Die Unglückliche. Иван Тургенев

Die Unglückliche - Иван Тургенев


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»Danke«! Sich wie ein Igel zusammenrollend und wieder reckend, erhob er sich vom Sopha.

      »Fu! Allein . . . ich langweile mich,« murmelte er, »ich sollte eigentlich nach Italien.«

      Er begab sich zur Thür.

      Fustoff sah ihm nach. Es war, als wenn er mit sich kämpfte.

      »Welcher Pension erwähnten Sie so eben, Fictor Ivanovitsch?« fragte er endlich.

      Viktor blieb auf der Schwelle stehen und setzte seine Mütze auf.

      »Sie wissen das nicht? Von Susanna Ivanowna’s Pension sprach ich . . . Sie empfängt dieselbe. Eine äußerst merkwürdige Anecdote, das kann ich Ihnen sagen! Ich will Ihnen das einmal erzählen. Geschäfte, mein Herr, Geschäfte!l – Aber meinen Alten! vergessen Sie meinen Alten nicht, ich bitte. Er hat freilich eine dicke, deutsche Haut, noch dazu mit russischer Bearbeitung; allein, man kann dennoch durchdringen. Aber, – daß Eleonorchen, meine Stiefmutter, nur nicht dabei ist! Papachen fürchte sich vor ihr, sie wiederholt immer das Ihre Nun! Sie sind ja selbst Diplomat! Leben Sie wohl!«

      »Ist das aber ein elender Knabe!« rief Fustoff, sobald er die Thüre hinter sich zugeschlagen hatte.

      Sein Gesicht brannte wie Feuer, und er wandte sich von mir ab. Ich mochte keine weiteren Fragen stellen und entfernte mich bald.

      XlI

      Ich brachte jenen ganzen Tag in Gedanken über Fustoff, Susanne und ihre Verwandten zu. Mir schwebte dunkel etwas wie ein Familiendrama vor. So viel ich urtheilen konnte, war Susanne meinem Freunde nicht gleichgültig. Aber sie? Liebte sie ihn? Warum war sie so unglücklich? Was war sie überhaupt für ein Geschöpf? Diese Fragen kamen mir immer wieder in den Sinn. Ein dunkles aber deutliches Gefühl sagte mir, daß ich mich nicht an Fustoff zu wenden habe, um ihre Lösung zu erlangen. Das Ende davon war, daß ich mich am folgenden Tage in das Haus des Herrn Ratsch begab.

      Sobald ich mich in dem kleinen dunklen Vorzimmer befand, schlug mir mein Gewissen und ich war verlegen. Sie wird sich am Ende nicht einmal zeigen, blitzte es mir durch den Kopf, und ich werde mit jenem abscheulichen »Veteranen« und seiner Frau – Köchin sitzen müssen . . ., und endlich, selbst wenn sie erscheint . . . was dann? Sie wird sich nicht einmal mit mir unterhalten . . . Sie hat mich neulich zu unfreundlich behandelt! Warum bin ich hergekommen? Während ich Alles dieses dachte, war der kleine Kosake hineingelaufen, um mich anzumelden, und, nach einigen fragenden »Wer da? Wer, sagst Du?« wurden schwere, schlurrende Pantoffel hörbar, die Thür wurde ein wenig geöffnet, und in der Spalte, zwischen den beiden Flügeln derselben, erschien das Gesicht Ivan Demjanitsch’s, ein verzerrtes, finsteres Gesicht.

      Er sah mich unverwandt an, und veränderte seinen Ausdruck nicht sogleich . . . Herr Ratsch hatte mich offenbar nicht gleich erkannt; aber plötzlich rundeten sich seine Wangen, die Augen verengten sich, und aus dem geöffneten Munde platzte, mit einem Gelächter zugleich, der Ausruf: »Ach, mein verehrter Herr! Sie sind es? Seien Sie mir willkommen!«

      Ich folgte ihm um so weniger gerne, als es mir vorkam, daß der heitere, zuvorkommende Herr Ratsch mich in seinem Innern zum Teufel sandte. Allein jetzt war nichts mehr zu ändern. Er führte mich in’s Gastzimmer, und dort – im Gastzimmer saß Susanne an einem Tische vor dem Einnahme- und Ausgabebuch. Sie sah mich mit ihren dämmerigen Augen an, und biß ein ganz klein wenig die Nägel ihrer linken Hand . . . dies war ihre Gewohnheit, die Gewohnheit vieler nervöser Menschen, wie ich bemerkt habe. Außer ihr war Niemand im Zimmer.

      »Sehen Sie hier,« fing Herr Ratsch an, und gab sich einen Schlag auf den Schenkel, – bei welcher Beschäftigung Sie Susanna Ivanowna und mich finden: Wir sehen Rechnungen durch. Meine Frau ist nicht sehr stark in der »Arithmetik«, und ich, aufrichtig gestanden, schone meine Augen. Ohne Brille kann ich gar Nichts sehen, was wollen Sie machen? So mag denn die Jugend arbeiten. Ha – ha! Die Ordnung verlangt es. Uebrigens-, die Arbeit hat keine Eile . . .«

      Susanne machte das Buch zu und wollte sich entfernen. – »Warte doch, warte,« sagte Herr Ratsch. – »Was thut es denn, daß Du nicht in Toilette bist» . . . « (Susanne hatte ein sehr altes Kleidchen, fast ein Kinderkleid mit kurzen Aermelchen, an.) »Unser theurer Gast wird es uns nicht übel nehmen, und, wenn ich nur die Rechnung für die Verflossene Woche aufräumen könnte . . . Sie erlauben?« wandte er sich zu mir. – »Wir stehen ja nicht auf so ceremoniellem Fuße miteinander!«

      »Seien Sie so gut, beunruhigen Sie sich deßhalb nicht,« rief ich aus.

