Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt
vernachlässigen muss. Er will Dir den Vorschlag machen, das Stück zu verkaufen; es gäbe prächtige Bauplätze zu Villen und würde gut bezahlt werden, meint er, ich aber finde, dass die Landhäuser ganz gut auch wo anders stehen können, und möchte das Grundstück lieber Deinen Leuten geben, die gern in der Nähe der Spinnerei bauen wollen.«
»Ach – verschenken, Käthe?«
»Fällt mir nicht ein. Du brauchst gar nicht so spöttisch mitleidig zu lächeln, Moritz. Ich werde mich wohl in der Villa Baumgarten mit ›Sentimentalität und Überspanntheit‹ blamieren! … Übrigens wollen ja die Leute auch gar kein Geschenk oder Almosen, wie Doktor Bruck sagt –«
»Ei, ›wie Doktor Bruck sagt‹? Ist der auch schon Dein Orakel?« rief Flora, aus den Kissen emporschnellend – sie fixierte über das Buch hinweg scharf, mit einem rätselhaft wechselnden Ausdrucke das Gesicht der Schwester; es errötete allerdings für einen Augenblick tiefer, aber die Augen erwiderten den blinzelnden Blick fest, mit kaltem Ernste. »Ich weiß auch, welchen Wert das Selbsterworbene hat – was ich mir selbst erringen kann, ziehe ich dem bestgemeinten Geschenke weit vor«, fuhr sie fort, ohne auf Floras Einwurf zu antworten; »und schon aus dem Grunde sollen die Leute zahlen, genau das zahlen, was sie für Deinen Grund und Boden geben wollten.«
»Da machst Du ja brillante Geschäfte, Käthe«, lachte der Kommerzienrat. »Mein steriles Stück Uferland wäre schon mit der Summe, die darauf geboten worden ist, schlecht genug bezahlt gewesen – nun gar der prächtige Gartenboden neben der Mühle! … Nein, Kind, so gern ich auch möchte – mein vormundschaftliches Gewissen gestattet mir nicht, Dich auch nur für eine Stunde majorenn sein zu lassen.«
»Nun, da mögen sich die Baulustigen einstweilen behelfen, wie sie können«, sagte sie weder überrascht, noch ärgerlich. »Ich weiß, ich werde in drei Jahren darüber noch genau so denken, wie heute, dann aber kann es sich schon ereignen, dass ich auch noch den dummen Streich mache, den Leuten das Baugeld ohne Prozente vorzustrecken.«
Sie grüßte ruhig lächelnd und ging hinaus.
7
Langsam stieg sie die gewundene Treppe hinab, die zur oberen Hälfte das Mauerwerk so schmal durchschnitt, dass sich wohl nur der Schemen der wandelnden Ahnfrau an dem Herabsteigenden vorbeizudrücken vermochte. … Die arme Ahnfrau, hier hatte sie nichts mehr zu suchen, hier war sie verscheucht, und wenn auch der neugebackene Edelmann sie kraft seiner Besitzrechte reklamierte, wenn er auch, um der Auszeichnung willen, dass die gespenstige weiße Frau sich um sein Wohl und Wehe kümmere, noch einmal so tief in seinen strotzenden Geldsäckel griff, als ihm bereits der Adel gekostet. Drunten hing es an den Wänden, das Rüstzeug ihres ritterlichen Geschlechts, die Waffen, mit denen die alten Recken um Ehre und Schande, um Gut und Blut gekämpft; die hatte sie allnächtlich mit vorübergleitenden Händen gefeit und doppelt gesegnet, je mehr Beulen und Scharten und unheimliche dunkle Flecken feindlichen Blutes sie aufwiesen. Jetzt funkelten und gleißten sie feiernd am Nagel, und das Rüstzeug des neuen Geschlechts im alten Turme waren – die modernen Geldschränke.
