Neu-Land. Иван Тургенев

Neu-Land - Иван Тургенев


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noch graue Holzspähne herumlagen: wie sie einst unter dem Schlag der Axt gefallen waren, so umgaben sie noch jetzt in Haufen zerstreut den Baumstumpf. Oft war der Winterschnee über sie gefallen – und war im Frühling wieder hinweggeschmolzen, und Niemand hatte an ihnen gerührt. Neshdanow saß im tiefen, aber kurzen Schatten einer Wand von jungen Birken; er dachte an Nichts, gab sich aber voll und ganz jener eigenthümlichen Frühlingsempfindung hin, welche bei Jung und Alt mit einer gewissen Wehmuth verbunden ist mit der Wehmuth gespannter Ermattung – bei der Jugend, mit der stillen Wehmuth der Trauer – beim Alter . . .

      Neshdanow vernahm plötzlich ein Geräusch wie von herannahenden Schritten.

      Es waren nicht eines Menschen Schritte – es war auch kein Bauer in Bastschuhen oder ein barfüßiges Weib. Es schienen zwei Menschen langsamen, gleichmäßigen Schrittes nebeneinander herzugehen . . . Er glaubte ein Frauenkleid rauschen zu hören. . .

      Da drang plötzlich der Ton einer dumpfen Männerstimme an sein Ohr.

      – Es ist Ihr letztes Wort? Niemals?

      – Niemals! – wiederholte eine Neshdanow bekannt klingende Frauenstimme – und gleich darauf bog um die Ecke des Weges, der hier einen Winkel bildete – Marianne in Begleitung eines Menschen mit schwarzen Augen und brauner Gesichtsfarbe, den er noch nie gesehen hatte.

      Wie erstarrt blieben sie stehen, als sie Neshdanow gewahr wurden; – dieser aber war so bestürzt, daß er sich nicht einmal von dem Baumstumpf, auf welchem er saß, zu erheben vermochte . . . Marianne erröthete über das ganze Gesicht – verzog jedoch sogleich die Lippen zu einem verachtungsvollen Lächeln . . . Auf wen bezog sich dieses Lächeln – auf sie selbst, weil sie erröthet – oder auf Neshdanow? . . . Ihr Begleiter aber runzelte die dichten Brauen – und warf Neshdanow aus dem gelblichen Weiß der unstäten Augen einen ergrimmten Blick zu. Dann schaute er zu Marianne auf – worauf sich Beide, Neshdanow den Rücken kehrend, ohne ihre Schritte zu beschleunigen, schweigend entfernten, während ihnen Dieser noch immer mit denselben verwunderten Augen nachblickte.

      Als Neshdanow eine halbe Stunde darauf nach Hause zurückkehrte, begab er sich auf sein Zimmer, – und als er nun, durch das Gong gerufen, in’s Wohnzimmer trat, erblickte er daselbst den schwarzäugigen Unbekannten, auf den er im Birkenhain gestoßen war. Ssipjagin führte Neshdanow zu ihm und stellte den Fremden – Ssergei Michailowitsch Markelow – als seinen beau-frère, einen Bruder von Valentine Michailowna vor.

      – Bitte einander in Freundschaft und Liebe gewogen zu sein, meine Herren! – sagte Ssipjagin mit dem ihm eigenen majestätisch-freundlichen und doch zugleich zerstreuten Lächeln.

      Markelow verneigte sich schweigend, Neshdanow gleichfalls . . . Ssipjagin aber trat, den kleinen Kopf zurückwerfend und mit den Schultern zuckend, bei Seite, als wollte er sagen: – »ich habe Euch zusammengebracht, ob Ihr einander aber wirklich in Liebe und Freundschaft zugethan sein werdet, das ist mir ziemlich gleich!«

      Darauf näherte sich Valentine Michailowna dem noch immer regunglos dastehenden Paare, stellte sie von Neuem einander vor – und begann nun mit einem besonders freundlichen und hellen Blick in den wunderbaren Augen, die gleichsam auf Befehl zu leuchten verstanden, mit dem Bruder zu sprechen.

      – Du scheinst uns ja ganz vergessen zu haben, eher cher Serge! Sogar Kolja’s Namenstag hast Du vorübergehen lassen, ohne zu uns zu kommen. Oder bist Du so beschäftigt? – Er führt da irgend ein neues System ein, – wandte sie sich zu Neshdanow, – ein höchst originelles System: seine Bauern erhalten von Allein drei Viertel, er selbst – nur ein Viertel; er findet aber, daß er auch so noch zu viel bekommt.

      – Die Schwester liebt zu scherzen – wandte sich seinerseits Markelow zu Neshdanow: – aber ich könnte ihr beistimmen; es ist in der That viel, wenn ein Mensch ein Viertel von dem erhält, was hundert Menschen angehört.

      – Sie aber, Alexei Dmitrijewitsch, haben Sie auch bemerkt, daß ich zu scherzen liebe? – fragte Valentine Michailowna mit derselben freundlichen Milde in Blick und Stimme.

