Chloes Geschichte. George Meredith
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Chloe's Geschichte
An Robert Musil
Vor fast zwanzig Jahren habe ich die Übertragung dieses vollkommensten Beispieles einer modernen Novelle begonnen und liegen lassen, teils wohl der Schwierigkeiten wegen, denen ich damals nicht gewachsen war, teils aber auch wohl, weil es keine irgendwie adäquate Atmosphäre in dem deutschen Schrifttum gab, in welcher stehend eine Übertragung der Tale of Chloe des großen Meisters die paradigmatische Figur gemacht hätte, die zu sein sie beansprucht. Inzwischen sind die sich als geistige Atmosphäre wähnenden Schwaden zwar noch nicht verzogen, aber im Abziehen, und da und dort gibts eine reine Luft. In ihr stehen die Gebilde Ihrer Kunst, lieber und verehrter Freund. Und ich erinnerte mich lebhafter dieser großen Novelle des Engländers und übersetzte sie, mit besserem Auge, sicherer Hand, als beides ich vor zwanzig Jahren besaß, Ihnen zum Dank und zur Freude.
Erstes Kapitel
Die Ballade hat damals den Herzog von Ochsenschlepp besungen. Und ein zärtliches Interesse für den Adel wird immer voll Hochachtung jenem vornehmen Herrn mit dem Balladentitel eines Herzogs von Ochsenschlepp begegnen, der von Cupidos Pfeilen so in Brand geschossen war, daß er jenes Land- oder Milchmädchen heiratete. Und es war auch nicht der kleinsten Dienste einer, den ihm Herr Beamish, der Beau, damit erwies, daß er gleich am ersten Tage ihrer Ankunft auf den Wells Ihrer ländlichen Durchlaucht, der jungen Herzogin, den Spitznamen gab. Diese glückliche Inspiration eines nie versagenden und nie fehlgehenden Witzes bewahrte eines unserer fürstlichen Häuser vor den Angriffen des Pöbels, der ja immer nur allzu freudig bereit ist, ein glänzendes Wappen zu beschmutzen und zu verunstalten. So aber spricht die Ballade, der wir die Erzählung von der ersten Begegnung und Heirat des Herzoglichen Paares verdanken, von Ochsenschlepp durchaus wohlwollend
und ist darin nicht die Spur einer Absicht, sich lustig zu machen.
Der Historiker in seinen malerischen Beschreibungen der Gesellschaft jener Zeit ist sehr amüsiert über die »Alliancen derer von Ochsenschlepp«. Er hat wohl die Ballade gelesen, aber die Memoiren des Beau Beamish ignoriert. Anspruchsvolle Schriftsteller scheinen eine Abneigung gegen Individuen von der Art des Herrn Beamish zu haben. Da schreiben sie über die Sitten und Bräuche von Wegelagerern, zitieren obskure Flugblätter und Gassenlieder, um ihrer Geschichte Farbe zu geben, lehnen es aber ab, mehr als eine flüchtige Bemerkung unsern privaten Königinnen zu gönnen. – vielleicht weil sie keinen vererblichen Titel haben.
Die Ballade »Vom Herzog und dem Milchmädchen«, die nach einer bestreitbaren Quelle Herr Beamish selber in lustiger Laune verfaßt haben soll, war einst so populär, daß sie den Moralisten zu kritischem Tadel gegen eine Gattung von Gedicht provozierte, das »jede dralle Bauernmagd in Versuchung bringe, ein Auge in der Bausbacke zu verdrehen« in Erwartung einer Adelskrone für ihre Schmerzen und einer Schütte Stroh oder einem Straßengraben als Resultat. Wir möchten solche unheilvolle Wirkung unserer Ballade bezweifeln. Aber daß sie unserem den Adel liebenden Volke und eben der Beliebtheit unseres Adels beim Volke Schaden getan hat, ist sicher, und dies aus dem sonderbaren Grunde, daß sich der Held der Ballade so durchaus anständig benommen hat. Das reine Anbetungsverhältnis, das unserm Volke gegenüber dem Adel eignet, trübt sich merklich, wenn es ein Kind des Volkes sieht, ein junges Mädchen, das da plötzlich durch nichts weiter als hübsche Augen zu den gähnenden Höhen des Luxus und der Eleganz entrückt wird. Man bedenke, daß gemeiniglich die ganz gleichen Eigenschaften eines jungen Mädchens aus dem Volke zu ganz entgegengesetzten Folgen führen, und man wird verstehen, daß das andere dem instinktiven Respekt Schaden tut.
