Das Wunderjahr (1566). Hendrik Conscience
einige schimmernde Thränen; er betrachtete Godmaert mit starrem Blicke und, wie mit Stummheit geschlagen Endlich rief er, die Arme gen Himmel erhebend:
»Binnen weniger Tage? O Herr! willst du deine Kirche so bald heimsuchen? Soll ich die Entheiligung deiner Altäre sehen; soll ich meine Ohren verstopfen müssen vor den Lästerungen, die gegen deinen heiligen Namen ausgestoßen werden?«
Und, gegen Godmaert gewandt, fuhr er fort:
»Mein Geist verwirrt sich bei dieser schrecklichen Kunde. Ich weiß nicht, was ich Euch rathen soll, aber ich bitte Euch, ich beschwöre Euch mit gefalteten Händen, Godmaert, bewahret die Tempel, laßt Euch nicht mit den Ketzern ein, als um sie zu bekämpfen, und habt in den Tagen der Gefahr, Euren Gott vor Augen, auf daß Ihr nichts thuet, was Euch zur unverzeihlichen Sünde werde . . . O Herr! Deine strafende Hand ist über uns!«
Er beugte sein-Haupt und versank in schmerzliches Nachdenken, aus welchem Godmaert’s Antwort ihn geweckt hätte, doch ein junges Edelfräulein trat in dem Augenblick in das Zimmer; sobald ihre Blicke auf den Priester fielen, glänzte ihr Antlitz von Freude, und ihren süßen Lippen enteilte der holde Ausruf:
»Ah! Pater Franziskus ist hier!«
Sie näherte sich dem Priester, faßte ihn sorgsam unterm Arme und wollte ihn vom Sitz erheben, indem sie ihn anredete:
»Kommt, guter Vater, Herr Lodewyk Van Halmale ist im Büchersaal. O wie bin ich froh, daß Ihr gekommen seid. Kommt!«
Der Priester betrachtete das junge Mädchen mit väterlicher Zärtlichkeit, und stand, von ihr unterstützt, vom Stuhle auf; er reichte Godmaert die Hand und sprach:
»Ich will mich etwas trösten mit meinen guten Kindern. Ihr, mein Sohn, vergesst meine Worte nicht!«
Von dem Mädchen geleitet, ging er mit wankenden Schritten aus dem Gemache.
Godmaert lehnte sich in seinen Sessel und sprach, den Finger an der Stirne:
»Ja, ich muß den Glauben vertheidigen und die Tempel beschützen: aber die Spanier werde ich nicht fördern und nicht verschonen. Nein, nein, ich muß mich rächen und mein Vaterland von ihnen erlösen: die Ehre gebietet es: ein Kriegsmann wie ich, läßt sich nicht ungestraft verhöhnen . . . «
Nun sank allmählig seine Stimme. Seine Lippen bewegten sich noch, und er sprach sichtbar mit sich selbst, aber die gelispelten Worte waren nicht mehr zu verstehen.
Eine Stunde darnach wurde ihm angesagt, daß das Mittagsmahl im Speisesaal ausgetragen sei; er stand auf, begab sich dahin und setzte sich an das obere Ende der Tafel.
Neben ihm saß seine geliebte, einzige Tochter Gertrud, wahrlich ein köstliches Kleinod unter ihrem Geschlecht. Schönere Gesichtszüge edieren Ausdruck, sittsamere Haltung, mochte man bei keinem andern weiblichen Wesen finden. Ihr Haar war nicht wie bei Andern ober ihr Haupt gewunden sondern fiel an beiden Seiten ihrer rosigen Wangen hernieder, und bildete ihr reizendes Angesicht zu dem schönsten Oval, das je ein Künstler mahlen könnte.
Ein liebliches, heiteres Lächeln schwebte über ihren Lippen und ihre Augen waren mit einer Empfindung, deren sie sich nicht schämte, auf einen Jüngling, der ihr gegenüber saß, gerichtet. Dieser Jüngling war ihr geliebter Lodewyk Er saß anstandsvoll und schweigend da. Die Gegenwart einer Person, die am andern Ende des Tisches sich befand, und deren Blicke ihm eiskalt aufs Herz fielen, hielt ihn ab, mit Gertruden ein liebevolles Gespräch zu führen .
Der den die Liebenden so mit scheuen Blicken ansahen war ein vornehmer Spanischer Herr, der großen Einflußes bei der Statthalterin genoß. Von Godmaert war er stets freundlich behandelt worden; denn gar gefährlich war es, sich den Haß dieses Spaniers auf den Hals zu laden. Ein sammtener Mantel mit goldgesticktem Kragen bedeckte seine Schultern. Sein Dolch war reichlich mit Edelsteinen besetzt, und hing als schillernder Zierrath an seinem Halse.
Immer hatte Valdes Neigung und Liebe für Gertrud gezeigt: doch immer war er höflich abgewiesen worden. Darum heftete er nun neugierig seine Blicke aus den Junker, und verstand die Sprache, die die Liebenden eines in des andern Augen lasen.
