La San Felice Band 4. Александр Дюма
Alexandre
La San Felice B4
Vierter Theil
Erstes Capitel.
Giovannina
Unsere Leser werden bemerken, mit welcher Sorgfalt wir sie durch unbekannte Gegenden und Persönlichkeiten hindurchführen, um unseren Erzählungen gleichzeitig die Festigkeit des Ganzen und die bunte Abwechslung der Einzelheiten zu bewahren.
Wir sind dadurch ganz natürlich zu einigen Weitschweifigkeiten verleitet worden, welche nun nicht mehr vorkommen werden, denn bis auf nur wenige Individualitäten, denen wir noch begegnen werden, stehen unsere sämtlichen Personen nun auf der Bühne und haben, so viel als es in unserer Macht gestanden, ihren Charakter durch ihr eigenes Handeln entwickelt.
Uebrigens sind nach unserer Meinung Länge oder Kürze einer Sache nicht einem materiellen Maß unterworfen. Ist ein Werk interessant, so wird es, selbst wenn es zwanzig Bände hätte, dem Publikum kurz erscheinen. Ist es dagegen langweilig, so wird der Leser, und wenn es blos zehn Seiten zählte, es fortwerfen, noch ehe er damit zu Ende gekommen ist.
Was uns betrifft, so haben in der Regel unsere längsten Bücher, das heißt die, in welchen es uns gestattet gewesen, die Charaktere genau zu entwickeln, und eine längere Reihe von Ereignissen vorzuführen, das meiste Glück gemacht und sind am begierigsten gelesen worden.
Unter den dem Leser schon bekannten Personen, oder solchen, denen wir nur noch einige Pinselstriche zu geben brauchen, knüpfen wir daher jetzt unsere Erzählung wieder an, welche für den ersten Blick von ihrem Wege abgewichen ist, um unserem Gesandten und dem Grafen Ruvo nach Rom zu folgen, eine, wie man später sehen wird, ganz nothwendige Abweichung —um acht Tage später, nach der Abreise Hektors Caraffa nach Mailand und des Bürgers Garat nach Frankreich, wieder nach Neapel zurückzukehren.
Wir befinden uns daher gegen zehn Uhr Morgens auf dem Kai Margellina. Wir sehen auf demselben ein buntes Gewimmel von Fischern und Lazzaroni, so wie von allerhand Leuten aus dem Volke, welche, mit Köchen aus vornehmen Häusern untermischt, nach dem Markte eilen, welchen seinem Casino gegenüber der König Ferdinand eröffnet hat, der, als Fischer gekleidet, hinter dem mit Fischen bedeckten Tische stehend, das Ergebniß seines Fischfangs selbst verkauft.
Trotz der Aufregung, in welche ihn die politischen Angelegenheiten versetzt, trotzdem, daß er jeden Augenblick die Antwort seines Neffen, des Kaisers, erwartet, trotz der Schwierigkeit, die es ihm macht, die von Sir William Hamilton unterschriebene und von Nelson im Namen Pitt’s endossirte Tratte schnell in klingende Münze zu verwandeln, hat er doch nicht seinen beiden Lieblingsvergnügungem dem Fischfang und der Jagd, entsagen können.
Gestern hat er in Persano gejagt, heute Morgen hat er in Pausilippo gefischt.
Unter der Menge, welche durch dieses häufige, für das Volk von Neapel aber stets neue Schauspiel herbeigelockt wird, würden wir uns versucht fühlen, unsern alten Freund Michele, den Narren, zu suchen, welcher, wie wir uns zu sagen beeilen, mit dem Michele, welchen wir nach Peppinas Ermordung in das Gebirg entfliehen gesehen, nichts gemein hat, sondern unsern Michele, welcher, anstatt wie die Andern den Kai weiter hinaufzugehen, an der kleinen Thür jenes unsern Lesern schon bekannten Gartens stehen bleibt.
Allerdings steht an der Thür dieses Gartens an die Mauer gelehnt und mit den Augen in dem Azur des Himmels, oder vielmehr in den Regionen ihrer Gedanken umherschweifend, ein junges Mädchen, welcher wir in Folge ihrer untergeordneten Stellung bis jetzt nur eine Aufmerksamkeit zu widmen vermocht, welche eben so untergeordnet gewesen ist, wie die Stelle dieser Person selbst.
Es ist dies Giovanna oder Giovannina, die Zofe Luisa’s San Felice, gewöhnlich kurzweg Nina genannt.
Sie repräsentiert einen bei den Landleuten in der Umgegend von Neapel eigenthümlichen Typus, eine Art Ausnahmswesen, welches man ganz erstaunt ist unter der brennenden Sonne des Südens zu finden.
Sie ist ein junges Mädchen von neunzehn bis zwanzig Jahren, von mittlerem Wuchs und dennoch mehr groß als klein. Dabei ist ihre Gestalt vollkommen geformt und ihr Verweilen in der Nähe einer vornehmen Dame hat ihr einen Geschmack an Sauberkeit beigebracht, welche unter der Volksklasse, der sie angehört, nur selten anzutreffen ist.