Ja, das seltsam fremdartige Element, das drüben in der Villa durch alle intimen Familiengespräche zitterte – das Geldfieber, der Spekulationsgeist – es war auch hierher in das ernsthaft kopierte Ritterwesen verschleppt worden. Es wehte in der Luft; es schlich treppab, treppauf, und dort die mächtigen, Jahrhunderte alten Humpen auf den Kredenztischen der Halle, sie waren eine Ironie in den weichen Händen der Couponschneider, wie die riesenhaften, neuaufgefrischten Riegel und Vorlegeschlösser in grotesker Lächerlichkeit die eiserne Kellertür bedeckten – sie hüteten die Champagnerflaschen des Kommerzienrats, während droben Tausende und aber Tausende hinter kaum erkennbarem, zierlichem Verschlusse lagen. Das historische Pulver aus dem dreißigjährigen Kriege lag auch noch drunten, lediglich um deswillen von Seiten des Kommerzienrats geduldet, wie Henriette boshaft behauptete, um wissbegierige Besucher nebenbei auch die kostbaren Weinsorten im kühlen, trockenen Turmkeller sehen zu lassen. … Und das war’s, was Käthe den alten Heimatboden, auf welchem ihre Kindheit sich abgespielt, fast unkenntlich machte, dieses Sichsehenlassen, dieses Berechnen des Effektes nach außen in kostspieligen Neuerungen, das fieberhafte Streben, die Welt auch wissen zu lassen, dass das Postament, welches man erklommen, ein goldenes sei – das alles schlug den Geist der ehemaligen alten Firma Mangold geradezu in das Gesicht; sie hatte nie ihren gediegenen Wohlstand als »blendenden Goldregen« aus den altfränkischen Truhen aufsteigen lassen; ebenso wenig durfte zu Bankier Mangolds Lebzeiten die Geldmacht im Familienkreise dominieren; ein so pünktlicher Chef er auch in seinem Kontor gewesen, nie war ihm daheim ein Wort über Geldgeschäfte entschlüpft. Und jetzt! Selbst die Präsidentin spekulierte; sie hatte ihr kleines Vermögen von wenigen Tausenden auch in das große Glücksrad geworfen, das heißt in Aktien angelegt, und fast unheimlich sah es aus, wenn das Gesicht der sonst so kühlempfindenden Frau bei den immer wiederkehrenden Geldgesprächen vor aufgestörter innerer Leidenschaft rot bis über die Schläfe wurde. …
Käthe verließ den Turm und betrat die Brücke. Sie bog sich einen Augenblick über das Geländer und sah forschend in die Wasserflut, als müssten die alten Bekannten, die Zwergobstbäumchen und Beerensträucher, noch an ihren Plätzen stehen, aber sie blickte nur in ihr eigenes Gesicht mit dem Diadem der dicken, braunen Flechte über der Stirn – dieses Mädchen hatte die wundersame Eigenschaft, der Goldfisch der Familie zu sein; das wurde ihr täglich gesagt, als solcher wurde sie respektiert und ausgezeichnet; man suchte ihr begreiflich zu machen, dass sie eben als solcher die braunen Flechten nicht selber ordnen dürfe, dass eine Kammerjungfer nunmehr unumgänglich nötig sei, aber sie hatte sich ernstlich und energisch der Frau Präsidentin gegenüber verwahrt; sie gab ihren Kopf nicht in dergleichen künstlerische Hände – im Frisiermantel stundenlang steif und feierlich wie ein Götzenbild zu sitzen, das brachte sie in ihrem ganzen Leben nicht fertig. … O ja, es war und blieb »über die Maßen hübsch«, reich zu sein, nur durfte der Reichtum nicht unfrei machen; er durfte dem raschen, warmblütigen Menschenkind die regen Hände nicht binden wollen.
Sie hatte die zierlichen Anlagen vor der Ruine verlassen und schritt auf dem wenig gepflegten Wege neben dem weidenbesetzten Flussufer. Noch den Hauch scharfer Winterkälte im Atem und den geschmolzenen Schnee aus den Bergen mit sich schleppend, schossen die Wassermassen lehmfarben neben ihr hin, aber die Elritzen zuckten frühlingslebendig und blank wie Silberstäbchen durch die trübe Flut; an den Weidengerten saßen die weichflaumigen Blütenkätzchen, und unter dem schützenden Laubgebüsch hatte das Leberkraut den ganzen zarten Schmelz seiner himmelblauen Blumen ausgebreitet – die gaben schon einen Frühlingsstrauß. –
Die Blumen in der Hand, wandelte sie langsam weiter bis zu der alten Holzbrücke. … Dort streckte sich Susens Bleichplatz, die mit Obstbäumen bestandene Rasenfläche hin. Der Kommerzienrat hatte Recht gehabt, in dem niedrigen Holzgitter, das den Garten umfriedigte, fehlte kein Stab, und an dem Hause kein Ziegel, kein Brett, auch nicht die kleinste Latte des Weinspaliers. … Und es war doch ein hübsches, altes Haus, die verlästerte Baracke! Es lag so geborgen hinter dem rauschenden Flusse, und der Laubwald im Hintergrunde, der sogenannte Stadtforst, der ziemlich nahe an das Holzgitter heranrückte, gab ihm den anmutig einsamen Charakter einer Försterei. Niedrig war es allerdings; es hatte nur eine Fensterreihe – direkt darüber erhob sich das Dach mit den vergoldeten Windfahnen und den massiven Schloten, von denen der eine in der Tat rauchte – nie gesehene Erscheinung! In dem Hause hatte seit langen Zeiten kein Feuer in Herd und Ofen, kein Licht auf dem Tische gebrannt. Zu des Schlossmüllers Lebzeiten war jahraus, jahrein Getreide in den Stuben aufgeschüttet worden, die Jalousien hatten wie festgemauert vor den Fenstern gelegen, und nur alljährlich bei der Obsternte hatte die streng verschlossene Haustür tagsüber offen gestanden. Da war dann auch die kleine Käthe hineingeschlüpft in die sogenannte Obstkammer, die neben der Küche gelegene weißgetünchte Stube mit dem großen, grünen Ofen, und hatte sich das Schürzchen mit Birnen und Äpfeln gefüllt. … Heute nun waren die Läden zurückgeschlagen, und das junge Mädchen sah zum ersten Mal Glasscheiben blinken in den großen, von Steinrahmen umfassten Fenstern. Das war nun Doktor Brucks Haus.
Ohne zu wissen wie, hatte sie die Brücke überschritten und umging das Gebäude von drei Seiten. Das Herz