Das Mormonenmädchen Zweiter Band. Balduin Möllhausen

Das Mormonenmädchen Zweiter Band - Balduin Möllhausen


Скачать книгу
und sich zu diesem Zweck den Rock ausgezogen und über die Schulter geworfen habe.

      Offenbar hatte Raft dergleichen noch nie in seinem Leben gesehen und wußte daher nicht, was er von der seltsamen Erscheinung denken solle. Jedenfalls glaubte er aber, den Nagel auf den Kopf zu treffen, als er sie zuletzt für ein altes Schnitzwerk hielt, welches ursprünglich dazu bestimmt gewesen, als Gallion den Bug irgend eines Schiffes zu schmücken; denn nachdem er sich vornübergeneigt, um der Puppe unter den Hut zu schauen, der ihr etwas in die Augen gefallen war, wendete er sich mit einem sehr bezeichnenden und zufriedenen Kopfnicken wieder dem Seesturm zu.

      Das Bild mußte einen tiefen Eindruck auf ihn ausüben, denn indem er auf dasselbe hinstarrte, ballten sich seine Fäuste krampfhaft, während seine von den zusammengezogenen buschigen Brauen fast ganz bedeckten Augen wild glühten und die Narbe purpurroth anlief.

      »Originell! – Verdammt! – Originell!« zischte es leise zwischen seinen Zähnen hindurch.

      Dies waren die einzigen Worte, die in den nächsten zehn Minuten gesprochen wurden. Die drei Männer saßen so steif und regungslos da, als wenn sie nicht mehr Leben besessen hätten, wie die Gliederpuppe, die sie zu verhöhnen schien, oder das Pferd, welches sich, wie vor lauter Uebermuth, den einen Hinterschenkel verrenkt und aus dem Wirbel gedreht hatte.

      Weatherton schaute sinnend vor sich nieder und spielte mechanisch mit einem blauen Zeichenstift, welcher so lange vor ihm auf dem Tische gelegen hatte; Falk’s Blicke dagegen hatten sich allmälig auf Raft gerichtet, und wenn auch die abenteuerliche Geschichte, in welche er jetzt mit verwickelt war, seine Phantasie erfüllte, so ergötzte ihn doch nebenbei die Art und Weise in welcher jener seine Bewunderung an den Tag legte.

      Wurde nun dem alten Bootsmann das anhaltende Schweigen zu drückend, oder vermochte er die durch das Bild in seiner Brust wach gerufenen Gefühle nicht länger zu bemeistern, genug, er sprang plötzlich geräuschvoll empor, und seine geballte rechte Faust in die linke geöffnete Hand schmetternd, wendete er sein leuchtendes Gesicht dem überraschten Maler zu.

      »Herr!« rief er aus, »Ihr seid der erste Künstler der Welt, schade drum, daß Ihr keine Theerjacke geworden seid! Verdammt! hättet es zum Commodore gebracht! Schaut her, Lieutenant Dickie!« fuhr er in seiner Erregung fort, »ist das nicht ein Himmel, um alle Mann an Deck zu pfeifen und den letzten Lappen Linnen einzuholen? Bei Gott! ein Wetter, zum Beilegen und vor Top und Takel-Treiben! Und dann die Seen, Dickie! Wie sie die weißen Perrücken so stolz tragen! Verdammt! ist ein Bild für’n Seemann und keinen Andern! Hängt’s im Hause einer Landratte auf, und ich will mich gleich daneben hängen lassen, wenn die Gesellschaft in den ersten vier Wochen vor lauter Seekrankheit aus den Federbetten kriecht! Das ist originell! Ihr seid ein Gentleman, Herr!« eiferte er weiter, indem er zuerst auf den treibenden Mast und dann auf den fernen Punkt deutete, der ein Segel vorstellen sollte; »habe manches gemalte Fahrzeug gesehen in Schaufenstern und bei Hausirern, aber dies sind die beiden ersten, die seegerecht gemalt sind! Am besten ist hier das vordere, von dem nur noch das Wrack vom Mast flott ist! Originell! Bei Gott! sehe es anprallen und sich die Nase an das Riff stoßen! Auch das Segel dort hinten ist nicht schlecht, kann’s nicht recht ausmachen; scheint nur noch zu viel Leinwand zu tragen für die Bö; und sogar noch ein Topsegel; werden’s aber einholen! Höre den Capitän: »Alle Mann zum Bergen! Herunter mit dem Topsegel! Alle Hand fertig zum Stengenstreichen!« Gebt mir Euer Fernglas, Herr!« wendete Raft sich jetzt in seiner fieberhaften Aufregung an Falk; in demselben Augenblick schlug er sich aber auch schon mit der Faust vor den Kopf, worauf er Weatherton dienstlich grüßte.

