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dem großen Künstler, der sie in der Gegenwart vergötterte und in der Nachwelt berühmt machte, nackt zu zeigen? Nein, mit Stolz und Freude warfen diese Mädchen selbst den letzten Schleier weg und suchten ihre geheimsten Schönheiten geltend zu machen. Als die Kurtisane Mnesarete wegen Ruchlosigkeit gegen die Götter in Athen verurteilt werden sollte, was tat ihr Verteidiger Hyperides? Er löste ihren Gürtel und ließ ihre Tunika fallen, so daß er sie auf diese Weise zwang, unvermutet und plötzlich ihren Richtern in ihrer niederschmetternden Schönheit zu erscheinen, und der Areopag erklärte sie hierauf nicht bloß für unschuldig, sondern sank auch auf die Knie nieder. Wohlan, auch für Sie gilt es jetzt, entweder zu ewiger Schmach verurteilt oder zur Königin gekrönt zu werden. Es liegt, glauben Sie mir, mehr Keuschheit darin, wenn man seine Tunika einmal täglich vor zweihundert Personen fallen läßt, als wenn man zehnmal täglich unter vier Augen mit dem ersten besten den Gürtel löst. Ich verlasse Sie jetzt, überlegen Sie sich, was ich gesagt habe. Ich bin von der Richtigkeit Ihrer Ansichten so überzeugt, daß ich nur an Sie selbst appelliere, und Ihres Zartgefühls so sicher, daß ich Ihnen das Honorar für fünfzehn Abende, zu fünfundzwanzig Pfund jeder, das heißt dreihundertundfünfundsiebzig Guineen hier lasse. Wenn Sie meine Anträge ablehnen, so werden Sie mir diese dreihundertfünfundsiebzig Guineen zurücksenden, und ich werde dann wissen, was dies zu sagen hat. Wenn ich bis übermorgen nichts empfange, so werde ich Sie dann in meinem Wagen abholen. Berechnen Sie, was fünfundzwanzig Guineen täglich ein Jahr lang oder auch nur sechs Monate, oder auch nur drei Monate ausmachen zweitausendzweihundertfünfzig Pfund Sterling, beinahe ein Vermögen. Bedenken Sie, daß ich für diese ungeheure Summe von Ihnen weiter nichts verlange, als eine Stunde täglich, eine Stunde, während welcher Sie keine Gebärde zu machen und kein Wort zu sprechen brauchen, während welcher Sie die Augen schließen und zu schlafen scheinen, ja, wenn es sein muß, wirklich in magnetischem Schlafe befangen sein können. Ihr Gesicht wird mit einem Schleier bedeckt sein, der dicht genug ist, damit niemand, wenn er Ihnen den nächstfolgenden Tag begegnet, sagen könne: ›Dies ist die prachtvolle Statue, welche ich gestern gesehen.‹ Und nun, Miß Heart, reichen Sie mir Ihre schöne Hand zum Kusse. Ich entferne mich und ich hoffe.«
Und indem Doktor Graham auf meinem Tische vier Rollen, drei jede zu hundert und eine von fünfundsiebzig Guineen zurückließ, küßte er mir ehrerbietig die Hand, verneigte sich und verließ das Zimmer. Ich blieb erst stumm und beinahe unbeweglich sitzen. Meine einzige Bewegung bestand darin, daß ich dem Doktor mit den Augen folgte, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. Auf alles, was er mir gesagt, hatte ich kein Wort der Entgegnung gefunden, in meinem Gemüt aber fand ein gewaltiger Kampf statt. Die Gastfreundschaft, welche ich empfangen und die sich durch Mangel, Not, Obdachlosigkeit und Hunger bis zu einem gewissen Grade erklären ließ, war unerträglich. Wenn ich nur drei Tage lang davon Gebrauch machte und mich in die Folgen davon fügte, so ward mein ganzes Leben dadurch befleckt und hatte nicht einmal die Entschuldigung eines Gewinnes, der mit dem Opfer im Verhältnis gestanden hätte.
Bei dem Doktor dagegen war, wie er gesagt hatte, die Nacktheit der Bildsäule durch den Schleier des Reichtums bedeckt. Ich spielte die Rolle der Danae, aber mit dem goldenen Regen, der in dieser Welt so vieles abwäscht. Auf der einen Seite handelte es sich um Entwürdigung, auf der andern nur um Keckheit.
Ich streckte die Hand aus. Ich nahm die vier Rollen eine nach der andern in die Hand; ich öffnete sie, ich ließ die Guineen in meinen Schoß fallen, ich wühlte mit den Händen in diesem Gold, ich ließ es in klirrenden Kaskaden aus den Händen wieder in meinen Schoß herabregnen, bis ich davon geblendet war.
Ich sagte mir, daß es bloß auf mich ankäme, zehn-, zwanzig-, ja hundertmal so viel zu haben, daß ja, da mein Gesicht verhüllt bleibe, mich niemand erröten machen könne, wenn er mich später wiedersähe. Ich sagte mir mit einem Worte alles, was der Stolz und die Notwendigkeit dem bedrängten wankenden Herzen eines menschlichen Wesens einflüstern können, welchem die Natur Instinkte eingepflanzt, gegen welche die Gesellschaft Gesetze gegeben und welches jung, schön, intelligent, vor Mangel und Hunger keine andere Zuflucht hat als die Prostitution.
