Wie Satan starb . Artur Landsberger

Wie Satan starb    - Artur Landsberger


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den Kopf nach vorn gebeugt, stand er, schwer atmend, mit geschlossenen Augen da.

      »Herr Oberleutnant!« durchschnitt es schrill wie eine Granate die Luft und traf Peter, der einen Augenblick lang am ganzen Körper zitterte und dann wie leblos zu Boden fiel.

      Die Aufmerksamkeit war erregt. Niemand hatte von dem Vorgang etwas bemerkt außer der Dame, die Takt und Ruhe wahrte, dem Arzt, der in nächster Nähe, und dem rangältesten Offizier, der in einiger Entfernung stand.

      »Wie dumm!« dachte die Dame und schüttelte den Kopf.

      »Hätte sie ihn an die Hand genommen und auf ihr Zimmer geführt – noch heute wäre der arme Reinhart gesund geworden!« dachte der Arzt.

      »Skandal! ein Skandal!« rief der rangälteste Offizier und stürzte, ohne sich um Peter zu kümmern, auf die Dame zu. Dann nahm er Stellung an, legte die Hand an die Mütze und sagte: »Verzeihen, Gnädigste, diesen ganz unerhörten Vorfall. Der Herr Oberleutnant wird sich bei Ihnen entschuldigen und auf das allerstrengste bestraft werden.«

      Neugierig standen alle herum.

      »Aber ich weiß gar nicht,« sagte die Dame und suchte Peter zu retten. »Was ist denn eigentlich vorgefallen?«

      »Ja, haben Gnädigste denn nicht bemerkt?«

      »Was?« fragte die Dame.

      Der Offizier sah dupiert erst die Dame, dann die Menschen an, die ihn neugierig umstanden.

      Der Arzt rettete die Situation und sagte:

      »Der Herr Oberstleutnant glaubte, daß der Offizier Sie beim Fall berührt oder gar verletzt habe.«

      Arzt und Dame verständigten sich sofort durch einen Blick.

      »Der arme Mensch ist krank,« sagte er. »Und statt ihn zu bestrafen, sollte man lieber dafür sorgen, daß er gesund wird.«

      »Dafür scheint mir dieser Oberst kaum der richtige Mann zu sein,« erwiderte die Dame.

      »Gewiß nicht! Aber auch der Arzt vermag hier nicht zu helfen.«

      »Hat er keine Familie? Keine Eltern?«

      »Gewiß! eine sehr kluge und liebevolle Mutter. Aber auch hier hilft nur eins.«

      »Nämlich?«

      »Die Frau!«

      Die Dame errötete – oder sie tat doch so. Jedenfalls sah sie zur Erde, und da der Arzt schwieg, so fragte sie:

      »Jede Frau?«

      »Nein! Eine bestimmte! Oder doch ein bestimmter Typ. Eine, bei der sich – wie soll ich sagen? – der Funke entzündet,« er schwieg, dann sagte er mit gedämpfter Stimme:

      »Wie es bei Ihnen der Fall war.«

      Was er noch sagte, hörte sie kaum. »Die Schmerzen, an denen er leidet, können nur durch eine große Leidenschaft enden. Das große Mitleiden mit andern, das ja der selbstloseste aller Schmerzen ist, kann nur durch das egoistischste Empfinden, die Liebe, geheilt werden.«

      »Ein interessanter Fall, jedenfalls!« sagte die Dame, die ihn gar nicht verstand.

      »Interessant genug, um sich mit ihm zu befassen,« erwiderte der Arzt und stellte sich vor.

      »Wer ist er?« fragte die Dame.

      »Dr. von Reinhart, aus einer der ersten Berliner Familien. Er war Regierungsassessor in Südwest; in Dahomey gefangen.«

      »O Gott, der Aermste!«

      »Unter den dortigen Eindrücken steht er noch heute. Sie müssen durch andere, stärkere, ersetzt werden.«

      »Ich verstehe,« sagte die Dame.

      Der Arzt mußte lächeln und sagte:

      »Nun also.«

      Sie waren vor dem Hotel stehen geblieben.

      »Wollen wir nicht hineingehen?« fragte die Dame.

