spieß lange von der Spitze bis zum Stiel, ohne ein Wort zu sagen.
Dann zeigte er dem Holzschuhmacher einen kleinen Holzschuh, der in den Griff eingeschnitten war und die Bestimmung hatte, daß Thibault sein Eigenthum daran erkennen sollte.
Dieser Holzschuh war sein Zeichen als Handwerksgesell.
»Ha, ha, Schlingel,« sagte der Wolfsjägermeister, »sieh, dieses Ding da zeugt furchtbar gegen Dich. Weißt Du auch, daß dieser Spieß verdammt nach Wild schmeckt? Ich habe Dir also bloß noch Folgendes zu sagen: Du hast gewildert, und das ist ein grobes Verbrechen; Du hast einen Meineid geschworen, und das ist eine grobe Sünde; deßhalb wollen wir Dich jetzt zum Heil Deiner Seele, bei welchem Du geschworen hast, für alles das büßen lassen.«
Darauf wandte er sich gegen den Oberrüdenknecht zurück und sprach:
»Markotte, nimm zwei Koppeln und binde mir diesen Gesellen da, nachdem Du ihm Wamms und Hemd ausgezogen, an einen Baum; dann miß ihm mit Deinem Schultergehänge sechsunddreißig Hiebe auf, ein Dutzend für den Meineid und zwei Dutzend für das Wildern; doch nein, damit ich’s recht sage, im Gegentheil ein Dutzend für das Wildern und zwei Dutzend für den Meineid; wir müssen dem lieben Gott den Vorrang lassen.«
Dieser Befehl war ein freudiges Ereigniß für das Bedientenpack, das laut aufjubelte, einen armen Sünder zu haben, an dem es seinen Aerger über das heutige Mißgeschick auslassen konnte.
Vergebens betheuerte und schwor Thibault bei allen Heiligen im Kalender, daß er weder einen Hirsch noch eine Hirschkuh, weder einen Bock noch eine Geiß getödtet habe; man zog ihm sein Wamms aus und band ihn fest an einen Baumstamm.
Sodann begann die Execution.
Der Rüdenknecht schlug so derb darauf, daß der arme Sünder, obschon er im StilIen geschworen hatte, nicht zu klagen, und obschon er auf seine Lippen biß, um diesen Schwur halten zu können, schon beim dritten Schlag seinen Mund öffnete und einen Schrei ausstieß.
Herr Jean war, wie man bereits ersehen konnte, vielleicht der brutalste Herr auf zehn Meilen in der Runde, aber dennoch nicht hartherzig; das immer stärker werdende Jammergeschrei des Mißhandelten war ihm peinlich.
Da jedoch die Wilderei in den Forsten Sr. Hoheit mit jedem Tag frecher wurde, so war er entschlossen, das Urtheil vollstrecken zu lassen.
Nur beschloß er sich vom Schauplatz zu entfernen und drehte sein Pferd, um wegzureiten.
Im Augenblick, wo er dieses Manöver ausführte, warf sich ein junges Mädchen, das aus dem Schlag hervortrat, vor seinem Pferd auf die Kniee und schlug ihre großen schönen Augen thränenfeucht zu Herrn Jean auf.
»Gnädiger Herz« sagte sie, »Um Gottes Barmherzigkeit willen, Gnade für diesen Mann!«
Herr Jean senkte seine Augen auf das junge Mädchen.
Es war in Wahrheit ein allerliebstes Kind; kaum sechzehn Jahre alt, zart und schlank gebaut, ein Gesichtchen wie Milch und Blut, große blaue Augen voll Sanftmuth und Zärtlichkeit, und ein so üppiges blondes Haar, daß es trotz der schlechten schwarzen Leinwandhaube, die ihren Kopf bedeckte, von allen Seiten herabwallte.
Obschon das Costüm der schönen Bittstellerin im höchsten Grad bescheiden war und aus ganz einfachem Linnen bestand, so bemerkte doch Herr Jean alles das, und da er hübschen Gesichtern keineswegs abhold war, so beantwortete er den beredten Blick der reizenden Bauerndirne mit einem Lächeln.
Da er sie aber bloß ansah, ohne ihr laut zu antworten, und da die Prügelei inzwischen ihren Fortgang nahm, so fuhr sie mit noch flehentlicheren Geberden fort:
»Gnade, um«s Himmels willen, gestrenger Herr! Sagt Euern Leuten, daß sie diesen armen Mann gehen lassen, denn sein Geschrei zerreißt mir das Herz.
