Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4. Александр Дюма
auch nicht gestoßen, so stand es ihm doch, sobald er erkannt, wer Jener war, gewisser Maßen nicht mehr frei, nicht zu ihm zu gehen.
Dem zu Folge ließ er den Zug unbeweglich defiliren; dann folgte er dem falschen Arbeiter, der sich von Zeit zu Zeit umwandte, um zu erfahren, ob man ihm wirklich folgte, trat hinter ihm in ein Gäßchen ein, stieg gegen Bellevue aus einem ziemlich jähen Abhange hinauf und verschwand hinter einer Mauer gerade in dem Augenblick, wo aus der Seite von Paris der Zug verschwand, so völlig verborgen durch die abschüssige Lage des Berges, als ob er sich in einen Abgrund versenkte.
V
Das Verhängniß
Gilbert folgte seinem Führer, der ihm in einer Entfernung von ungefähr zwanzig Schritten voranging, bis zu der Hälfte der Anhöhe. Hier, als man sich vor einem großen und schönen Hause befand, zog derjenige, welcher zuerst kam, einen Schlüssel aus seiner Tasche, welcher bestimmt war, dem Herrn dieses Hauses den Durchgang zu gestatten, wollte dieser Herr aus- oder eingehen, ohne seine Dienstboten dabei ins Vertrauen zu ziehen.
Er ließ die Thüre ein wenig offen, was so klar als möglich andeutete, derjenige, welcher zuerst eingetreten, lade seinen Gefährten ein, ihm zu folgen.
Gilbert trat ein und schob sachte die Thüre zurück, welche sich, so sachte sie geschoben wurde, stille auf ihren Angeln drehte und wieder schloß, ohne daß man den Riegel knarren hörte.
Ein solches Schloß würde Meister Gamain bewundert haben.
Sobald er eingetreten war, befand sich Gilbert in einem Corridor, in dessen doppelter Wand in Manneshöhe, das heißt so, daß das Auge nicht eine von ihren wunderbaren Einzelheiten verlor, Füllungen von Bronze nach denen geformt, mit welchen Ghiberti die Thüre der Taufkapelle in Florenz bereichert hat, incrusirt waren.
Die Füße vertieften sich in einen weichen türkischen Teppich.
Links war eine Thüre offen.
Gilbert dachte, diese Thüre sei abermals für ihn geöffnet, und trat in einen Salon ein, der mit indischem Atlaß tapezirt und mit Meubles von demselben Stoffe wie die Tapete ausgestattet war. Einer von den phantastischen Vögeln, wie sie die Chinesen malen oder sticken, bedeckte mit seinen Flügeln von Gold und Azur den Plafond und hielt zwischen seinen Klauen den Kronleuchter, der mit Candelabern von einer herrlichen Arbeit, Lilienbüschel vorstellend, zur Beleuchtung des Saales diente.
Ein einziges Gemälde schmückte diesen Salon und bildete ein Seitenstück zum Spiegel des Kamins.
Es war eine Jungfrau von Raphael.
Gilbert bewunderte dieses Meisterwerk, als er hörte oder vielmehr errieth, daß man eine Thüre hinter ihm öffne.
Er wandte sich um und erkannte Cagliostro, der aus einem Ankleidecabinet herauskam.
Ein Augenblick hatte ihm genügt, um den Schmutz von seinen Armen und seinem Gesichte verschwinden zu machen, um seinen noch schwarzen Haaren die aristokratischste Richtung zu geben und seine Kleider völlig zu wechseln.
Es war nicht mehr der Arbeiter mit den schwarzen Händen, mit den glatten Haaren, mit den kothbesteckten Schuhen, mit der groben Sammethose und dem Hemde von roher Leinwand.
Es war der elegante, vornehme Herr, den wir unsern Lesern schon zweimal, zuerst in Joseph Balsamo und dann im Halsband der Königin, vorgestellt haben.
Sein mit Stickereien bedecktes Kleid, seine von Diamanten funkelnden Hände contrastirten mit der schwarzen Tracht von Gilbert und den, einfachen goldenen Ringe, einem Geschenke von Washington, den er am Finger trug.
Cagliostro trat mit offenem, lachendem Gesichte vor und streckte die Arme gegen Gilbert aus.
Gilbert warf sich darein.
»Theurer Meister!« rief er.