      Neshdanow wußte nicht, was er ihr antworten solle – da meldete man die Ankunft Kallomeyzew’s. Frau Ssipjagin ging ihm entgegen; – bald darauf erschien der Kammerdiener und kündigte mit singender Stimme an, daß das Essen bereit sei.

      Während desselben mußte Neshdanow unwillkürlich immer wieder Marianne und Markelow anblicken. – Sie saßen nebeneinander, Beide mit zu Boden gesenkten Augen, mit zusammengepreßten Lippen, mit finsterem und ernstem, fast bösem Ausdruck im Antlitz. Neshdanow nahm namentlich das Eine Wunder: wie konnte Markelow der Bruder Frau Ssipjagin’s sein? – so wenig waren sie einander ähnlich. – Beide hatten vielleicht dieselbe dunkle Gesichtsfarbe; aber der zartbräunliche matte Ton der Arme, der Schultern, des Antlitzes von Valentine Michailowna bildete eben das Bezaubernde an ihrer Erscheinung . . . bei dem Bruder hingegen ging Alles in jenes Schwarz über, das höfliche Leute bronzefarben zu nennen lieben, welches aber das russische Auge an – einen Stiefelschaft erinnert. Markelow hatte krauses Haar, eine etwas gebogene Nase, dicke Lippen, eingefallene Wangen, einen eingedrückten Leib und sehnige Hände. Er war überhaupt sehnig und hager – und sprach mit metallischer, scharfer, durchdringender Stimme. Sein Blick war trübe, beinahe schläfrig – sein Aussehen finster, ein echter Griesgram!

      Er aß nur wenig, und spielte statt dessen mit Brodkügelchen, die er auf dem Tische hin- und herrollte, indem er von Zeit zu Zeit einen flüchtigen Blick auf Kallomeyzew warf. Dieser war eben aus der Stadt gekommen, wo er bei dem Gouverneur gewesen – in einer für ihn, Kallomeyzew, nicht angenehmen Sache, was er jedoch sorgsam verschwieg.

      Ssipjagin stieß ihn wie gewöhnlich vor den Kopf, wenn er zu weit ging, lachte jedoch von ganzem Herzen über seine Anekdoten und seine bon-mots, obgleich er fand – »pu’il est un affreux réaetionnairae.« Kallomeyzew behauptete unter Anderem, daß er in Entzücken gerathen sei über den Namen, den die russischen Bauern – oui, oui! les simples mougiks – den Advokaten gegeben. »Kläffer! Kläffer!« – wiederholte er mit Wonne: – ce people russe est délicieux! – Darauf erzählte er, wie er einst den Schülern einer Volksschule die Frage vorgelegt, was ein Struthiocamelus sei. – Und als Niemand diese Frage – zu beantworten verstand, nicht einmal der Lehrer, habe er eine zweite Frage an sie gerichtet: was ist ein Pithocium? – und zugleich auch einen Vers aus Chemnitzer citirt: »Pithecium, schwach an Geist, der Thiere Sein nachahmend!« – Aber auch jetzt vermochte ihm Niemand zu antworten. – Da haben Sie die Volksschule!

      – Aber erlauben Sie, – bemerkte Valentine Michailowna, – ich weiß eben so wenig, was das für Thiere sind.

      – Gnädige Frau! – rief Kallomeyzew aus, – Sie brauchen es auch nicht zu wissen.

      – Weshalb braucht es denn das Volk zu wissen?

      – Deshalb, weil es besser ist zu wissen, was ein Struthiocamelus und ein Pithecium ist, als mit irgend einem Proudhon oder gar Adam Smith bekannt zu sein!

      Hier mischte sich Ssipjagin ein und bedeutete Kallomeyzew, daß Adam Smith einer von den Bannerträgern des menschlichen Denkens sei und daß es nur nützen könne, wenn man seine Prinzipien . . . – er goß sich Château d’Yquem in’s Glas – . . . mit der Muttermilch . . . – er führte das Glas an die Nase und zog die Blume des Weines ein – . . . einsaugen würde! – Er leerte sein Glas. Kallomeyzew folgte seinem Beispiel und lobte den Wein.

      Markelow schien aus die Auslassungen des Petersburger Kammerjunkers nur wenig zu achten, warf jedoch zwei Mal einen fragenden Blick auf Neshdanow, wobei er das Brodkügelchen spielend von sich fortschleuderte, so daß es dem beredten Gaste fast an die Nase geflogen wäre . . .

      Ssipjagin ließ seinen Schwager gewähren; Valentine Michailowna unterließ es gleichfalls, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen; – man sah es ihnen an, daß Beide gewohnt waren, Markelow für einen Sonderling zu halten, den man unbehelligt lassen müsse.

      Nach dem Mittagessen begab sich Markelow in’s Billardzimmer, um dort seine Pfeife zu rauchen, Neshdanow aber zog sich in sein Zimmer zurück. – Im Korridor stieß er aus Marianne. Er wollte vorüber-gehen


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