Lu die Kokotte. Artur Landsberger

Lu  die Kokotte - Artur Landsberger


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sich auf meine Diskretion verlassen. Natürlich werde ich etwas verordnen« – er streifte mit zwei Fingern die Augenlider nach unten – »Eisen, das kann auf keinen Fall etwas schaden. Aber«, fügte er mit ernster Miene hinzu und fühlte den Puls, »Sie dürfen dem Genuß, den ich Ihnen bei der nötigen Vorsicht ja gewiß gönne, nicht Ihre Gesundheit opfern. Ich begreife ja durchaus, zumal wenn man jung und leidenschaftlich ist; aber Maß, meine teure Freundin; das Leben ist lang, und man soll sich die Freuden deshalb auch möglichst lange erhalten.«

      Dann verabschiedete er sich; ging vor zur Mutter, die ihn mit ängstlichem Gesicht erwartete.

      »Nun, was fehlt ihr? Ist sie krank? – Um Himmels willen, Sie machen ein so ernstes Gesicht.«

      Der Sanitätsrat setzte wieder das überlegene Lächeln des Weltmannes auf, faßte Frau Fanny leicht um die Schulter und beruhigte sie.

      »Sorgen Sie dafür, daß Ihre Tochter bald unter die Haube kommt; für ihr Leiden gibt es nur ein Mittel, die Ehe.«

      Dann ging er.

      »Gott sei Dank!« sagte Frau Fanny laut und holte tief Atem. Und in Gedanken setzte sie hinzu: Wie gut sich das doch alles fügt; sie dachte an Mohr; er wird sie schon glücklich und gesund machen. —

      Manchmal vergingen Tage, ohne daß Luise ihn sah.

      Dann kamen wohl Stunden, in denen sie sich nach ihrem früheren Leben sehnte. Alles lebte dann wieder auf, was längst vergessen war; die langen Sommertage im Atelier des Vaters; sie hatten ja beide das Leben so lieb und konnten sich mit allem freuen wie die Kinder. Wenn es dunkel wurde, und Vater hatte nicht mehr Licht genug zur Arbeit, dann stiegen sie zum Dachgarten hinauf, saßen und schwiegen – über sich den Himmel, unter sich die Riesenstadt; ersannen Geschichten, die sie sich gegenseitig erzählten, die von Menschen handelten, die das Glück suchten und es immer fanden, wenn sie sich selbst nur treu blieben. Das schien so einfach und natürlich, daß sie fest daran glaubte und gar nicht dachte, daß es je anders kommen könnte. Daher die Feiertagsstimmung, in der sie lebte; daher die leuchtenden Augen und das freudvolle Herz, das sich nie die Zeit verwünschte und geduldig hoffte.

      Häufig brach der Vater, der die Gedanken seines Kindes kannte, das Schweigen mit den Worten:

      »Wer wird es werden? Doch ein Künstler?«

      »Hoffentlich!« gab sie zur Antwort. »Denn wenn es ein Mensch ist, der in Zwang und Vorurteilen steckt, dann paßt er nicht zu dir und zu Harry.«

      »Und zu dir?« fragte der Vater.

      »Wie sollte er zu mir passen, wenn ihr euch nicht versteht?« fragte sie treuherzig.

      Und wenn der Vater die Arme um sie legte und die Zukunft malte und erzählte, wie nur er erzählen konnte, so daß man alles glauben mußte, was er sagte, dann gab es keine Zweifel mehr, dann gewann alles Gestalt, dann schien, was sie hoffte und sann, der Erfüllung nahe.

      An alles das dachte Luise mit so großer Innerlichkeit, daß sie erst jetzt den Brief bemerkte, den der Diener vor sie auf den Tisch gelegt hatte.

      Von Harry! Sie griff danach und hing dabei noch ganz in ihren Gedanken; öffnete und las:

»Liebe!

      Denke Dir, mein Freund, der junge Aletto, von dessen Begabung schon der gute Vater so große Stücke hielt, – der sich mit soviel Güte und Herz müht, mir über alle Traurigkeit hinwegzuhelfen, dieser prächtige Aletto, ohne dessen Freundschaft ich jetzt, wo ich Euch allein und traurig weiß, die Trennung kaum ertragen würde – dieser Aletto liebt Dich!

      Ich hatte es längst gemerkt. Wenn wir des Abends beisammensaßen und mit dem Essen fertig waren, ohne daß von Dir die Rede war, dann wußte ich schon immer: jetzt bringt er das Gespräch auf irgendeine, oft recht ungeschickte Art auf Dich. Ich muß ihm dann von Dir erzählen – oft bis in den Morgen hinein, und er sitzt dabei und sieht mich an mit Augen, in denen sein ganzes Herz liegt.

