Neu-Land. Иван Тургенев

Neu-Land - Иван Тургенев


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solche Worte erfindet? Nun gut. Wenn Sie wollen, könnten wir vielleicht gleich zu mir fahren. Es sind nur zehn Werst bis zu meiner Besitzung. Meine Pferde sind tüchtig: im Nu sind wir da. – Sie schlafen bei mir, wir bleiben den Morgen zusammen – um drei Uhr sind Sie mit meinen Pferden dann wieder hier. Sind Sie damit einverstanden?

      – Gut, – willigte Neshdanow ein. – Er war seit dem Erscheinen Markelow’s in höchst aufgeregter, gedrückter Stimmung. Der plötzliche Anschluß an diesen Menschen beunruhigte ihn und doch zog es ihn andererseits wieder zu ihm hin. Er fühlte, er sah es, daß Markelow, obgleich geistig wahrscheinlich wenig entwickelt, ein unbedingt ehrlicher und charakterfester Mensch war. Dazu kam noch die seltsame Scene im Birkenhain, die unerwartete Erklärung Mariannen’s. . . .

      – Das ist herrlich! – rief Markelow aus. – Rüsten Sie sich jetzt zur Fahrt – ich lasse unterdessen anspannen. Sie brauchen doch keine besondere Erlaubniß?

      – Ich werde es anzeigen. Ohne diese Anzeige darf ich mich nicht entfernen, wie mir scheint.

      – Ich werde es sagen, – fiel Markelow ein. – Seien Sie unbesorgt. – Sie sind jetzt mit ihren Karten – beschäftigt und werden Ihre Abwesenheit gar nicht bemerken. Mein Schwager möchte gern ein großer Staatsmann sein, – und doch besitzt er nur die eine Tugend, daß er ausgezeichnet Karten spielt. Nun freilich: auch dadurch ist schon Mancher zu Ehren und Würden gelangt!l . . . – Seien Sie also bereit. Ich treffe gleich die nöthigen Anordnungen.

      Markelow entfernte sich. Eine Stunde darauf saß Neshdanow wieder neben ihm, auf einem großen ledernen Kissen, in einem breit ausgebogenen, sehr alten und sehr bequemen Tarantaß; vom Bock her erschallte des kleinen, untersetzten, unermüdlichen Kutschers merkwürdig angenehmes, an eine Vogelstimme erinnerndes Pfeifen; die drei Schecken mit den geflochtenen Mähnen und Schweifen griffen auf dem ebenen Wege feurig aus; von den Schatten der anbrechenden Nacht überdeckt – die Uhr schlug gerade zehn, als sie fortfahren – glitten die einzelnen Bäume, Sträucher, Felder, Wiesen und Schluchten – die je nach der Entfernung entweder langsam rückwärts entschwanden, oder sich mit den Fahrenden fortzubewegen schienen – gleichmäßig an ihnen vorüber.

      Die kleine Besitzung Markelow’s – sie hieß »Borsenkowo,« umfaßte zweihundert Dessiatinen und brachte ihm jährlich 700 Rubel ein – war drei Werst von der Gouvernementsstadt gelegen, während Ssipjagin’s Gut sieben Werst von derselben entfernt war. Um von des Letzteren Besitzung nach «Borsenkowo« zu gelangen, mußte man durch die Stadt hindurchfahren. – Die neuen Bekannten hatten kaum fünfzig Worte miteinander gewechselt, als bereits die kläglichen vorstädtischen Häuser mit den eingefallenen Dächern und den schiefen, zur Seite geneigten, trübe erleuchteten Fenstern an ihnen vorüberflogen; in den Hauptstraßen auf dem Steinpflaster hin- und hergeworfen, schwankte der rasselnde Tarantaß von einer Seite zur andern. . . Bei jedem Stoß emporschnellend, tanzten die dummen, steinernen, zweistöckigen Kaufmannshäuser, die säulengeschmückten Kirchen, die Schenken und Gasthäuser neben ihnen her. . . Es war ein Sonntag. – Während auf den Straßen Niemand mehr zu sehen war, schienen die Schenken noch überfüllt. Ueberall konnte man heisere Stimmen, trunkenen Liedersang, weinerliche Harmonika-Töne vernehmen, aus den zuweilen plötzlich geöffneten Thüren drang im röthlichen Schimmer spärlicher Abendbeleuchtung ein Strom erhitzter, verpesteter, mit scharfem Spiritusdunst versetzter Luft in’s Freie. Vor fast allen Schenken erblickte man ärmliche Bauernkarren, bespannt mit zottigen, dickbäuchigen Gäulen, die ihre Köpfe geduldig hängen ließen und sich so ruhig verhielten, als ob sie schliefen. Hier trat ein abgerissener Bauer aus der Schenke, mit weit geöffnetem Kittel und einer großen Winterkappe auf dem Kopfe, die ihm sackartig am Nacken herabhing: er beugte sich über die Deichselstange, hob tastend, als ob er etwas suche, die Hände empor und blieb dann regungslos stehen; dort – ein schmächtiger Fabrikarbeiter mit schief auf den Kopf gedrückter Mütze, in einem Nanking-Hemde und barfuß – die Stiefel waren in der Schenke geblieben; schon nach den ersten unsicheren Schritten stockte er, kratzte sich darauf im Rücken – und fiel mit einem plötzlichen Seufzer wieder in die Schenke hinein.

