Das Wunderjahr (1566). Hendrik Conscience
stand ein kleiner Altar, mit einem Kreuze von Ebenholz und einigen Frauenbildern geschmückt. Vor demselben ein Betschemmel, die Stelle, wo Gertrud so manches feurige und reine Gebet zu ihrem Schöpfer emporgesandt hatte.
Die Liebenden traten schweigend in dieß Gemach.
»Lodewyk, Lodewyk!« rief das liebliche Mädchen indem sie in Thränen ausbrach, »ich kann den Hohn, den sie den grauen Haaren meines Vaters anthun nicht länger ansehen. Sie verkürzen durch Schmach und Verläumdung seine Tage! Wie oft sind des Greises Thränen mit den meinigen vermischt, in Strömen über unsere Wangen geflossen . . . «
Nun konnte sie kein Wort mehr sprechen. Schmerzvolles Schluchzen und bittere Seufzer waren Alles, was sie aus Lodewyk’s tröstende Bitten antwortete.
»Gertrud,« sprach er dringend, »o beruhiget Euch nur ein wenig! Habet Geduld in den Schmerzen, die der Herr uns zur Prüfung sendet. Bedenkt, was ich leiden muß, ich der Edelmann mit einem Männerherzen das mir ungestüm in der Brust schlägt . . . « und er weinte mit heftigerem Schluchzen noch als das schwache Mädchen; doch zugleich mit seinen Thränen strömte ein kalter Schweiß vor unterdrückter Wuth über seine Wangen.
Die Jungfrau ließ sich durch seine Worte nicht besänftigen: im Gegentheil, ihre sonst so süßen Gesichtszüge bekamen jetzt einen strengen Ausdruck. Sie rief schluchzend:
»Habt Ihr denn nicht gesehen, mit welcher höllischen Wohllust der Spanier meinen Vater peinigte? Seht Ihr nicht, daß die tägliche Verhöhnung meinen alten Vater dem Grabe zuführt, – und wehe! Niemand, Niemand, der ihn beschützte!«
Eine plötzliche Veränderung ging in dem Junker vor; er richtete stolz sein Haupt empor; aus seinen Augen schossen Blitze männlichen Feuers, und alles offenbarte an ihm die Zeichen der Verzweiflung und des Zorns.
»Wohlan!« rief er in ungestümer Begeisterung aus, indem er vor Gertrud auf die Kniee fiel, »wohlan, Ihr sollt mich der Feigheit nicht beschuldigen. Sagt, was habe ich zu thun? Soll mein Degen Valdes Leib durchbohren? Soll ich Euch das Herz des Spaniers, blutig und rauchend, zum Geschenke bringen?«
Ein Schrei des Entsetzens entfuhr der Brust des Fräuleins: sie sprang zurück und entfernte sich von Lodewyk, wie wenn sein Erbieten sie mit tiefem Schreck durchdrungen hätte. Ihr Antlitz ward traurig, Reue ergriff ihr Herz.
Der Junker verstand die Bewegung der Jungfrau: er gab seinen Zügen den Ausdruck der Ruhe: er trat zu ihr, faßte ihre Hand und sprach zärtlich:
»Wir vergessen uns, Gertrud; wir vergessen die Ermahnungen unsers guten Vaters Franziskus.«
Gertrud brach aufs Neue in Thränen aus. Erschöpft und kraftlos senkte sie, ohne zu antworten, das Haupt auf, die Schulter des Geliebten.
So blieben sie lange, mischten ihre Thränen und schluchzten achtlos wie die Kinder, bis Gertrud, wie aus einem Traume erwachend, ihren Geliebten sanft von sich wies, und niederknieend auf dem Betschemmel, vom Himmel, wohin ihre reine Seele sich im Gebet erhob, einen Trost suchte, den sie an der Brust des Geliebten nicht hatte finden können.
Lodewyk betrachtete seine Gertrud mit Rührung, und lauschte andächtig ihrem Gebete. Beständig trat der Name ihres Vaters, langsam und wehmüthig, über des Mädchens Lippen Lange blieb ihr Haupt auf dem Betpulte, wie in himmlischer Anschauung, ruhend versunken. Der Junker, von Ehrfurcht hingerissen, sank hinter ihr zur Erde, und bezwungen von dem mächtigen Vorbilde, faltete er die Hände und betete mit ihr für das Vaterland.
»Lodewyk, wo seid Ihr?« rief Gertrud endlich, und sah betroffen im Saal umher. Sie gewahrte den Jüngling, wie er mit Liebesblicken sie ansah, – und stand auf. Leise nahte sie dem knieenden Lodewyk und erhob ihn vom Boden.
»Saget,« frug sie, findet Ihr nicht, daß ein reines Gebet den Menschen wie himmlischer Balsam beruhigt?«
Lodewyk bewunderte die plötzliche Veränderung, die er in der Jungfrau Angesicht gewahrte.