      Du weißt, ihm allein gebe ich mich, wie ich bin. Und Du begreifst daher, daß er auf diese Weise manches Gute über Dich zu hören bekam. Ich wollte schon, als ich jetzt in Berlin war, mit Dir davon sprechen. Aber der traurige Anlaß und die kurze Zeit schienen mir ungeeignet.

      Als ich wieder nach Rom kam, holte er mich von der Bahn, und in seinen Augen standen tausend Fragen nach Dir. Und so sagte ich ihm – ehe er mich fragte: »Es geht ihr gut.«

      Aber ich merkte schon, als wir vom Bahnhof aus zu mir nach Hause fuhren, daß er irgendeine große Freude mit sich herumtrug, und daß es ihm schwer fiel, mir nicht davon zu sprechen.

      Je näher wir zur Villa kamen, um so deutlicher sah ich es.

      »Laß mich vorausgehen«, sagte er, als wir zu Hause waren. Er riß alle Vorhänge auf, schob die Gardinen zur Seite und führte mich vor eine Staffelei, auf der in Lebensgröße . . . Dein Bild hing. Er hatte es, während ich fort war, aus dem Gedächtnis, mehr wohl noch aus dem, was ich ihm von Dir erzählte – denn Ihr saht Euch ja nur ein einziges Mal – auf die Leinewand gebracht.

      »Wer ist’s?« rief er. Ich sah ihn nie strahlender, obschon so etwas wie ein Bangen in seinen Augen lag; er sorgte, ich könnte Dich nicht erkennen.

      »Sie!« sagte ich nur, und er drückte mir die Hand und sagte mit Tränen in den Augen:

      »Nicht wahr, so sieht sie aus?«

      Ich habe nie ein Bild gesehen, in dem mehr Seele lag. Ich habe Stunden vor diesem Bilde gestanden; und so wenig ähnlich es nur im ersten Augenblicke schien – ich kann seitdem nicht mehr an Dich denken, ohne daß in meiner Vorstellung dies Bild aufsteigt.

      Und dann sprach er zum ersten Male ganz offen mit mir von seiner Liebe.

      Du sollst ihn genau kennenlernen und Dich dann entscheiden; ganz unabhängig von unserer Freundschaft; unabhängig auch von seinem Namen und seiner Kunst, die in so vielem an die unseres guten Vaters erinnert. Du sollst in ihm nur den Menschen sehen, obschon der ja von seiner Kunst kaum mehr zu trennen ist.

      Weihnachten will er mich nach Berlin begleiten; jetzt ist der Oktober noch nicht zu Ende. Du hast Muße, Du Gute, Liebe, Dich mit dem Gedanken vertraut zu machen. Ich küsse Dich in brüderlicher Liebe!

Harry.«

      Das also war das Glück!!

      Es kam zu spät. – Sie verbarg das Gesicht in den Händen. Denn nun fühlte sie deutlich, daß es für sie gestorben war.

      VII

      Frau Fanny litt unter dem veränderten Wesen ihrer Tochter; die Diagnose des Hausarztes genügte ihr auf die Dauer nicht; diese völlige Wandlung mußte einen andern Grund haben. Sie quälte ihr Kind, bat es, doch offen zu sein, sich mit ihr auszusprechen, beobachtete sie und suchte auf alle Weise hinter ihr Geheimnis zu kommen.

      So wurden selbst die Stunden zu Hause für sie zur Qual.

      An Harry schrieb Luise:

      »Ich lese Deinen Brief alle Tage; schilt mich nicht kindisch, wenn ich Dich bitte, mir nicht mehr zu schreiben, ehe Ihr kommt. Sieh, so lebe ich in der Stimmung fort, in die ich durch Deine Zeilen kam. Und das ist, glaube ich, gut so. Aus Deinen Karten an die Mutter lese ich, daß es Dir gut geht; was brauche ich mehr zu wissen, da ich ja Deinen Eifer, Dein Herz und Deine Gesinnung kenne.« —

      Aber auch Mohr merkte diese Veränderung; alle Mühe, die er sich mit ihr gab, blieb fruchtlos. Ihr Widerstand war gebrochen, mochte er sie reizen, wie er wollte. Er sann Tag für Tag nach neuen Scheußlichkeiten, peinigte sie maßlos und ohne Erbarmen, verhöhnte und verspottete sie – aber sie blieb gleichgültig, kalt und empfindungslos.

      »Glaube ja nicht, daß du mich los bist, wenn das Jahr um ist!« brüllte er sie eines Tages an, als sie im Begriff war, von ihm zu gehen.

      »Es war so ausgemacht!« erwiderte sie kalt.

      Er lachte laut auf.

      »Habe ich es dir vielleicht schriftlich gegeben? Und selbst wenn: Abmachungen, die gegen die guten Sitten verstoßen, sind nichtig.«

      »Ich wußte, daß Sie ein Schuft sind!« sagte sie völlig ruhig.

      »Vielleicht paßt es mir, dich ein


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