Die Unglückliche. Иван Тургенев

Die Unglückliche - Иван Тургенев


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Demjanitsch Ratsch, Lehrer . . . verschiedener Gegenstände.«

      »Ja, namentlich, namentlich verschiedener Gegenstände,« unterbrach ihn Herr Ratsch. »Was habe ich, wenn ich darüber nachdenke, nicht schon Alles gelehrt, und was lehre ich nicht Alles noch! Mathematik, Geographie, Statistik, italienische Buchhalterei. Ha – ha – ha – ha! Und Musik! Sie zweifeln mein Herr?« warf er plötzlich dazwischen. Fragen sie Alexander Daviditsch, wie ich mich auf dem Fagott auszeichne? Was wäre ich denn im entgegengesetzten Falle für ein Böme, Czeche, nämlich? Ja, mein Herr, ich bin Czeche, und meine Heimath ist – das alte Prag! Apropos, Alexander Daviditsch, wie kommt es, daß Sie sich so lange nicht gezeigt haben? Wir hätten ein Duo zusammen gespielt . . . Ha – ha! Gewiß!«

      »Ich bin vorgestern bei Ihnen gewesen, Ivan Demjanitsch,« antwortete Fustoff.

      »Das nenne ich eben selten. Ha – ha!«

      Wenn Herr Ratsch lachte, so rollten seine Augen seltsam unruhig hin und her.

      »Ich sehe, junger Mensch, daß mein Benehmen Sie in Erstaunen setzt,« wandte er sich wieder zu mir. »Das kommt daher, weil Sie mein Temperament noch nicht kennen. Erkundigen Sie sich bei unserm guten Alexander Daviditsch nach mir. Was wird er Ihnen sagen? Er wird sagen, daß der alte Ratsch ein Einfaltspinsel ist, ein Russacke dem Geiste, wenn auch nicht der Abstammung nach, ha – ha! Bei der Taufe erhielt ich den Namen Johann Dietrich und werde gerufen – Ivan Demjanoff! Was mir im Sinn ist, habe ich auf der Zunge; das Herz liegt mir, wie man zu sagen pflegt, auf der flachen Hand; alle diese verschiedenen Ceremonieen kenne ich nicht, und will nichts von ihnen wissen. Gott mir ihnen! Kommen Sie einmal gegen Abend zu mir, und Sie werden selbst sehen. Mein Weib – meine Frau, das heißt, ist auch von den Einfachen; sie wird für uns kochen, und braten . . . ich sage Ihnen! Alexander Daviditsch, spreche ich die Wahrheit?«

      »Machen Sie nicht den Stolzen, dem Alten gegenüber, kommen Sie zu mir an,« fuhr Herr Ratsch fort. »Und jetzt . . .« (Er zog eine dicke silberne Uhr aus der Tasche und hielt sie vor sein weit aufgerissenes, rechtes Auge) »ich glaube, ich muß fort. Ein anderer Taugenichts erwartet mich . . . dem lehre ich, weiß der Teufel was . . . Mythologie, bei Gott! Und wie weit der Erbärmliche wohnt! Beim rothen Thor! Gleichviel: werde es zu Fuß ablaufen, zumal ihr Bruder zu pipsen beliebt und den Fünfzehner im Sacke behielt! Ha – ha! Bitte uni Vergebung meine Herren, auf Wiedersehen! Sie aber, junger Herr, sprechen Sie bei mir vor . . . Nun, was denn? . . . Wir müssen jedenfalls ein Duo abspielen!« rief Herr Ratsch aus dem Vorzimmer, indem er geräuschvoll seine Galloschen anzog, und zum letzten Male erschallte sein metallisches Lachen.

      V

      »Welch ein sonderbarer Mensch?!« wandte ich mich an Fustoff, der schon an seiner Drechselbank beschäftigt war. »Ist er wirklich ein Ausländer? Er spricht das Russische so fließend.«

      »Er ist ein Ausländer, aber bereits seit 30 Jahren in Rußland ansässig. Ein russischer Fürst brachte ihn, ich glaube gar schon im Jahre 1802 aus dem Auslande . . . als Secretair . . . wahrscheinlicher jedoch in der Eigenschaft eines Kammerdieners mit. Er drückt sich wirklich sehr kühn auf Russisch aus.«

      »So reißend-schnell, mit solchen Kraftausdrücken und unerwarteten Wendungen,« fügte ich hinzu.

      »Nun ja. Aber sehr gesucht. Sie sind Alle so, diese verrußten Deutschen.«

      »Er ist ja aber Czeche?«

      »Ich weiß es nicht; vielleicht. Mit seiner Frau unterhält er sich auf Deutsch.«

      »Aber warum ist er mit dem Namen eines Veteranen aus dem Jahre 12 beehrt? Hat er denn im Heere gedient?«

      »Im Heere? O nein. Er blieb während des Brandes in Moskau. Und verlor sein Hab und Gut . . . Das ist sein ganzer Dienst.«

      »Warum blieb er in Moskau?«

      Fustoff hörte nicht auf zu drechseln.

