Wie Satan starb . Artur Landsberger

Wie Satan starb    - Artur Landsberger


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Aber ich wußte gar nichts von diesem Zimmerwechsel und mir scheint, daß auch die Dame ihn übersehen hat.«

      »Wieso? Was soll das heißen?«

      »Ich hatte eben den Vorzug, einen Blick in Zimmer Nr. 43 zu werfen.«

      »Da wohnt jetzt Rittmeister von Droste.«

      »Gewiß. Aber es scheint, daß der Name nicht viel zur Sache tut.«

      »Wieso? Was meinen Sie?«

      »Die Uniformen der beiden Herren sind einander wohl zu ähnlich.«

      »Der eine ist neunter, der andere vierzehnter Dragoner.«

      »Dann scheint die Dame sich in der Nummer der Achselklappen geirrt zu haben«

      »Inwiefern?«

      »Nun, jedenfalls befindet sie sich zurzeit auf Zimmer Nr. 43.«

      »Bei Rittmeister von Droste!« rief der Oberst laut und lief mit rotem Kopf den Korridor hinunter.

      Der Direktor klärte inzwischen Frau Julie auf, und während sie am Arme Johanns und der Zofe die Treppe hinaufstieg, hörte man, wie der Oberst mit beiden Fäusten an die Tür von Zimmer 43 klopfte und laut rief:

      »Herr von Droste! Herr von Droste! schämen Sie sich! Bedenken Sie, was das für einen Skandal gibt! Wo wir doch alles vermeiden sollen, was irgendwie Aufsehen macht.« Gleich darauf öffneten sich die meisten Flurtüren und neugierig äugten die Hotelgäste beiderlei Geschlechts nach dem Zimmer, vor dem mit krebsrotem Gesicht Hände ringend der Oberst stand.

      »Da haben wir’s!« sagte er entsetzt, als er die vielen Menschen sah. Und in das Zimmer hinein rief er: »Wenn Sie wüßten, was Sie angerichtet haben!«

      Frau Julie war inzwischen an der Tür ihres Sohnes angelangt. Von den Vorgängen im unteren Stock hatte sie in ihrer Bewegtheit kaum etwas verstanden.

      »Soll ich nicht . . .?« fragte Johann.

      »Nein! nein!« erwiderte Frau Julie. »Ich bin schon . . .« Und sie klopfte zaghaft an und schloß die Augen, als sie die Stimme ihres Sohnes hörte, der laut »Herein!« rief. Und da sie nicht öffnete, so sagte er es noch einmal.

      Frau Julie griff mit zitternder Hand nach der Klinke. Sie versuchte, sie herunterzudrücken. Es gelang ihr nicht. Sie wandte sich an Johann. Der nahm mit Takt ihre Hand herunter und öffnete die Tür.

      »Jean!« rief Peter erfreut und sah Frau Julie nicht, die dahinter stand. »Guter, alter Freund!« sagte er und ging auf ihn zu, nahm ihn bei beiden Händen und zog ihn ins Zimmer. Frau Julie war zur Seite getreten. Die Tür blieb offen. »Also Sie leben noch! Sehn Sie mal an! Jünger sind Sie nicht geworden. Aber der brave, alte Jean sind Sie doch geblieben. Innerlich unverändert! Was, Jean? Wir sind einander nicht fremd geworden?«

      »Will’s nicht hoffen, Herr Doktor,« erwiderte Johann.

      Und draußen stand Frau Julie und lauschte beglückt der Stimme ihres Sohnes, die sie fünf Jahre lang nicht mehr gehört hatte.

      »Ja, was bringen Sie? Kommen Sie allein? Haben Sie mir was auszurichten?« fragte er lebhaft.

      »Ich bringe Ihnen etwas sehr Wertvolles,« erwiderte Johann und Peter verstand sofort und rief:

      »Die Mutter! Wo ist sie?«

      Johann wandte sich zur Tür.

      »Mutter!« rief Peter laut und innig auf den Flur hinaus. Die stand zitternd an der Wand und sagte ganz leise:

      »Mein Junge!«

      »Mutter!« rief Peter und stürzte hinaus. »Da! da bist du! – Ja, ja, du bist es! Mütterchen, mein Mütterchen, so komm doch! – So! Ganz fest in meine Arme. Ich bin ja da! – Du! – Bei dir! Mein bestes, gutes Mütterchen! – Wie das wohl tut! So! so! fest schmiege dich an mich. – Und so bleiben wir nun für immer. Ganz dicht beieinander, Mutter! hörst du? Unser ganzes Leben lang.«

      »Ja, mein Junge!« erwiderte Frau Julie leise und streichelte ihn mit zitternden Händen. »Das wiegt die ganze Trennung und alle Schmerzen auf. Halte sie nur fest, deine alte Mutter.«