»Oh! einen Augenblick Geduld,« sagte Cagliostro lachend; »mein lieber Gilbert, Sie haben, seitdem wir uns verlassen, solche Fortschritte gemacht, besonders in der Philosophie, daß Sie heute der Meister sind, und daß ich kaum würdig bin, der Schüler zu sein.«
»Ich danke für das Kompliment,« erwiederte Gilbert; »doch angenommen, ich habe solche Fortschritte gemacht: woher wissen Sie es? Es sind acht Jahre, daß wir uns nicht wiedergesehen.«
»Glauben Sie denn, lieber Doctor, Sie seien einer von den Menschen, von welchen man nichts wisse, weil man sie zu sehen aufhört? Es ist wahr, ich habe Sie seit acht Jahren nicht gesehen; doch seit diesen acht Jahren könnte ich Ihnen beinahe Tag für Tag sagen, was Sie gethan haben.«
»Ho! Ho!«
»Zweifeln Sie denn immer an meinem zweiten Gesichte?«
»Sie wissen, daß ich Mathematiker bin,«
»Das heißt ungläubig . . . Hören Sie also: Sie sind zum ersten Mal nach Frankreich gekommen, zurückgerufen durch Ihre Familienangelegenheiten; die Familienangelegenheiten gehen mich nichts an und folglich, . .«
»Nein,« versetzte Gilbert, der Cagliostro in Verlegenheit zu bringen glaubte; »sprechen Sie, lieber Meister.«
»Nun wohl, diesmal hatten Sie sich mit der Erziehung Ihres Sohnes Sebastian zu beschäftigen, ihn in Pension in ein Städtchen achtzehn bis zwanzig Meilen von Paris zu bringen, Ihre Geschäfte mit Ihrem Pächter abzumachen, einem braven Mann, den Sie sehr wider seinen Willen in Paris zurückhalten, und der aus tausend Gründen bei seiner Frau äußerst nöthig wäre.«
»Wahrhaftig, Meister, Sie sind wunderbar.«
»Oh! warten Sie doch . . . . Das zweite Mal sind Sie nach Frankreich gekommen, weil Sie die politischen Angelegenheiten dahin führten, wie diese so viele Andere dahin führen; dann hatten Sie gewisse Brochuren gemacht, die Sie König Ludwig XVI. schickten, und da noch etwas vom alten Menschen in Ihnen ist, da Sie stolzer aus den Beifall eines Königs sind, als Sie vielleicht aus den meines Vorgängers in der Erziehung bei Ihnen, Jean Jacques Rousseau, sein würden, der doch, wenn er noch lebte, etwas Anderes wäre, als ein König! so waren Sie begierig zu erfahren, was der Enkel von Ludwig XIV. von Heinrich IV., und dem heiligen Ludwig vom Doctor Gilbert denke; unglücklicher Weise bestand noch eine alte kleine Angelegenheit, an welche Sie nicht dachten, und bei der ich Sie doch an einem schönen Tag, ganz blutig, die Brust von einer Kugel durchbohrt, in einer Grotte der Azorischen Inseln, wo mein Schiff zufällig stille lag, hatte finden müssen. Diese kleine Angelegenheit betraf Fräulein Andrée von Taverney, welche, in allen Ehren und um der Königin zu dienen, Gräfin Charny geworden ist. Da nun die Königin der Frau, die den Grafen von Charny geheirathet, nichts abschlagen konnte, so verlangte und erhielt die Königin gegen Sie einen geheimen Verhaftsbefehl; Sie wurden auch aus dem Wege vom Havre nach Paris verhaftet und in die Bastille geführt, wo Sie noch wären, mein lieber Doctor, hätte das Volk nicht eines Tags die Bastille durch einen Schlag mit verkehrter Hand umgeworfen. Als ein guter Royalist, mein lieber Gilbert, haben Sie sich sogleich mit dem König ausgesöhnt, dessen Arzt Sie nun sind. Gestern, oder vielmehr diesen Morgen, trugen Sie mächtig zur Rettung der königlichen Familie dadurch bei, daß Sie in aller Eile den guten Lafayette weckten, der den Schlaf des Gerechten schlief, und vorhin, als Sie mich sahen, glaubten Sie, die Königin, – welche Sie, beiläufig gesagt, haßt, mein lieber Gilbert, – sei bedroht, und schickten sich an, einen Wall mit Ihrem Leibe für sie zu bilden . . . Ist es so? Habe ich irgend eine Einzelheit von geringerer Bedeutung vergessen, wie eine magnetische Sitzung in Gegenwart des Königs, die Wiedererlangung einer gewissen Cassette aus gewissen Händen, welche sich derselben durch den Dienst eines gewissen Pasdeloup bemächtigt hatten? Sprechen Sie, sagen Sie, und wenn ich mich eines Irrthums oder eines Vergessens schuldig gemacht habe, so bin ich bereit, öffentliche Abbitte zu thun.«
Gilbert war ganz erstaunt geblieben vor diesem seltsamen Mann, der seine Wirkungsmittel so gut zu bereiten wußte, daß derjenige, auf welchen er operirte, versucht war, zu glauben, er habe, wie Gott, die Gabe, zugleich die Gesammtheit der Welt und ihre Einzelheiten zu umfassen und im Herzen der Menschen zu lesen.
»Ja, es ist so,« sprach er, »und Sie sind immer der Magier, der Zauberer Cagliostro!«
Cagliostro lächelte mit Befriedigung; er war offenbar stolz darauf, daß