      – Es überwältigt den Russen die Macht des Branntweins! – bemerkte Markelow.

      – Um die Sorgen zu vergessen, Ssergei Michailowitsch, lieber Herr! – rief, ohne sich umzublicken der Kutscher, welcher mit dem Pfeifen jedes Mal inne hielt, sobald er an einer Schenke vorbeikam, und sich gleichsam in sich selbst vertiefte.

      – Vorwärts! vorwärts! – schrie ihm Markelow zu, ihn herzhaft am Kragen seines Mantels schüttelnd.

      Der Tarantaß rasselte über den ungemein stark nach Kohl und Matten riechenden Marktplatz hinweg, kam vorbei am Hause des Gouverneurs, mit den bunten Schilderhäuschen vor dem Thore, an dem mit einem Thurm geschmückten Polizeihause, am Boulevard mit den eben gepflanzten und schon absterbenden Bäumen, an dem von Hundegebell und Kettengerassel erzitternden Bazar – war endlich, nachdem er eine unendlich lange Reihe von Lastwagen, die noch in der Abendkühle ausgerückt waren, hinter sich gelassen – wieder in der freien Luft der weidenbesetzten Landstraße – und rollte nun von Neuem rasch und gleichmäßig dahin.

      Markelow war um sechs Jahre älter, als seine Schwester Valentine Michailowna. Er war in der Artillerie-Schule erzogen worden, die er mit dem Range eines Offiziers verlassen hatte: schon als Lieutenant jedoch reichte er in Folge eines unangenehmen Auftrittes mit dem Regiments-Kommandeur – einem Deutschen – seinen Abschied ein. Seitdem haßte er alle Deutschen, namentlich die russischen Deutschen. In Folge seines Abschiedes überwarf er sich mit seinem Vater, den er dann bis zu seinem Tode nicht weiter gesehen; als der Vater starb, zog sich Markelow auf sein kleines, von ihm ererbtes Gut zurück. In Petersburg war er mit vielen Koryphäen der neuen Bewegung, die er innig und hoch verehrte, zusammengekommen; hier in diesem Kreise entwickelte und festigte sich auch seine ganze Anschauungsweise. Er las nur wenig – und meist nur solche Bücher, welche auf die ihn einzig und allein interessirende Sache Bezug hatten: – namentlich Herzen. Er hatte die militärische Haltung beibehalten und lebte als Spartaner, als Mönch. Vor einigen Jahren verliebte er sich leidenschaftlich in ein junges Mädchen, das ihn jedoch in rücksichtslosester Weise verrieth und einen Adjutanten – einen Deutschen – heirathete. Seitdem haßte er auch die Adjutanten. Er versuchte es, Spezial-Artikel über die Mängel der russischen Artillerie zu schreiben – er besaß jedoch nicht die Gabe, seine Gedanken richtig auszudrücken: – er konnte keinen einzigen Artikel zu Ende bringen und fuhr doch noch immer fort, große Bogen grauen Papiers mit unsicheren, unförmlichen, wahrhaft kindlichen Zügen zu bekritzeln Markelow war ein eigensinniger, bis zur Tollkühnheit unerschrockener Mensch, der weder zu verzeihen, noch zu vergessen verstand, der die Beleidigung Aller, welche bedrückt und verfolgt wurden, als eigene Beleidigung auf’s Tiefste zu empfinden schien – und der zu Allem bereit war. Sein beschränktes Denken war stets nur auf einen Punkt gerichtet: was er nicht fassen konnte – existirte für ihn nicht; doch haßte und verachtete er Lüge und Falschheit. Personen der höheren Stände, »Reaktionären« gegenüber, wie er sie nannte, war sein Benehmen schroff und sogar grob; einfach und wie ein Bruder umgänglich war er hingegen – mit dem schlichten Bauer. Sein Gut war mittelmäßig bewirthschaftet: allerlei sozialistische Pläne spukten in seinem Kopf, die er ebenso wenig zu verwirklichen verstand, wie er einst die Aufsätze über die Mängel des russischen Artilleriewesens zu beendigen vermochte. Er hatte überhaupt kein Glück – niemals und nirgends schon in der Schule nannte man ihn den »Pechvogel.« Eine offenes gerade Natur, ein leidenschaftlicher und tiefunglücklicher Mensch, konnte er in gewissen Fällen herzlos, blutgierig, ja, ein Wütherich genannt werden, in anderen Fällen aber war er im Stande, sich selbstlos und ohne Besinnen zu opfern.

      Drei Werst hinter der Stadt bog der Tarantaß plötzlich in das angenehm-weiche Dunkel eines Espenhains ein, mit dem Rauschen und Zittern der unsichtbaren Blätter, mit der duftig herben Frische des Waldes, mit dem unklaren Lichtschimmer oben – den ineinanderfließenden Schatten unten. Roth und groß stand der Mond am Himmel wie eine kupferne Scheibe. Aus dem Walde hervortauchend, befand sich der Tarantaß plötzlich vor einem kleinen gutsherrschaftlichen Gebäude. An der Vorderseite des niedrigen, einen Theil des Mondes verdeckenden Hauses traten die hellen Vierecke dreier erleuchteter Fenster ganz besonders grell hervor; das weit geöffnete Thor schien niemals geschlossen zu werden. Auf dem Hofe sah man im Halbdunkel eine Kibitka stehen, mit zwei weißen, hinten


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