Weder Lodewyk noch Gertrud waren dem Spanier hold. Godmaert schien es bloß aus staatskluger Berechnung. So herrschte Anfangs eine große Stille im Saale Godmaert, in der Absicht, seinem lästigen Tischgenossen einige nützliche Aufschlüsse zu entlocken begann das Gespräch mit der Frage:
»Nun, Herr Valdes, was sagt Ihr von den Sachen? Werden die Unruhen bald gestillt seyn?«
»Ach, das weiß ich nicht, Herr Godmaert,« antwortete der Spanier, »doch wäre ich König Philipp, so wollte ich mit dem Pöbel und den wenigen schlechten Edelleuten bald fertig werden!«
»Glaubt Ihr das Valdes?« erwiederte Godmaert – mit verächtlichem Lächeln; »wißt Ihr denn nicht, daß das Vlämische Volk nie mit Gewalt unterworfen worden ist? – Mag Euer König alle seine Soldaten nach einander in die Niederlande senden; mag er alle seine Bewohner nach seinem Gelüsten hinmorden; dann auch wird dieses unser Vaterland noch Feinde aus dem Grabe heraufsenden gegen seine hochmüthigen Unterdrücker.«
»Godmaert, Ihr behandelt unsere Nation nicht gut – Warum wollt Ihr den Spanischen Edlen vorgehen? – Hat unser König keine Gründe sein Volk hochzuhalten?«
»In seinem Lande, ja: in unserm Lande, nein!«
»Arm, wie ihr seid, von dunkler Herkunft, seid Ihr doch zu hoffärtig, um einer so herrlichen Nation wie die Spanier, weichen zu wollen!«
Der alte Godmaert, der solche Sprache von seinem Gaste nicht erwartet hatte, konnte mit all seiner Staatsklugheit nicht länger zurückhalten. Ein brennendes Feuer durchlief seine Adern, und sein Blut drängte sich bis in die Falten seiner Stirne.
Der Spanier, welcher mit Absicht den greisen Vlaming reizte, fuhr mit verstellter Mäßigung fort:
»Nun Godmaert, meint Ihr nicht, daß alle die Aufrührer, die Edelleute, die sich Geusen nennen besser thäten, wenn sie den Spaniern dienten, als daß sie wie Bettler mit schlechten Kleidern angethan den Pöbel zur Unruhe auswiegeln?«
»Valdes!« antwortete Godmaert mit bebender Stimme, »Ihr vergesst, daß ich ein Belge bin. Wollt Ihr mich in meinem Hause verhöhnen? – Sprecht dann gerade heraus!«
»O, Ihr irrt Euch, edler Godmaert,« erwiederte der arglistige Spanier, »Euch und wenige Edle will ich davon ausnehmen, doch unter diesen selbst sind noch viele, die ohne des Königs Gunst, so arm seyn würden, wie die andern.«
»Ihr sagt, daß wir arm sind, Valdes? Hütten wir den Bewohnern einer weit entfernten Welt das Blut bis zum letzten Tropfen abgezapft, wie Ihr es den Amerikanern gethan habt, dann würden auch wie reich seyn. Was die Gleichheit betrifft, die wir mit den Spanischen Edlen fordern, das ist nicht mehr als billig, da wir in unserm eigenen Vaterlande sind. – Daß wir keine fremden Herrn haben wollen, wird die Zukunft deutlicher bezeugen; – und dann werden wir sehen, ob die Spanier so viel Muth haben, als ihre lästernde Anmaßung zu versprechen scheint!«
Der Spanier lächelte mit einem Ausdrucke von Verachtung, und schien großes Vergnügen an dem Zorne des Greises zu finden .
Lodewyk bebte an allen Gliedern. Zehnmal hatte er den Degen, der an seinem Stuhle hing, ungeduldig gefaßt; doch Gertrud’s bittende Blicke hatten ihn abgehalten, dem Spanier den lästernden Mund zu schließen.
Das Mahl war zu Ende. Die Diener, welche die Speisen aufgetragen hatten standen voll banger Neugier, horchend aus das, was gesprochen wurde. Der Geuse befahl ihnen, den Saal zu verlassen und nicht ungerufen wieder zu kommen.
»Gertrud,« sprach er, indem er sich zu seiner Tochter wandte, gehe in den Büchersaal Lodewyk soll dich begleiten.«
Er blieb mit seinem Spanischen Feind allein.
Der Büchersaal war ein geräumiges Gemach und glich dem Chorschiffe einer Kirche. Einige Bände in Folio, die hier und da zerstreut umher lagen, hatten ihm jenen Namen erworben. Passender hätte der Ort die Waffenkammer geheißen, denn mancherlei schwarzgerostete Helme, Harnische, Schlachtschwerter, Waffenröcke und andere Kriegsrüstung hingen da an den nackten Wänden. Einige Gemälde von Franz Floris, Hugo, Van Hoort, Grimmer und andern Meistern,