      »Also! verehrtester Herr; Sie wissen selbst: der in Gott ruhende Kaiser Alexis Michailowitsch . Romanow pflegte zu sagen: »Der Arbeit – die Zeit; dem Vergnügen – der Augenblick!« Wir aber wollen der Arbeit selbst blos eine Minute weihen . . .Ha – ha! Was sind denn dies für 13 Rubel 30 Kopeken Silber?« fügte er halblaut hinzu, indem er mir den Rücken zuwandte.

      »Fictor hat dieselben von Eleonore Karpowna genommen; er sagt, Sie hätten sie ihm bewilligt,« antwortete Susanna ebenfalls halblaut.

      »Er hat gesagt . . . gesagt . . . bewilligt . . .« murmelte Ivan Demjanitsch – »Mir scheint, ich bin persönlich hier zugegen. Hättet mich fragen sollen. Aber wer hat denn diese 17 Rubel Silber erhalten?«

      »Der Möbelhändler.«

      »Der Möbelhändler . . . Wofür denn?«

      »Auf Abrechnung.«

      »Auf Abrechnung Zeige her!« – Er riß Susannen das Buch aus der Hand, setzte eine runde Brille in silberner Fassung auf die Nase und fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang. – »Dein Möbelhändler . . . dem Möbelhändler . . . Wenn Ihr nur das Geld aus dem Hause bringen könnt! Dann seid ihr glücklich! . . . Wie die Croaten! Aqubrechnung! Uebrigens,« fügte er laut hinzu, die Brille von der Nase ziehend und sich mir wieder zuwendend – »was thue ich denn eigentlich da? Dieses langweilige Zeug kann auch später vorgenommen werden. Susanna Ivanowna, schleppen Sie diese Buchhalterei an ihren Platz zurück, und kommen Sie dann wieder her, ich bitte, und entzücken Sie das Ohr dieses unseres liebenswürdigen Gastes durch Ihr musikalisches Werkzeug, nämlich durch Ihr Clavierspiel . . . Eh?« –

      Susanne wandte den Kopf ab.

      »Ich wäre sehr glücklich,« sagte ich schnell, – »es wäre mir außerordentlich angenehm, Susanne Ivanowna spielen zu hören. Aber ich möchte Sie für Nichts in der Welt belästigen.«

      »Was, belästigen! Wie das? Nun Susanne Ivanowna, eins, zwei, drei!«

      Susanne antwortete nicht, und ging hinaus.

      XIII

      Ich erwartete nicht, daß sie zurückkehren würde; aber sie erschien bald wieder. Sie hatte ihren Anzug nicht gewechselt, setzte sich in einen Winkel, und sah mich ein paar Mal aufmerksam an. Fühlte sie nun in meiner Art sie zu behandeln, jene unwillkürliche, mir selbst unerklärliche Hochachtung durch, welche sie in mir erweckte; denn es war mehr als Neugierde, mehr sogar als Theilnahme; oder war sie heute weicher gestimmt, – genug, sie trat plötzlich zum Clavier. Die Hände unsicher auf die Tasten legend, und den Kopf ein wenig über die Schulter zu mir wendend, fragte sie mich, was sie mir vorspielen solle? Allein, ehe ich noch Zeit gehabt hatte zu antworten, hatte sie sich schon gesetzt, hatte ein Notenheft genommen, dasselbe aufgeschlagen und bereits angefangen zu spielen. Ich liebte die Musik von Kindheit auf; zu jener Zeit verstand ich sie aber noch wenig, und kannte nur launige Schöpfungen der großen Meister, und wenn Herr Ratsch nicht mit einigem Unwillen gebrummt hätte: »Aha! wieder dieser Beethoven!« so hätte ich nicht gewußt, worauf Susannens Wahl gefallen war. Sie spielte, wie ich später erfuhr, die berühmte F-moll-Sonate, Op. 57. Susannens Spiel ergriff mich unaussprechlich: ich hatte diese Kraft, dieses Feuer, diesen kühnen Schwung gar nicht erwartet. Von den allerersten Tacten des hinreißend leidenschaftlichen Allegro, dem Anfange der Sonate, an empfand ich jenes Erstarren, jene Kälte und süßen Schauer des Entzückens, welche augenblicklich unsere Seele erfassen, wenn die Schönheit, in ihrem Fluge unerwartet in dieselbe eindringt. Ich bewegte bis zum Ende kein Glied; ich wollte immer athmen, und wagte es nicht. Es fügte sich, daß ich hinter Susanne saß; ich konnte ihr Gesicht nicht sehen; ich sah nur, wie ihre langen, schwarzen Haare zuweilen sprangen und an ihre Schultern schlugen, wie ihre Gestalt sich ruckweise wiegte und wie ihre feinen


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