Justizmord . Artur Landsberger
in der ein Sofa, ein runder Tisch und ein paar Stühle standen.
»Ganz gemütlich,« sagte der Amerikaner und nahm seine Handtasche, die unter dem vielen Gepäck stand, das dem Ehepaar Marot gehörte. »Ihre Gattin scheint auch meine Tasche durchsucht zu haben.«
»War sie denn nicht verschlossen?«
»Ich verschließe meine Tasche nie.«
»Dann hat sie in der Eile und Erregung gar nicht gemerkt, daß sie nicht uns gehörte.«
»Ich bin davon überzeugt.«
»Fehlt etwas?«
»Aber nein!«
Er nahm einen großen Bogen heraus, hielt ihn hoch und sagte:
»Genau so lag er, als ich ihn hineinlegte. Sie hat nichts angerührt.« Dann ging er damit zum Sofa, entfaltete das Papier und sagte: »Ich wiederhole die Bedingungen.«
»Wollen Sie wirklich jetzt . . .?«
»Ja, wann denn? – Aber wenn Sie müde sind, Marot, ziehen Sie sich inzwischen ruhig aus.«
»Wenn Sie gestatten«, erwiderte Marot und nahm den Kragen ab.
Der Amerikaner setzte sich und fuhr fort:
»Sie tauschen also den Posten mit meinem Pariser Korrespondenten, der für Sie nach Marseille kommt – er genügt mir sowieso nicht mehr für Paris.«
»Sie hätten den Wechsel auf alle Fälle vorgenommen?« fragte Marot. . »Was heißt, auf alle Fälle?«
»Auch ohne den Vorfall im Office der Chicago Times in Marseille – und seine Folgen?«
»Schreien Sie doch etwas lauter oder gehen Sie lieber gleich auf den Flur hinaus. – Die Hoteldetektivin ist sowieso wie ein Spürhund hinter uns her.«
»Zu meinem Schutz.«
»Das reden Sie sich ein.«
»Hier in Nizza tagt zurzeit eine politische Organisation, die ich seit Jahren bekämpfe.«
»Ach nein!« erwiderte Harvey spöttisch.
»Sie wußten das?« fragte Marot erstaunt.
»Es ist mir ein Rätsel, Marot, daß Sie trotz Ihrem Mangel an Kombinationsvermögen ein so guter Korrespondent geworden sind.«
»Ich fange an, zu begreifen.«
»Etwas spät.«
»Deshalb sind wir also nach Nizza gefahren?''
»Fabelhaft, wie Sie das erraten!«
»Die Anhänger dieser Organisation sind Fanatiker.«
»Die vor nichts zurückschrecken.«
»Wenn sie durch einen Zufall erfahren, daß ich hier bin . . .«
»Ich bin sicher, sie wissen es längst.«
»Dann schwebe ich tatsächlich in Lebensgefahr.«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Sie sind sehr menschenfreundlich, Mister Harvey.«
»Ich kämpfe für eine Idee.«
»Für die Auflagen Ihrer amerikanischen Blätter.«
»Auch – aber das nur nebenbei.« – Er beugte sich wieder über das Blatt. »Also kommen wir endlich zu Ende. Sie erhalten den Pariser Posten – Ihr Gehalt wird verdoppelt – der Vertrag auf zehn Jahre verlängert – ich zahle Ihr Office – Ihr Auto – war sonst noch was?«
»Meine Schulden.«
»In Höhe von?«
»Dreiviertel Millionen Frank – «
»In Dollar bitte!«
»Fünfundvierzigtausend Dollars.«
»Sie sind ein Verschwender. »Wie wird das erst in Paris werden?«
»Darüber verständigen Sie sich bitte mit meiner Frau.«
Harvey sprang auf und rang die Hände: »Ich beschwöre Sie, Marot, sprechen Sie leise!«
– Dann gab er ihm ein Zeichen, die Tür zu öffnen.