Das Ergebnis aller dieser Betrachtungen bestand darin, daß ich die dreihundertfünfundsiebzig Pfund Sterling dem Doktor Graham nicht zurückschickte.
Am dritten Tage kam er demgemäß gegen elf Uhr morgens, wie er versprochen, um mich in seinem Wagen abzuholen.
Noch denselben Abend lag ich, das Gesicht mit einem dichten Schleier und den Körper mit einem durchsichtigen Schleier bedeckt, in dem magnetischen Schlafe, den ich gegen mein empörtes Schamgefühl zu Hilfe gerufen, auf dem Apollobette und diente dem Doktor Graham als Subjekt bei seinen megalantyropogenetischen Demonstrationen.
Zehntes Capitel
Nur London, dieses eigentümliche Gemisch von erkünstelter Verschämtheit und wirklicher Schamlosigkeit, erklärt das ungeheure Aufsehen, welches diese menschliche Schaustellung machte, welcher die Polizei, die in allen andern zivilisierten Ländern der Welt eingeschritten sein würde, nicht das mindeste Hindernis in den Weg legte.
Man schlug sich buchstäblich, um Eingang zu erzwingen, und obschon der Eintrittspreis ein Pfund Sterling betrug, so war doch der Salon, in welchem der Doktor Graham seine Vorlesungen hielt, alle Abende gefüllt.
Sobald als die Zuschauer fort waren, weckte mich der Doktor. Ich kleidete wich wieder an, wir soupierten gemeinschaftlich und zogen uns dann jedes in sein Zimmer zurück.
Niemals – ich muß dieses sagen – richtete während der zwei oder drei Monate, die ich bei ihm blieb, der Doktor auch nur ein Wort an mich, welches nicht ein Beweis von Sympathie und Achtung gewesen wäre.
Mir, die ich vor Gott geschworen, alles zu sagen, kommt es nun zu, den Leser in die geheimsten Tiefen, ich will nicht sagen des Frauenherzens, denn Gott bewahre mich davor, der Ausdruck meines ganzen Geschlechts sein zu wollen, wohl aber eines Frauenherzens hinabsteigen zu lassen.
Auch Rousseau hat in seinen »Bekenntnissen« nicht die Menschen, sondern den Menschen gemalt, und dieses Werk gilt trotz der seltsamen Enthüllungen, welche es enthält, für ein schönes Buch.
Ich möchte, indem ich keines der Geheimnisse meines Herzens den Augen des Physiologen entziehe, ein Buch schreiben, welches dem Rousseaus nicht den Rang streitig macht, wohl aber mit demselben wetteifert.
Ich komme demgemäß zu einem neuen Geständnis.
Alle Abende beim Souper erzählte mir der Doktor, ohne Zweifel damit ich nicht auf den Einfall käme, den Lauf seiner einträglichen Sitzungen zu unterbrechen, die einstimmigen Lobsprüche, welche an dem Bett, auf welchem ich ruhte, laut wurden, Lobsprüche, die für mich nicht einmal ein eitles Geräusch waren, denn die Schwere meines Schlafes konnte durch kein Geräusch, von welcher Art es auch sein mochte, durchdrungen werden.
Die Folge hiervon war, daß, weil mir fortwährend gesagt ward, selbst Venus habe in dem Netz, in welchem ihr Gemahl sie gefangen hielt, unter den Göttern des Olymps keine größere Bewunderung erregt als die, welche ich bei den Bewohnern der Erde erweckte, endlich in mir der Wunsch entstand, mit meinen eigenen Ohren jene berauschende Melodie zu hören, welche man das Lob nennt.
Ebenso wie alle meine Wünsche, ward auch dieser sehr bald unüberwindbar und da er selbst, ohne daß ich den Doktor davon zu unterrichten brauchte, leicht zu befriedigen war, so beschloß ich, ihm Raum zu geben.
Demzufolge tat ich am dritten oder vierten Tage gleich bei den ersten magnetischen Strichen, die Doktor Graham machte, als ob ich fest schliefe, und mit geschlossenen Augen, aber offenen Ohren und das Gesicht mit dem Battisttuche bedeckt, wodurch es den Blicken der Zuschauer entzogen ward, schickte ich mich an, jene Reihe glühender Lobsprüche zu hören, welche, wie der Doktor vorgab, meine Schönheit den Bewunderern der Form abnötigte.
Graham hatte durchaus nicht zu viel gesagt. Niemals stieg das Lob in duftigerem Weihrauch auf dem Altar der Göttin von Gnyda und Paphos empor, als um die Estrade herum, auf welcher ich lag.
Es war als ob jeder Bewunderer erriete, daß mein Schlaf ein verstellter sei und daß ich hören könnte, so daß er das Lob in der Hoffnung übertriebe, den Lohn dafür zu erhalten. Ich trank das süße Gift bis auf den letzten Tropfen.
Von diesem Augenblicke an nahm ich mir vor, wach zu