      Der Arzt trat einen Schritt zur Seite und sagte:

      »Bitte!«

      Die Dame ging ein paar Schritte hinauf, dann blieb sie stehen, sah sich um und sagte zu dem Arzt:

      »Ja, wo bleiben Sie denn, Herr Doktor?«

      »Ich?« erwiderte der und tat erstaunt. »Ich sagte Ihnen doch, gnädige Frau, daß der Arzt hier nicht helfen kann.«

      Sie lächelte und sagte:

      »Nun, dann muß ich eben allein gehen.«

      Sie nickte ihm noch einmal zu und eilte dann rasch die Treppen hinauf.

      Der Arzt sah ihr nach und lachte.

      Mit rotem Gesicht und offensichtlich noch immer in großer Erregung stürzte der Oberst auf ihn zu.

      »Was sagen Sie nur zu der Blamage!« rief er laut. »Ein deutscher Offizier vergißt sich derart!«

      »Aber, Herr Oberst!« suchte der Arzt ihn zu beruhigen.

      »Die Sache ist ja nicht halb so schlimm.«

      »So?« widersprach der Oberst. »Die Dame gehört zur allerbesten Gesellschaft. Meine Frau und ich verkehren mit ihr. Ihr Mann steht an einflußreicher Stelle! Wenn das einen Skandal gibt! – Wie fangen wir es nur an, ihr Genugtuung zu verschaffen? Seine Bestrafung allein wird ihr nicht genügen!«

      »Genugtuung?« wiederholte der Arzt und sah den Obersten groß an.

      »Ja!« wiederholte der mit martialischer Geste.

      »Herr Oberst können beruhigt sein. Die verschafft sie sich bereits selbst.«

      Der Oberst riß den Mund auf und sagte:

      »Wa . . .?«

      Der Arzt legte die Hand an die Mütze, ließ den Oberst stehen und verschwand.

      V

      Die nächsten beiden Tage, die Peter in der Gesellschaft der Dame verbrachte, vergingen schnell. Es wurde nicht viel gesprochen; um so mehr gehandelt. Und die wenigen Stunden, die er dann allein war, saß er meist unter Ausschaltung aller Gedanken auf seinem Balkon oder im Garten. Seine Kameraden sah er nur zu den Mahlzeiten. Oberflächliche Reden, an denen er sich selten beteiligte und die für die meisten andern ausreichende Zerstreuung waren, übten auf ihn keinerlei Wirkung.

      Sein wahres Leben, das des Unbewußten, das sich bei ihm vor Tagen noch so stark an die Oberfläche gedrängt hatte, dies durch den Sexualtrieb wieder ins Unterbewußtsein verdrängte Leben, lebte er jetzt nur in seinen Träumen. Da sah er in den Gefangenenlagern Dahomeys wieder, wie seine Kameraden unter Aufsicht und auf Befehl französischer Offiziere von den Schwarzen bespien, getreten und halbtot geprügelt wurden. Zerfetzt sah er sie in die Knie sinken und mit letzter Kraft die Arme ausgebreitet, hörte er sie immer wieder rufen:

      »Rette uns, Peter! Komm! hilf uns!«

      Aber schnell fand er am nächsten Morgen in die Wirklichkeit zurück. Es war ein Rausch, nicht mehr, an dem weder das Herz, geschweige denn die Seele irgendwelchen Anteil hatten. Herz und Seele waren zerrissen und außerstande, zu lieben. Aber der Rausch betäubte ihn und er fühlte die Schmerzen nicht.

      Als er am dritten Morgen in Engelberg erwachte, brachte man ihm ein Telegramm, darin stand, daß seine Mutter tags zuvor von Berlin abgereist sei und im Laufe des Tages eintreffen werde.

      Sonderbar! Diese Nachricht wirkte so anders als vor Tagen am Morgen nach seiner Ankunft in Luzern das erste Telegramm seiner Mutter gewirkt hatte. Um den unmittelbar-innerlichen Zusammenhang zu ihr herzustellen, mußte er mühevoll erst allerlei Gedanken verdrängen. Und je mehr er das tat, um so deutlicher fühlte er, daß ihm schwer ums Herz wurde. Die Liebe für seine Mutter saß tief da, wo in nächster Nähe auch das große Leid seine Stätte hatte. Und nun, da er an diesem Gefühl rührte und sich durch seinen äußern Rausch hindurch den Weg zu diesen Tiefen bahnte, fühlte er deutlich auch schon wieder jenes leidenschaftliche Mitleid mit seinen ehemaligen Kameraden sich regen. Er kämpfte dagegen an, und, um sich abzulenken, öffnete er ein Kuvert, das ihm der Diener zugleich mit dem Telegramm gebracht hatte. Es war ein Befehl, der ihn vormittags


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