»Gertrud,« sprach er, indem er wie bezaubert neben ihr saß, »in meiner Begeisterung hat sich der Himmel mir aufgethan. – Ich habe Euch wie einen Engel vor Gott erblickt!«
»O gewiß,»l antwortete sie lieblich lächelnd, »so kann eine gottesfürchtige Seele sich jederzeit mit Gott vereinigen, und da, den Schranken der Welt enthoben, einen Vorschmack der himmlischen Freude genießen. Diese Wohllust kennen die Gottlosen nicht!«
Der-Jüngling heftete bewundernd seine Augen auf die Geliebte. »O! wie rein ist Eure Seele, Gertrud!« rief er aus. »Auf Euer Gebet wird der Herr unsere Liebe segnen.«
»Ja, Lodewyk, ich hoffe, daß der Kelch der Schmach bald von meines Vaters Hause werde gewendet werden, – und dann . . . «
»Und dann,« fügte der Jüngling hinzu, »werden wir den Segen eines Priesters auf uns herabrufen und gemeinsam in Liebe und Sorge die Tage unsers alten Vaters verlängern . . . «
Ein jungfräuliches Erröthen färbte die Wangen des Mädchens. Einige Augenblicke stand sie mit niedergeschlagenen, Augen da. Dann, das Gespräch ablenkend, frug sie:
»Aber, Lodewyk, sollte es dennoch wahr seyn? Gilt es unserer Religion bei dem Aufstande gegen die Spanier? Welches schreckliche Bild hat uns Pater Franziskus vorgeführt! Er weinte, er die Güte selbst!«
Bei diesem Ausrufe brachte sie ihren zarten Finger an ihre Augen, um eine Thräne der Erinnerung zu zerdrücken.
»O Gertrud,« antwortete Lodewyk, »der heilige Mann betrügt sich nicht in seinem Vorgefühle. Ihr kommt nie aus Eurer Wohnung; aber solltet Ihr den Zustand unserer Stadt kennen! Kaum darf man noch bekennen, daß man der wahren Kirche anhangt. Die Ketzer sind Meister gewordene sie predigen unter freiem Himmel gegen unsern Glauben; sie lästern Gott; sie spotten der Mutter unsers Seligmachers; ja unser guter Vater Franziskus, er der durch sein Alter und sein himmlisches Antlitz selbst Wilde zur Ehrfurcht zwingen würde, er wurde ehegestern von ihnen auf der Straße verlacht und verspottet.«
Die Jungfrau erblaßte und rief mit zum Himmel gehobenen Armen:
»O mein Gott, beschütze Du ihn vor Lästerung und Leid!«
Der Jüngling fuhr fort:
»Und dieser fremde Haufe, der aus allen Gegenden hierher zusammenläuft, ruft unausgesetzt: Es leben die Geusen! Ha, Ihr könnt es nicht fassen, Gertrud, wie verächtlich dieser Name mir aus ihrem Munde lautet.«
Mit sichtlicher Verzweiflung fügte er bei:
»Auch ich, Gertrud, auch ich bin ein Geuse!«
Die Jungfrau gab ihren Augen einen zärtlichen Ausdruck und erwiederte:
»Ich weiß es, Lodewyk, es ist der Wille meines Vaters, dem wir gehorsamen müssen. Hat er doch so viel durch die Spanier gelitten; das Vaterland, sagt er, muß von ihrer Herrschaft erlöst werden. Laßt uns ein Gefühl achten, das wir nicht richten können und dürfen.«
»Wie verständig und weise sind Eure Worte, Gertrud! Ja ich werde Godmaerts Gebote befolgen, es ist meine Pflicht.«
»Lodewyk Ihr wißt es, ich habe mit unserm guten Vater Franziskus geweint und geseufzt ob der Gefahr unsers Glaubens; – doch weil das Schicksal uns so schwer drückt, – weil ich die Schmach und Pein, die sie meinem Vater anthun, bedenke, rathe ich Euch seine Befehle ohne Rückhalt zu befolgen. Ich sehe wohl ein, daß in diesem entscheidenden Augenblicke viele Gräuel gegen unsere heilige Religion werden begangen werden – doch, weil keine andern Mittel da sind, laßt die Verblendeten thun, und dann wollen wir, die Kinder der wahren Kirche, alles noch prächtiger, als zuvor, wiederherstellen. Gelobt mir, Lodewyk, daß Ihr nie mit dem gottvergessenen Sinne der Bilderfeinde Gemeinschaft pflegen wollt!«
»Ich gelob es bei dem Gotte, der mich hört!« sprach Lodewyk feierlichen Tones.
»Wo! denn,« fuhr Gertrud fort, »laßt das Volk die Uebelthaten begehen, die wir nicht zu verhindern vermögen. Hoffen wir, daß sie von ihrer Verirrung zurückkommen, sobald die Zeiten der Verführung und des Ungestüms vorüber seyn werden. O, ich zweifle nicht . . . «
Sie schwieg. Da schallte die Stimme ihres Vaters donnernd gegen die Mauer des Saals. Aengstlich horchten Beide, um die Ursache dieses