      Umschlungen, wie sie gestanden hatten, gingen sie jetzt in Peters Zimmer. Er half Frau Julie in einen tiefen Sessel und setzte sich ihr zu Füßen. Johann ging diskret aus dem Zimmer und schloß die Tür. Peter legte den Kopf in Frau Julies Schoß und sie streichelte ihn mit ihrer weißen, schmalen Hand, lächelte beglückt vor sich hin und flüsterte lautlos:

      »Ich habe ihn! Ich habe ihn, Ferdinand! Unsern guten Jungen! Du kannst ganz ruhig sein. Er ist bei mir!«

      Und Peter, in dem alles aufgewühlt war, schmiegte sich fest an Frau Julie. Er fühlte sich geborgen. Hatte er doch einen Ort, zu dem er von nun an jederzeit sein Leid tragen konnte.

      Draußen stand Johann und wischte sich mit seinem Leinentuch dicke Tränen aus den roten Augen.

      VI

      Was Frau Julie an ihrem Sohne erst rührte, dann nachdenklich stimmte und schließlich beängstigte, war die Weichheit und Schwere, mit der er an alle Dinge herantrat. Die Tiefgründigkeit, mit der er auch Belanglosigkeiten bis auf die letzten Zusammenhänge nachspürte, trug deutlich schon die Spuren von Schwermut an sich. Ganz im Gegensatz zu früher, wo sie ihn oft übereilter Entschlüsse und seiner gar zu schnellen Urteile wegen, die er über Menschen und Taten fällte, tadeln mußte, sagte sie ihm jetzt immer wieder:

      »Nimm doch nur nicht alles so entsetzlich schwer.«

      Peter seufzte dann nur und sagte:

      »Ach, Mutter, wenn du wüßtest!«

      Und wenn sie ihn dann fragte:

      »Was denn, mein Sohn?« dann gab er zur Antwort:

      »Wie die Menschen leiden müssen.«

      »Du hast soviel durchgemacht, mein Junge, und mußt nun zunächst mal an dich denken.«

      »Was gibt es da zu denken, Mutter? Ich bin doch da, mir fehlt nichts; es quält mich niemand und ich habe dich. Es ist fast zuviel für einen Menschen.«

      »Gewiß, Peter, du hast es gut. Aber du mußt auch weiter denken. Jeder Mann in Deutschland zählt jetzt doppelt. In ein paar Wochen wirst du vermutlich wieder in der Heimat sein und eine deinem Berufe entsprechende Verwendung finden.«

      »Soweit bin ich noch nicht, Mutter. Weißt du, am Tage, da geht es schon; obschon es mir auch da noch oft so ist, als wenn mein Körper und mein Geist nicht eins wären.«

      »Wie meinst du das?« fragte Frau Julie.

      »Ich weiß wohl und fühle es ja auch, daß ich hier bin; körperlich bestimmt. Das steht ja fest. Aber das bin nicht ich. Denn das, was den Menschen ausmacht, das Gefühl, das Geistige, das ist da unten bei ihnen.«

      Frau Julie suchte es ihm auszureden. Aber er blieb dabei.

      »Ich fühle es ja doch, wenn ich aus Not hier mit Freunden, Kameraden oder Fremden bin. Dann komme ich mir vor wie eine leblose Masse. Worüber die andern sich unterhalten, was sie wichtig nehmen und womit sie sich freuen, das empfinde ich überhaupt nicht. Selbst wenn ich Musik höre, auf die ich doch früher so stark reagierte – gewiß! es entgeht mir keine Note und ich merke auch jeden falschen Ton – aber es bleibt außen, es trifft mich nicht. Ach, Mutter, ich weiß ja nicht, ob du mich verstehst; mir ist, als wenn Seele und Körper sich in mir getrennt hätten. Und die Seele, die da unten blieb, sehnt sich nun den Körper herbei; genau wie der Körper unter der Trennung leidet und sich nach der Seele sehnt.«

      Geisteskrank! hätten vermutlich die Psychiater erklärt. Frau Julie aber verstand ihren Sohn und wußte, daß er das nicht war. Sie war feinfühlig genug, um den Gedankengängen ihres Sohnes zu folgen. Zur Ergründung seines Zustandes bedurfte es keiner tiefgründigen Psychoanalyse. Die Synthese war ja doch sonnenklar. Ganz kraß gedacht, befand sich im Unterbewußtsein Peters aufgepeitschte Seele noch immer an dem Ort ihrer Leiden; nicht infolge krankhafter Vorstellung; vielmehr, wenn Unterbewußtsein Leben bedeutet, in Wirklichkeit. Genau wie die Hunderttausende, die man als unheilbar hinter verschlossenen Gittern hielt, weil sie die Schrecken der Schlachten nach


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