Die verlorene Handschrift. Gustav Freytag

Die verlorene Handschrift - Gustav Freytag


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mein Vater,« erwiederte die Tochter eifrig. »Du hast Unrecht gegen die Leute. Denn du willst ihnen einen Possen thun. Das kränkt mich in tiefstem Herzen. Und das leide ich nicht an meinem Vater.«

      »Du wirst’s doch leiden müssen,« entgegnete Hummel verstockt. »Denn dies ist ein Streit zwischen Männern, hier finden Paragraphen der Polizeiordnung statt, da bleibe du mit deinen Versen hübsch davon. Was die Namen angeht, so ist wohl möglich, daß andere Wörter, wie Adolar und Ingomar und Marquis Posa, euch Weibern besser klingen. Dies aber ist für mich kein Grund, meine Namen sind praktisch. In deinen Blumen und Büchern will ich dir Vieles zu Gefallen thun, aber Poesie bei Hunden beachte ich nicht.« Damit kehrte er der Tochter den Rücken, bemüht, dieses Streites ledig zu werden.

      Laura aber eilte in die Stube zur Mutter, und die Frauen traten in Berathung. »Der Lärm war arg,« klagte Laura, »aber schrecklicher ist der Name. Mutter, ich kann dieses Wort nicht aussprechen, und du darfst nicht leiden, daß unsere Leute die Hunde so nennen.«

      »Liebes Kind,« versetzte die erfahrene Frau, »man erlebt auf Erden viel Unbilliges, aber am meisten schmerzt, was gegen die Würde der Frauen im eigenen Hause geübt wird. Ich spreche mich darüber nicht weiter aus. Was nun den Namen Bräuhahn betrifft, so hat dieser, welcher, wie ich höre, ein benachbartes Getränk ist, Manches, was zu seiner Entschuldigung gesagt werden kann, und etwas müssen wir darin dem Vater nachgeben. Die andere Bezeichnung aber, darin gebe ich dir Recht, wäre eine Beschimpfung der Nachbarn. Doch wenn der Vater merkt, daß wir hinter seinem Rücken den rothen Hund Phöbus oder Azor nennen, so wird das Uebel ärger.«

      »Den bösen Namen wenigstens soll Niemand in den Mund nehmen, dem an meiner Freundschaft gelegen ist,« entschied Laura und eilte in den Hof.

      Gabriel benutzte seine einsame Muße, die neuen Ankömmlinge zu beobachten. Es zog ihn öfter nach dem Hundestall, dort die irdische Beschaffenheit der Fremdlinge festzustellen.

      »Was ist Ihre Meinung?« frug Laura, zu ihm tretend.

      »Ich habe so meine Meinung,« antwortete der Diener, in die Tiefe des Stalles spähend. »Nämlich in den da steckt doch etwas. Haben Sie heut Nacht den Gesang dieser Raben beachtet? So bellt kein richtiger Hund. Sie winseln und jammern, dazwischen krächzen sie und sprechen wie kleine Kinder. Ihr Fressen ist gewöhnlich, aber ihre Lebensart ist unmenschlich. Sehen Sie, jetzt ducken sie sich, wie auf’s Maul geschlagen, weil die Sonne auf sie scheint. – Und dann, liebes Fräulein, der Name!«

      Laura sah neugierig auf die Thiere. »Wir ändern den Namen in der Stille, Gabriel, dieser hier soll nur der Rothe heißen.«

      »Das wäre schon besser, es wäre wenigstens nicht injuriös für Herrn Hahn, sondern nur für die Kellerwohnung.«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Da doch drüben der Markthelfer Rothe heißt.«

      »Dann also,« entschied Laura, »wird das rothe Unthier von jetzt ab nur das Andere genannt, und so sollen ihn unsere Leute rufen. Sagen Sie das auch den Arbeitern in der Fabrik.«

      »Andres?« versetzte Gabriel. »Der Name wird ihm schon recht sein. Dies Gesindel hat’s nicht gern, wenn es mit ordentlichem Zeichen gerufen wird. Dieses Andere wird am besten wissen, woher das Eine stammt, dem es zugehört. Na, die Nachbarschaft wird meinen, daß er Andreas heißt, damit geschieht ihm immer noch zu viel Ehre.«

      So war billiger Sinn geschäftig, die böse Vorbedeutung des Namens abzuwenden. Vergebens. Denn, wie Laura richtig im Tagebuch bemerkte, wenn der Ball des Unheils unter die Menschen geworfen wird, so trifft er erbarmungslos die Guten wie die Bösen. Der Hund wurde mit dem unscheinbarsten Namen versehen, der gar kein Name war. Aber durch eine unbegreifliche Verbindung der Ereignisse, welche allen menschlichen Scharfsinn höhnte, geschah es, daß Herr Hahn selbst den Vornamen Andreas führte. So wurde der Doppelname des Geschöpfes eine doppelte Kränkung des Nachbarhauses, und Alles schlug zu schrecklichem Unglück um, Tort und gute Meinung kochten zusammen zu einer dicken, schwarzen Suppe des Hasses.