      »Gott weiß es! Es geht das Gerücht, daß er einer von unseren Spionen war; aber das wird wohl falsch sein. Daß ihm aber seine Verluste von der Krone ersetzt worden sind, ist richtig.«

      »Er trägt einen Uniformsfrack . . . er dient also?«

      »Ja. Er ist Lehrer in einem Cadettencorps und ist Hofrath.«

      »Wen hat er geheirathet?«

      »Eine Deutsche von hier, die Tochter eines Wurstmachers oder eines Fleischers . . .«

      »Und Du gehst oft zu ihm?«

      »Ja, ich besuche ihn.«

      ,,Amüsirt man sich bei ihnen?«

      »So ziemlich.«

      »Hat er Kinder?«

      »Ja. Er hat drei Kinder von der Deutschen und einen Sohn und eine Tochter von der ersten Frau.«

      »Wie alt ist die älteste Tochter?«

      »Sie ist ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt.«

      Es kam mir vor, als wenn sich Fustoff tiefer über seine Drechselbank beugte und als wenn das Rad unter der rythmischen Bewegung eines Fußes sich schneller drehte und lauter schnurrte.

      »Ist sie hübsch?«

      »Je nach dem. Der Geschmack ist verschieden. Sie hat ein bemerkenswerthes Gesicht; sie ist überhaupt – eine bemerkenswerthe Persönlichkeit.«

      Aha! dachte ich. Fustoff arbeitete mit besonderem Eifer fort und beantwortete meine nächste Frage nur mit einem Gebrüll.

      Ich muß ihre Bekanntschaft machen, beschloß ich bei mir.

      VI

      Einige Tage später begab ich mich an einem Abende- mit Fustoff zusammen zu Herrn Ratsch. Er lebte in einem hölzernen Hause mit großem Hofe und Garten, in einem krummen Gäßchen an dem Boulevard von Pretschistensky. Er trat in’s Vorzimmer zu uns hinaus und empfing uns mit dem ihm eigenthümlichen Lärm und prasselnden Gelächter. Er führte uns sogleich in’s Gastzimmer und stellte uns Eleonora Karpowna, seiner Gemahlin, einer wohlbeleibten Dame in einem engen Camelottkleide, vor. Eleonora Karpowna hatte sich wahrscheinlich in ihrer frühsten Jugend durch das ausgezeichnet, was die Franzosen, man weiß nicht weshalb, »die Schönheit des Teufels« nennen, das heißt, durch Frische; als ich sie kennen lernte, erinnerte ihr Anblick unwillkürlich an ein gutes Stück Fleisch, das soeben von dem Fleischer auf einem sauberen, marmornen Tisch ausgestellt worden ist. Nicht ohne Absicht brauchte ich den Ausdruck »sauber«; denn nicht nur die Hausfrau schien ein Muster der Reinlichkeit zu sein, sondern Alles, was sie umgab, Alles im Hause glänzte und glitzerte; Alles war gescheuert, gebügelt, mit Seife gewaschen. Der Samowar auf dem runden Tische brannte wie Feuer; die Vorhänge an den Fenstern und die Servietten krümmten sich förmlich vor Steifigkeit, gleich wie die Kleiderchen und die Chemisetten von Herrn Ratsch’s ebenfalls dasitzenden vier Kindern, robusten, wohlgenährten Stöpseln mit grobgebildeten, festen Gesichtern, Wirbeln an den Schläfen und rothen, stumpfen Fingern; sie sahen der Mutter sehr ähnlich. Sie hatten alle vier etwas plattgedrückte Nasen, große, gedrungene Lippen und hellgraue Augen.

      »Und hier ist auch meine Garde,« rief Herr Ratsch, seine schwere Hand der Reihe nach auf die Köpfe seiner Kinder legend. »Kolja, Olja, Saschka, Maschka! Dieser ist acht Jahre, diese sieben; dieser vier und dieser ganze zwei Jahre alt! Ha – ha – ha! Wie Sie zu sehen belieben, verlieren wir keine Zeit. He? Eleonore Karpowna?«

      »Sie sagen immer so Etwas . . .« sagte Eleonore Karpowna, und wandte sich ab.

      »Und sie hat allen ihren Schreihälsen so russische Namen gegeben!« fuhr Herr Ratsch fort. »Ich fürchte immer, daß sie sie eines schönen Tages griechisch taufen läßt! Bei Gott! Und Sclavin ist sie, – daß mich der Teufel hole – obgleich von germanischem Blute! Eleonore Karpowna sind Sie Slavin?«

      Eleonore Karpowna wurde böse.

      »Ich bin Hofräthin, das bin ich! Folglich bin ich eine russische Dame, und Alles, was Sie jetzt sagen werden . . .«

      »Das heißt, wie sie Rußland liebt – es ist schrecklich!« unterbrach sie Ivan Demjanitsch. »Wie ein Erdbeben! Ha – ha!«

      »Nun,


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