      »Verzeihung, Lieutenant,« sagte er mit komischer Verlegenheit, »ist mir doch die Lothleine etwas durch die Hände geschlippt.«

      »Schadet nicht, schadet nicht, Jim,« entgegnete Weatherton freundlich, seinem alten Gefährten die Hand reichend, welche dieser in seinen beiden Fäusten fast verschwinden ließ, »bin ja nicht Commandant hier, mußt es schon mit unserm Freunde ausmachen.«

      »Und ich muß gestehen,« nahm Falk das Wort, »daß mir nichts Schmeichelhafteres hätte gesagt werden können. Das Urtheil eines so alten erfahrenen Seemannes über dieses Bild stelle ich höher, als das Gutachten mancher Kunstfreunde und Kunstkenner.«

      »Hab’ ich’s nicht gesagt, Dickie?« versetzte Raft mit rührender Vertraulichkeit, indem er auf den Maler deutete, »hab ich’s nicht gesagt, er sei ein Gentleman vom Spiegel bis zum Stern? Merkte es schon gestern Abend, als ich ihn ansegelte und er mir dafür kunstgerecht den Wind abgewann.«

      Nach dieser Erklärung ließ er sich auf seinen Stuhl nieder und balancirte denselben dann mit seiner ganzen Last wieder an den Tisch.

      Raft’s letzte Bewegung schien gewissermaßen das Signal zur Fortsetzung der unterbrochenen Berathung gegeben zu haben, denn er hatte sich kaum beruhigt, da wendete Weatherton sich sogleich an Falk.

      »Was Ihr durch einen so merkwürdigen Zufall erfuhret,« hob er an, »beweist nur, daß ich nicht irrte, indem ich muthmaßte, es sei nicht nur auf eine Täuschung des jungen hülflosen Mädchens abgesehen, sondern auch auf eine Uebervortheilung oder Beraubung desselben.«

      »Ihr sagtet doch wohl, es befände sich in ihrer Umgebung eine Dame; haltet Ihr diese ebenfalls für treulos?« fragte der Künstler.

      »Eben so treulos, ja noch treuloser, als alle Uebrigen;« antwortete Weatherton schnell. »Dieselbe ist eine alte, eitle Person, die sich offenbar nur deshalb zum Mormonismus belehrte, um ihre Tage nicht unverheirathet beschließen zu müssen. Habe ich sie richtig durchschaut, so rechnet sie darauf, die zweite oder dritte Gattin Desjenigen zu werden, dem das junge unschuldvolle Wesen geopfert werden soll. Sie will heirathen und zugleich Vortheil von dem nicht unbedeutenden Vermögen ihrer Schutzbefohlenen ziehen.«

      »Es ist schändlich,« versetzte Falk mit einer Geberde des Abscheus, »ich glaube indessen kaum, daß in diesem Falle, so ganz ohne alle Beweismittel, von den Gerichten Beistand zu erwarten wäre.«

      »Auch ich bezweifle das,« pflichtete Weatherton bei, »darum aber habe ich mir eben die Aufgabe gestellt, Alles aufzubieten, um dergleichen Beweismittel zu erlangen.«

      »Könnte man der jungen Dame aber nicht die Augen öffnen und ihr mit klaren Worten das Loos beschreiben, welches ihrer am Salzsee harrt, und welches verwerfliche Spiel man mit ihrer Person und ihrem Vermögen treibt?« fragte Falk sinnend.

      »Mr. Falk,« erwiderte der Officier, indem er seine Hand fest auf des Künstlers Arm legte; »ich habe es mir oft genug und zwar fest vorgenommen, ja, in der That schon oft den Anfang damit gemacht, allein ich für meine Person fühle mich der Aufgabe nicht gewachsen, ihr dergleichen Eröffnungen zu machen. Ihr und ich, wir kennen uns erst seit einigen Stunden, aber ich weiß, daß auch Ihr bei dem Versuch, sie über Alles aufzuklären, in Verlegenheit gerathen würdet.«

      »Ich bezweifle, daß ich in einem so dringenden und wichtigen Falle von einem derartigen Versuch abstände,« versetzte Falk.

      »Ihr würdet es,« entgegnete Weatherton mit eigenthümlicher Wärme; »wer weiß, die Gelegenheit dazu mag Euch geboten werden, da Ihr mir Eure fernere Hülfe für das arme unglückliche Opfer zugesagt habt. Und wenn Ihr dann vor ihr steht, und sie blickt Euch an mit ihren großen, blauen, unschuldvollen Augen, und Ihr vernehmt ihre Worte, die von einer so reinen Frömmigkeit, von einer so innigen Zuversicht in Gottes Allmacht und Weisheit zeugen, dann wagt es, zu dem kindlich holden Wesen von jenen heidnischen Gebräuchen zu sprechen, die wohl im grauen Alterthum, aber nicht in der heutigen gesitteten Welt ihre Entschuldigung finden. Wagt es, und wenn Euch die Worte nicht auf der Zunge erstarren, wenn Ihr nicht zurückschreckt, wie vor der Entweihung eines Heiligthums, dann will ich einräumen, daß Ihr mehr Mannes seid, als ich, und daß ich das Herz eines furchtsamen Schulknaben besitze.«

      Während Weatherton dieses mit heftiger Erregtheit sprach, hatte Falk ihn aufmerksam von der Seite beobachtet. Er errieth offenbar die Gefühle, welche dem jungen Seemanne seine Handlungsweise verschrieben, denn ein kaum bemerkbares Lächeln der Theilnahme und des Verständnisses glitt flüchtig über seine ernsten, wohlwollenden Züge.

      »Freilich kann ich Euch nicht unbedingt widersprechen,« sagte er nach kurzer Ueberlegung, indem er ein Blatt Papier und einen Bleistift zu sich heranzog und mechanisch zu zeichnen begann; »es bleibt


Скачать книгу