Ihr volles, wohlgepflegtes, durch ein himmelblaues Band zusammengehaltenes Haar ist von jenem brennenden Blond, welches die auf der Stirn der bösen Engel umherhüpfende Flamme zu sein scheint.
Ihr milchweißes Gesicht ist mit Sommerflecken bedeckt, welche sie durch die der Toilette ihrer Herrin entlehnten Schönheitsmittel und Essenzen zu entfernen sucht.
Ihre Augen sind grün und irisiren wie die der Katzen, deren sich bald öffnende, bald schließende Pupille sie ebenfalls besitzt.
Ihre Lippen sind dünn und bleich, werden aber bei der geringsten Gemüthsbewegung blutroth.
Ihre Zähne sind untadelhaft und sie pflegt dieselben eben so sorgfältig und scheint eben so stolz daraus zu sein, als ob sie eine Marquise wäre.
Ihre Hände, aus denen keine Spur von einer Ader zu sehen, sind weiß und kalt wie Marmor.
Bis zu der Zeit, wo wir sie unsern Lesern kennen gelehrt, hat sie ihrer Herrin sehr zugethan zu sein geschienen und ihr nur jene Veranlassungen zur Unzufriedenheit gegeben, welche in dem Leichtsinn der Jugend und in den Wunderlichkeiten eines erst in der Ausbildung begriffenen Charakters ihren Entstehungsgrund haben.
Wenn die Wahrsagerin Nanno da wäre und ihre Hand geprüft hätte, wie sie die ihrer Herrin geprüft hat, so würde sie sagen, daß ganz im Gegensatz zu Luisa, welche unter dem glücklichen Einfluß der Venus und des Mondes geboren, Giovannina unter der schlimmen Vereinigung des Mondes und des Merkur geboren ist, und daß sie dieser verderblichen Zusammenstellung jene neidischen Regungen, welche ihr zuweilen das Herz zusammenschnüren, und jene ehrgeizigen Wallungen verdankt, welche ihr Gemüth bewegen.
Giovannina ist demnach, mit kurzen Worten gesagt, weder schön nach auch nur hübsch, dennoch aber ist sie ein seltsames Wesen, welches den Blick vieler jungen Männer auf sich zieht.
Viele, die unter ihr oder ihr gleich stehen, haben ihr Aufmerksamkeiten erwiesen, aber sie hat dieselben stets unbeachtet gelassen. Ihr Ehrgeiz trachtet höher hinaus und wohl zwanzigmal hat sie gesagt, daß sie lieber ihr ganzes Leben lang Mädchen bleiben, als einen Mann heiraten will, welcher einem niedrigeren Stande oder auch einem dem ihrigen gleichen angehört.
Michele und Giovannina sind alte Bekannte.
Seit den sechs Jahren, wo Giovannian bei Luisa San Felice ist, haben sie Gelegenheit gehabt, einander oft zu sehen. Michele hat sogar, wie die andern jungen Leute, durch die physische und moralische Seltsamkeit des Mädchens verlockt, ihr den Hof zu machen versucht.
Sie hat aber dem jungen Lazzarone ohne Umschweife erklärt, daß sie nur einen Signore lieben würde, selbst auf die Gefahr hin, daß der Signore, den sie liebte, ihre Liebe nicht erwiederte.
Michele, der nichts weniger als Platoniker ist, hat ihr sofort alles mögliche Glück gewünscht und sich Assunta zugewendet, welche da sie nicht dieselben aristokratischen Ansprüche machte wie Nina, sich vollkommen mit Michele begnügt hat.
Da übrigens Luisas Milchbruder, abgesehen von seinen ein wenig exaltierten politischen Ansichten, ein ganz vortrefflicher, guter Junge ist, so hat er, anstatt Giovannina ihre Weigerung übel zu nehmen, sie um ihre Freundschaft ersucht und ihr die seinige angeboten. In der Freundschaft weniger wählerisch als in der Liebe, hat Giovannina ihm die Hand gereicht und mit ihm das Gelübde einer guten und aufrichtigen Freundschaft ausgetauscht.
Anstatt daher seinen Weg bis auf den königlichen Markt fortzusetzen blieb Michele, der ohnehin wahrscheinlich seiner Milchschwester einen Besuch machen wollte, als er Giovannina gedankenvoll an der Gartenthür stehen sah, ebenfalls stehen.
»Was machst Du da, und siehst den Himmel an?« fragte er sie.
Nina zuckte die Achseln.
»Du siehst es ja,« sagte sie, »ich träume.«
»Ich glaubte bis jetzt, nur die vornehmen Damen träumten und wir armen Leute begnügten uns mit dem Nachdenken. Ich vergaß aber, daß, wenn Du auch noch keine vornehme Dame bist, Du doch eine zu werden gedenkst. Welch ein Unglück, daß Nanno