Sonst ist die Ballade unschuldig, sicher unschuldig beabsichtigt. Ein frischeres Nationallied wurde nie aus einem hübschen Zwischenfall unseres Landlebens gewonnen. Die Gefühle sind natürlich, die Bilder passend und voll Erdgeruch und die Musik der Verse klingt an das trägste Ohr. Es riecht nicht nach Lampenruß, hat nichts Fremdes und Hergeholtes und ist was es sein will, das Lied eines heimatlichen Vogels. Ein paar Strophen sollen das zeigen, denn das Ganze ist viel zu lang, um gegeben zu werden.
Süß Susie trippelt durchs mailiche Feld,
Eine Lerche blank über sprießender Saat,
Da erblickt sie am Haag, erstaunt und erschreckt.
Einen Edelmann strahlend in goldenem Staat.
Gold sind die Hosen und Gold ist sein Rock.
Sein Hemd eine Note von fünfzig Pfund,
Bestrahlt von Brillant und Saphir und Rubin,
Und roter Rubin ist sein lachender Mund.
»Hab Angst nicht, Schönste, und gib mir die Hand,
Ich helfe dir springen über den Haag.«
Sie knixte, und sprang an der Hand so gut.
Daß der Pfeil nicht mehr aus dem Herzen mag.
Er behielt ihre Hand in der seinen fest.
Und wie sperrte sie groß ihre Augen auf.
Als der Feinste von allen den adligen Herrn
Hinkniete vor ihr —
Mit einer Rhapsodie über ihre Schönheit informiert er sie nun über seinen Rang, als einem Vorspiel zu dem Vorschlag ehrenhafter und sofortiger Heirat. Er könne nicht warten. Dies sei die schicksalshafte Beschaffenheit seiner Liebe, anscheinend charakteristisch für verliebte Herzöge, wie wir solches wenigstens aus den sichtbaren Zeichen lesen, denn die Gedanken dieser erlauchten und so zurückgezogenen Personen sind noch nicht erforscht worden, ihr Geist ist allzuferne. Wie sie da auf ihren luftigen Höhen stehen sind sie so lesbar dem Haufen unten wie eine Linie Keilschrift in einem alten Schreibvorlagenbuch. Wir kennen sie an ihren Taten, wie die heidnischen Völker ihre Götter. Und es ist wiederholt berichtet, daß sie im Momente des Feuerfangens heiraten müssen, wenn auch den Finger der Dame passender und besser ein Ring vom Bettvorhang umschlösse. Vergebens sagt ihm blauäugige Susanne, wie es sich schickt für ein gewöhnliches Bauernmädchen, daß sie nur ein armes Stallmensch sei. Er jedoch hat das Frauenzimmer bei Hof studiert, in welchem Schmelzofen das Geschlecht bekanntlich eine äußerste Durchsichtigkeit bekommt, und er zählt ihr im einzelnen den Katalog materieller Vorteile auf, die er zu bieten habe. Endlich, nach seinen Versicherungen, daß sie vom Pfarrer getraut würde, wirklich vom Pfarrer und von einem wirklichen Pfarrer, da holt sich Schön Susie der Eltern Zustimmung, die erst lange nicht verstehen, und verläßt sie noch an selben Tages glücklichem Abend, um zu leuchten, eine Blume hängend vom Dorn …
Abgesehen von ihrem historischen Wert könnte die Ballade Beispiel für die Dichter unserer Tage abgeben, die ins mythologische Griechenland oder ein phantastisches und morbides Mittelalter oder – Gott steh uns bei – zu abstrakten Ideen als Themen für ihre Gedichte flüchten, statt unser englisches Leben damit interessant zu machen, daß sie die Schätze beachten, die am Wege liegen. Ein lebendiger geborener Herzog ist den Engländern fünfzig Phoibos Apollos wert, und ein lustiges Bauernmädel, das von zwei Milcheimern zu Rang und Würden einer Herzogin emporsteigt, ist ein weit romantischerer Gegenstand als ganze Scharen von Isolden und Ginevren.
Zweites Kapitel
Einige Zeit nach der Hochzeit kam Seine Durchlaucht der Herzog nach den Wells und gab sich die Ehre, bei Herrn Beamish vorzusprechen, den er seit langem kannte, und teilte ihm den Grund seines Besuches mit.
»Bester Herr und Freund,« sagte er, »zunächst möchte ich Euch bitten, die Strenge Eures Blickes zu mildern. Denn wenn ich mit meinem Hiersein auch Euer Verbot breche, so werde Ich mich ihm doch unterwerfen, wenn ich wieder abreise. Ich könnte ja wirklich den Verlust meiner Spielwut beklagen, von der Ihr mich tatsächlich kuriert habt. Ich war aber damals gegen eine mächtige Leidenschaft in Waffen, die für keinen Augenblick einem Manne gestattet, sein Gelöbnis wieder an sich zu nehmen.«
»Die Krankheit, die im ganzen nur Krisis ist, ich verstehe,« bemerkte Herr Beamish.
»Und die, erfaßt