Marot ging behutsam zur Tür und öffnete plötzlich. – Im selben Augenblick sah man eine Dame eilig im Hotelkorridor verschwinden.
»Die Hoteldetektivin!« sagte Marot und schloß die Tür wieder.
»Sehen Sie nun endlich ein, daß wir uns in acht nehmen müssen? – hier ist der Vertrag! – Unterschreiben Sie.«
Marot ging an den Tisch, las den Vertrag und sagte:
»Das ist ja fabelhaft!«
»Genau, wie wir es besprochen haben.«
»Es wirft mich um.«
»Ihre Frau würde es nicht umwerfen.«
»Dorothée ist Künstlerin und liebt Sensationen.«
»Wie alle Frauen.«
»Für die Aussicht, in Paris zu leben, würde sie alles unterschreiben.«
»Welche Frau täte das nicht?«
»Und wann werden Sie Frau Dorothée in die Mysterien dieses Vertrages einweihen?«
»So bald als möglich.«
»Also dann in Gottes Namen«, sagte Marot und unterschrieb.
4
Sie kennen nicht François Robert? Wie schade! Hätten Sie nur einmal ein paar Worte mit ihm gewechselt, so würden Sie den Vorgang, der sich in der Zwischenzeit, also zwischen elf und zwölf Uhr nachts, in seinem Salon abspielte, durchaus natürlich finden.
Frau Dorothée war mit ihren Scheren, Bürsten und Kämmen die Hoteltreppe hinunter ins Vestibül geeilt, um nach einem Friseur zu fragen. Sie hatte das Office noch nicht betreten, als ein Herr im Frack und Samtkragen, weißer Künstlerschleife, weichem Hemd und stumpfem Zylinder ihr in den Weg trat, den Hut zog, sich tief vor ihr verbeugte und wörtlich sagte:
»François Robert – coiffeur pour pénibles dames, absolument discret – mein Salon befindet sich rechter Hand, im Gang, der Treppe gegenüber.«
Frau Dorothée stutzte, sah ihn an und fragte:
»Sie sind . . .?«
»François Robert – in eigener Person! Sie erinnern sich! Ich bin glücklich, Sie wiederzusehen – Mademoiselle Helène! – Sie sind jünger, schöner und vor allem – Sie sind schlanker geworden. Ich taxiere, sechshundert Gramm haben Sie abgenommen – es können auch siebenhundert sein Nur die Frisur gefällt mir nicht – Helène!«
»Sie irren – ich . . . bin Madame Marot . . .«
»Natürlich! Madame Marot! Ich entsinne mich der Ehre, Madame Marot im letzten Sommer in Deauville bedient zu haben.«
»Ich war auch nicht in Deauville im letzten Sommer.«
»Nicht in Deauville? O wie schade! Eine Frau wie Sie gehört nach Deauville. Ich erinnere mich des Grand Prix de Beauté. Die dunkle schlanke Frau, die man im Kursaal mit dem ersten Preise krönte, war Madame Marot aus dem Gesicht geschnitten.«
»So? – Wer war denn das?«
»Die Marquise de Poittiers, eine meiner treuesten Klienten. Sie kam mit einer Frisur à la Figaro aus Paris. Ich sagte zu ihr: Teuerste Marquise – unter uns, ich sagte Lolo – wenn Sie neben meiner Klientel, der kleinen Prinzessin von Wagram und der Tänzerin Ley von den Folies Bergères, bestehen wollen, so rate ich Ihnen zu einer Coiffure à la François Robert.«
»Und die Marquise?«
»Versuchte, mich für die Frisur Ihres Pariser Coiffeurs Monsieur Pasquier zu begeistern. – Sie meinen, was blieb mir anderes übrig, als sie anzuhören? Sie irren, Madame Marot.«
»In New York trägt man jetzt. . .«
»Ich weiß.«
»Die Frisur ist erst seit ein