      Gleich in der Frühe, als Herr Hummel vor die Thür trat und trotzig wie Ajax die beiden Hunde mit ihren feindlichen Namen rief, vernahm Markthelfer Rothe im Kellerstock den Ruf, eilte in die Stube seines Hausherrn und meldete diese häßliche Kränkung. Frau Hahn versuchte, die Sache nicht zu glauben, und setzte durch, daß wenigstens eine Bestätigung abgewartet wurde. Aber diese Bestätigung blieb nicht aus. Denn am Nachmittag öffnete Gabriel die Thür des Zwingers und zwang die Geschöpfe, sich auf eine Viertelstunde dem Sonnenlicht des Gartens auszusetzen. Laura, welche unter ihren Blumen saß und gerade nach ihrem stillen Ideal, einem berühmten Sänger, blickte, der mit geölten schwarzen Locken und einem Feldherrnblick vorüberschritt, verzichtete als wackeres Mädchen darauf, ihrem Liebling durch das Weinlaub nachzuspähen, und wendete sich zu den Hunden. Und um den Rothen an seinen neuen Namen zu gewöhnen, lockte sie ihn mit einem Stückchen Kuchen und rief ihm einigemal das ungeschickte Wort »Andres« zu. In demselben Augenblick stürzte Dorchen zu Frau Hahn: »Es ist richtig, jetzt ruft ihn gar Fräulein Laura mit dem Vornamen unseres Herrn.« Frau Hahn fuhr erschrocken an das Fenster und vernahm selbst den Namen ihres lieben Mannes. Sie trat ebenso schnell zurück, denn diese Unmenschlichkeit der Nachbarn preßte ihr Thränen aus, und sie suchte nach ihrem Taschentuch, um diese heimlich vor dem Mädchen abzuwischen. Madame Hahn war eine gute Frau, ruhig, gleichmäßig, mit einer hübschen kleinen Anlage zur Beleibtheit und einer unablässigen Neigung, den Staub der Erde mit weißen Läppchen geräuschlos zu beseitigen. Aber diese Herzlosigkeit auch der Tochter entflammte ihren Zorn. Sie holte augenblicklich ihre Mantille aus dem Schranke und ging zum Aeußersten entschlossen über die Straße in den feindlichen Garten.

      Erstaunt sah Laura von den garstigen Hunden auf den unerhörten Besuch, welcher mit starken Schritten gegen sie eindrang.

      »Ich komme, mich bei Ihnen zu beklagen, Fräulein,« begann Frau Hahn ohne Gruß. »Was in diesem Hause meinem Manne zum Hohn gethan wird, ist unerträglich. Für das Benehmen Ihres Vaters können Sie nicht, aber daß auch Sie sich auf solche Beschimpfungen einlassen, finde ich an einem jungen Mädchen doch zu schrecklich.«

      »Was meinen Sie damit, Madame Hahn?« frug Laura mit flammendem Gesicht.

      »Die Beleidigung eines Menschen durch Hundenamen meine ich. Sie rufen Ihren Hund mit allen Namen meines Mannes.«

      »Das habe ich niemals gethan,« versetzte Laura.

      »Leugnen Sie nicht,« rief Frau Hahn.

      »Ich spreche keine Unwahrheiten,« sagte das Mädchen stolz.

      »Mein Mann heißt Andreas Hahn, und wie Sie dieses Thier nennen, das hört die ganze Nachbarschaft aus Ihrem Munde.«

      Laura’s Stolz bäumte auf. »Dies ist ein Mißverständniß, und der Hund heißt gar nicht so. Was Sie mir sagen, ist ungerecht vom Anfang bis zum Ende.«

      »Wie so ungerecht?« frug Frau Hahn wieder, »am Morgen ruft der Vater, am Nachmittag die Tochter.«

      Auf Laura’s Herz sank eine Centnerlast, sie fühlte sich hinabgedrückt in einen Abgrund von Unrecht und Greuel. Die That des Vaters lähmte ihre Kraft, auch ihr brachen die Thränen aus den Augen.

      »Ich sehe, daß Sie wenigstens nicht ohne Gefühl für das Unrecht sind, das Sie begehen,« fuhr Frau Hahn ruhiger fort, »thun Sie’s nicht wieder. Glauben Sie mir, es ist leicht, Andere zu kränken, aber es ist ein trauriges Geschäft. Und mein armer Mann und ich haben’s um Sie nicht verdient. Denn wir haben Sie aufwachsen sehen vor unsern Augen, und wenn wir auch sonst nicht mit Ihren Eltern in Verkehr stehen, wir haben uns immer über Sie gefreut und in unserm Hause ist Ihnen niemals etwas Böses gewünscht worden. Sie wissen nicht, was Hahn für ein guter Mann ist, aber so etwas durften Sie doch nicht thun. Wir haben, seit wir hier wohnen, aus diesem Hause viele Kränkung erfahren, aber daß auch Sie die Gesinnung Ihres Vaters theilen, das thut mir am allermeisten weh.«

      Laura versuchte umsonst, ihre Thränen zu trocknen. »Ich wiederhole Ihnen, daß Sie mir Unrecht thun, weiter kann ich nichts zu meiner Rechtfertigung sagen, und ich will es auch nicht. Sie haben mich mehr gekränkt, als Sie wissen. Und ich muß darauf vertrauen, daß ich gegen Sie ein gutes Gewissen habe.«

      Mit diesen Worten eilte sie in das Haus, Frau


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