Das adelige Nest. Иван Тургенев

Das adelige Nest - Иван Тургенев


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erwiderte Gedeonowsky, »ein Anderer an seiner Stelle würde sich schämen, sich unter Leuten zu zeigen.«

      »Und warum das?« unterbrach ihn Martha Timotheewna, »was ist das für ein Unsinn.« Ein Mann ist in seine Heimath zurückgekehrt, wo anders soll er denn hin? lind wenn er noch irgend eine Schuld trüge!«

      »Ein Mann ist immer schuld, erlaube ich mir Ihnen, gnädige Frau, zu bemerken, wenn sich seine Frau schlecht aufführt.«

      »Das sagst Du Freund, weil Du selbst niemals verheirathet gewesen bist.«

      Gedeonowsky lächelte gezwungen.

      »Erlauben Sie zu fragen,« sagte er nach kurzem Schweigen, »wem diese hübsche Schärpe bestimmt ist?«

      Martha Timotheewna warf einen scharfen Blick auf ihn.

      »Sie ist dem bestimmt,« entgegnete sie, »der niemals klatscht, nicht den Schlauen spielt und nicht falsch ist, wenn es einen solchen Mann auf Erden giebt; Fedia kenne ich sehr gut, seine einzige Schuld ist, daß er seine Frau verwöhnt hat. Nun, er hat sich aber auch aus Liebe verheirathet, und aus diesen Liebesehen wird niemals etwas Vernünftiges,« fügte die Alte hinzu, einen Seitenblick auf Maria Dmitriewna werfend und aufstehend. »Zerreiße Du jetzt, Freundchen, mit der Zunge, wen Du willst! – meinethalben auch mich; ich gehe fort, und werde nicht stören,« – und Marth Timotheewna entfernte sich.

      »So ist sie immer«, sprach Maria Dmitriewna, ihre Tante mit den Augen begleitend.

      »Das bringen einmal ihre Jahre mit sich! Was ist zu thun!« bemerkte Gedeonowsky. »Zum Beispiel sagte Ihre Frau Tante: Wer nicht den Schlauen spielt. Wer spielt aber nicht jetzt den Schlauen? Das bringt einmal das Jahrhundert mit sich. Einer meiner Freunde, ein höchst achtbarer Mann und, muß ich Ihnen sagen, ein Mann von nicht geringem Stande, hatte die Gewohnheit zu sagen: »Heut zu Tage das Huhn selbst nicht ohne Schlauheit dem hingeworfenen Körnchen naht, sucht immer von der Seite ihm beizukommen.« – Wenn ich Sie aber betrachte, gnädige Frau, Sie haben wirklich den Charakter eines Engels; dürfte ich Sie um Ihre schneeweiße Hand bitten?«

      Maria Dmitriewna lächelte schwach und streckte Gedeonowsky ihre fette Hand hin, den fünften Finger getrennt haltend. Er drückte dieselbe an seine Lippen, sie rückte ihren Sessel zu ihm und fragte, etwas zu ihm gebeugt, ihn halblaut:

      »Also haben Sie ihn gesehen? Ist er in der That ganz und gar nichts, – gesund, fröhlich?«

      »Fröhlich, als ob nichts geschehen wäre,« erwiderte Gedeonowsky leise.

      »Und haben Sie nicht gehört, wo seine Frau jetzt ist?«

      »Die letzte Zeit war sie in Paris; jetzt hat sie sich, wie man sagt, nach Italien übergesiedelt.«

      »Es ist schrecklich, in der That, – Fedia’s Lage; ich weiß nicht, wie er es verträgt. Jedermann trifft auf Erden zuweilen Unglück, das ist wahr; über ihn hat aber, kann man sagen, ganz Europa geschrieen.«

      Gedeonowsky seufzte tief.

      »Ja, ja, sie hat, sagt man, mit Künstlern und Pianisten, oder wie man dort sagt, mit Löwen und allerhand Thieren Bekanntschaft gemacht; sie soll jedes Schamgefühl gänzlich verloren haben.«

      »Schmerzlich, sehr schmerzlich!« sagte Maria Dmitriewna, »besonders für mich, als einer Verwandten. Denn wie Sie, Sergei Petrowitsch wissen, ist er mein Vetter.«

      »Freilich, freilich! wie sollte ich nicht alles wissen, was Ihre Familie angeht? – Können Sie so etwas glauben??«

      »Wird er zu uns kommen, was meinen Sie?«

      »Man sollte es glauben; übrigens will er, wie man hört, auf sein Gut reisen.«

      Maria Dmitriewna blickte zum Himmel empor.