»Tausend Karren voll grüne Teufel!« antwortete der Wolfsjäger; »Du interessirst Dich also für diesen Kerl, mein schönes Kind? Ist er denn Dein Bruder?«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Dein Vetter?«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Dein Geliebter?«
»Mein Geliebter? Ew. Gnaden belieben zu scherzen.«
»Warum denn nicht? In diesem Fall, mein schönes Kind, gestehe ich, daß ich ihn beneiden würde.«
Das Mädchen schlug die Augen nieder.
»Ich kenne ihn nicht, gnädiger Herr, und ich sehe ihn heute zum ersten Mal.«
»Und zwar nur von hinten,« erfrechte sich Engoulevent hinzuzusetzen, der den Augenblick zu einem schlechten Spaß gekommen glaubte.
»Halt’s Maul, Bursche!« schnauzte der Baron ihn an.
Dann wandte er sich lächelnd gegen das schöne Mädchen zurück und sagte:
»Nun wahrhaftig, wenn er weder Dein Verwandter noch Dein Geliebter ist, so bin ich doch begierig, wie weit Du Deine Menschenliebe treibst.
Laß uns einen Handel schließen, schönes Kind.«
»Welchen, gnädiger Herr?«
»Ich begnadige den Lümmel, wenn Du mir einen Kuß gibst.«
»O von Herzen gern!« rief das junge Mädchen. »Ein Menschenleben mit einem Kuß erkaufen! Ich bin überzeugt, daß der Herr Pfarrer selbst dies für keine Sünde erklären wird.«
Und ohne abzuwarten, bis Herr Jean sich herabbückte, um selbst zu nehmen, was er begehrte, schleuderte sie ihren Holzschuh von sich, stemmte ihr zierliches Füßchen auf den Stiefel des Wolfsjägers, nahm die Mähne seines Pferdes in die Hand, schnellte sich mit einer Kraftanstrengung bis in die Höhe vom Gesicht des rauhen Jägers empor und bot seinen Lippen von selbst ihre runden, frischen Wangen, so sammtzart wie der Flaum einer Augustpfirsiche zum Kusse dar.
Herr Jean war für einen Kuß handelseins geworden, nahm aber zwei; sodann gab er, um seinen Schwur treu zu halten, Markotte ein Zeichen, daß er die Execution einstellen solle.
Markotte zählte die Schläge gewissenhaft, der zwölfte schwebte in der Luft, als; er den Befehl bekam innezuhalten. Markotte glaubte ihn nicht zurückhalten zu müssen; Vielleicht mochte es ihm sogar angemessen erscheinen, ihm den Werth von zwei gewöhnlichen Schlägen zu verleihen, um gutes Maß und den dreizehnten obendrein zu geben; jedenfalls ist so viel gewiß, daß der letzte Hieb die Schultern Thibaults noch ärger zerfetzte als die andern.
Es ist wahr, daß man ihn unmittelbar darauf losband.
Während dieser Zeit plauderte Baron Jean mit dem jungen Mädchen.
»Wie heißest Du denn, meine holde Dirne?«
»Georgine Agnelet, gnädiger Herr, meiner Mutter nach; aber die Leute in der Gegend nennen mich bloß Agnelette.»
»Ei zum Teufel! Agnelette, Lämmlein, das ist ein schlimmer Name, mein Kind,« sagte der Baron.
»Warum, gnädiger Herr?« fragte das Mädchen.
»Weil er Dich dem Wolf verspricht, meine Holde. Und woher bist Du denn, Agnelette?«
»Aus Preciamont, gnädiger Herr.«
»Und Du kommst so ganz allein in den Wald, mein Kind? Dass ist sehr keck für ein Lämmlein.»
»Ich muß wohl, gnädiger Herr. Wir haben drei Ziegen, von denen wir leben, nämlich meine Großmutter und ich.«
»Dann gehst Du also Deiner Ziegen wegen in’s Gras?«
»Ja, gnädiger Herr.«
»Und Du hast keine Angst, so ganz allein, ein so schönes junges Mädchen?«
»Manchmal kommt mich allerdings ein Zittern an, gnädiger Herr.«
»Und warum zitterst Du?«
»Seht, gnädiger Herr, man erzählt an den Winterabenden so viele Geschichten von Währwölfen, daß mich, wenn ich mich ganz allein mitten unter den Bäumen sehe, und wenn ich gar Nichts höre, als den Westwind, der sausend durch die Aeste fährt, ein kalter Schauder überläuft und mir die Haare zu Berg