      »Ach, Sergei Petrowitsch, wenn ich daran denke, wie wir Frauen doch vorsichtig sein müssen!«

      »Die Frauen sind, Maria Dmitriewna, nicht alle einander ähnlich. Es giebt, zum Unglück, solche, – die einen unbeständigen Character haben, . . . nun, auch die Jahre; man hat ihnen auch nicht von klein auf Moral eingeschärft.«

      Sergei Petrowitsch zog aus seiner Tasche ein quarrirtes blaues Taschentuch und begann es auseinander zu legen. »Es giebt freilich solche Frauen;« Sergei Petrowitsch berührte mit dem einem Ende des Schnupftuchs erst das eine, dann das andere Auge, – »aber im Allgemeinen zu reden, wenn man bedenkt, das heißt . . . In der Stadt ist es ungewöhnlich staubig,« schloß er.

      »Mama, Mama!« rief in die Stube hereinlaufend, ein hübsches elfjähriges Mädchen, »Wladimir Nikolaitsch kommt zu Pferde zu uns!«

      »Maria Dmitriewna stand auf; Sergei Petrowitsch stand ebenfalls auf und grüßte.

      »Ich habe die Ehre, Helene Michailowna, ergebenst zu-grüßen,« sagte er, und aus Schicklichkeit sich in einen Winkel zurückziehend, begann er seine lange und regelmäßige Nase zu schnauben.

      »Was hat er für ein schönes Pferd!« fuhr das Mädchen fort. »Eben war er an der Gartenthür und sagte mir und Lieschen, daß er an die Treppe heranreiten würde.«

      Man vernahm Hufschlag und ein schlanker Reiter auf einem schönen braunen Pferde zeigte sich auf der Straße und hielt am offenen Fenster.

      Drittes Kapitel

      »Guten Tag, Maria Dmitriewna!« rief der Reiter mit klangvoller und angenehmer Stimme. »Wie gefällt Ihnen mein neuer Kauf?«

      Maria Dmitriewna trat an’s Fenster.

      »Guten Tag, Woldemar! Ach was für ein schönes Pferd! Bei wem haben Sie es gekauft?«

      »Bei einem Remonteur . . . viel hat er aber von mir genommen, der Spitzbube.«

      »Wie heißt es?«

      »Orlandow. . . aber dieser Name ist dumm, ich will ihn verändern . . . Eh bien, eh bien, mon garcon. . . kannst Du nicht ruhig stehen?«

      Das Pferd schnaubte, trampelte mit den Füßen und bewegte unruhig das schaumbedeckte Maul.

      »Lenchen, streicheln Sie es, fürchten Sie nichts.«

      Das Mädchen streckte die Hand aus dem Fenster, Orlandow bäumte sich plötzlich und warf sich aufs die Seite. Der Reiter fand sich aber gleich zurecht, drückte das Pferd fest zwischen seine Schenkel, gab ihm einen tüchtigen Schlag mit der Reitgerte auf den Hals und stellte es, so sehr es sich auch widersetzte, wieder vor das Fenster.

      »Prenez garde, Prenez garde,« wiederholte Maria Dmitriewna.

      »Lenchen, streicheln Sie es doch!« sagte der Reiter sich irgend eine Freiheit herauszunehmen.

      Das Mädchen streckte wieder ihre Hand aus dem Fenster und berührte schüchtern die zitternden Nüstern Orlandow’s, der fortwährend auffuhr und am Gebiß nagte.

      »Bravo!« rief Maria Dmitriewna; »jetzt steigen Sie aber ab und kommen Sie zu uns.«

      Geschickt wandte der Reiter sein Pferd, bohrte ihm die Sporen in die Seiten und, nachdem er im kurzen Galopp die Straße durchritten hatte, trabte er in den Hof ein. Einen Augenblick später trat er, die Reitgerte in der Hand, aus der Thüre des Vorzimmers in den Saal; in demselben Augenblicke zeigte sich auf der Schwelle der entgegengesetzten Thür ein schlankes, hochgewachsenes Mädchen von ungefähr neunzehn Jahren.

      Viertes Kapitel

      Der junge Mann, den wir eben den Lesern vorgeführt haben, hieß Wladimir Nikolaitsch Panschin. Er diente in Petersburg als Beamter für besondere Aufträge im Ministerium des Innern. In die Stadt O. war er im zeitweiligen Auftrage der Regierung gekommen und stand dem Gouverneur, General Sonnenberg, dessen entfernter Verwandter er war, zur Verfügung. Panschin’s Vater, ein verabschiedeter Stabsrittmeister, bekannter Spieler, ein Mann mit süßlichen Augen, abgelebtem Gesichte und nervösem Zittern in den Lippen, hatte sich sein Leben lang in hohen Kreisen bewegt, besuchte die englischen Clubbs beider Residenzen und galt für einen geschickten, obgleich nicht sehr zuverlässigem aber angenehmen Lebemann. Trotz seiner Geschicklichkeit befand er sich fast fortwährend an der äußersten Grenze der Armuth


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