Väter und Söhne. Иван Тургенев
geschnitzten Bücherschrank im Renaissancestil, Bronzestatuetten auf einem prächtigen Schreibtisch und einem Marmorkamin. Dort warf er sich auf seinen Diwan, legte die Hände unter den Kopf und blieb so unbeweglich, fast mit einer Miene der Verzweiflung zur Decke aufblickend. Plötzlich, sei's um den Ausdruck seines Gesichts in der Dunkelheit zu bergen, sei's aus welch anderem Grunde, erhob er sich wieder, ließ die schweren Vorhänge an den Fenstern herab und warf sich aufs neue auf den Diwan.
Neuntes Kapitel
An demselben Tage machte auch Bazaroff die Bekanntschaft Fenitschkas. Er ging mit Arkad im Garten spazieren und erklärte ihm, warum gewisse Bäume und besonders gewisse junge Eichen nicht fortkommen wollten.
»Ihr solltet hier mehr Pappeln und Tannen pflanzen, auch meinetwegen Linden, vorausgesetzt, daß ihr mehr Erde anfahren laßt. Das Boskett da kommt gut fort, denn Akazien und Flieder sind gutmütige Teufel, die verlangen keine Pflege. Halt! da ist jemand im Boskett.«
Es war Fenitschka, die sich dort mit Duniascha und Mitia befand. Bazaroff blieb stehen, und Arkad nickte Fenitschka wie einer alten Bekannten zu.
»Wer ist das?« fragte Bazaroff, nachdem sie sich ein wenig entfernt hatten; »die ist hübsch!«
»Von wem sprichst du?«
»Sonderbare Frage, da ist doch nur eine hübsch!«
Arkad setzte ihm nun mit wenigen Worten und nicht ohne Verlegenheit Fenitschkas Stellung im Hause auseinander.
»Ei,« erwiderte Bazaroff, »es scheint, dein Vater liebt die guten Bissen. Er gefällt mir, dein Vater. Wahrhaftig ein munterer Bursch. Aber«, setzte er hinzu, »wir müssen Bekanntschaft machen,« und damit wandte er sich wieder dem Boskett zu.
»Eugen,« rief ihm Arkad erschrocken nach, »sei klug, ich bitte dich!«
»Beruhige dich,« antwortete Bazaroff, »ich habe die Hörner abgestoßen, ich kenne die Welt.« Damit näherte er sich Fenitschka und zog die Mütze.
»Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen selbst vorstelle,« sagte er höflich grüßend. »Ich bin ein Freund Arkad Nikolajewitschs und ein friedlicher Mensch.«
Fenitschka stand auf und betrachtete ihn, ohne ihm zu antworten.
»Was für ein schönes Kind!« fuhr Bazaroff fort. »Seien Sie unbesorgt, ich habe noch niemandem Unglück gebracht. Warum hat das Kind so rote Wangen? Zahnt es?«
»Ja,« sagte Fenitschka; »er hat schon vier Zähne, und sein Zahnfleisch ist wieder aufgelaufen.«
»Lassen Sie michs sehen, und haben Sie keine Angst, ich bin Mediziner.«
Bazaroff nahm den Knaben auf den Arm, was dieser zum großen Erstaunen Fenitschkas und Duniaschas ohne Widerstand und Erschrecken geschehen ließ.
»Ich sehe schon – das wird nichts; er bekommt famose Kinnbacken. Stößt dem Kinde etwas zu, so lassen Sie mich rufen. Und Sie selbst befinden sich wohl?«
»Ja, Gott sei Dank!«
»Da darf man immerhin Gott danken; die Gesundheit ist das höchste Gut. Und Sie?« sagte Bazaroff, indem er sich an Duniascha wandte.
Duniascha, zu Hause ein sehr zurückhaltendes Mädchen, draußen sehr ausgelassen, brach statt aller Antwort in ein schallendes Gelächter aus.
»So ists recht. Da, nehmen Sie Ihren dicken Buben wieder.«
Fenitschka nahm ihm das Kind wieder ab.
»Wie ruhig war er auf Ihrem Arm!« sagte sie leise.
»Alle Kinder sinds, wenn ich sie nehme,« antwortete Bazaroff; »ich habe ein Geheimnis dafür.«
»Die Kinder fühlen gleich, wer sie gerne hat,« meinte Duniascha.
»Jawohl,« bestätigte Fenitschka. »Mitia geht nicht zu jedermann.«
»Ginge er auch gerne zu mir?« fragte Arkad, der einige Schritte davonstand, und trat in die Laube.
Als er Mitia jedoch auf den Arm nehmen wollte, warf dieser den Kopf zurück und fing zur größten Verlegenheit Fenitschkas zu schreien an.
»Er ist noch nicht an mich gewöhnt, später wird er auch zu mir gehen,« sagte Arkad gutmütig, und die beiden Freunde gingen weiter.
»Wie sagst du, daß sie heißt?« fragte Bazaroff.
»Fenitschka – Fedosia,« erwiderte Arkad.
»Und mit ihrem Vatersnamen? Es ist immer gut, den auch zu wissen.«
»Nikolajewna.«
»Bene. Was mir an ihr gefällt, ist, daß sie nicht allzu verlegen ist. Das mißfällt vielleicht dem einen oder dem andern. Abgeschmackt. Warum sollte sie verlegen sein? Sie ist Mutter, also hat sie recht.«
»Gewiß,« erwiderte Arkad, »allein mein Vater?«
»Auch er ist in seinem Rechte.«
»Da bin ich doch nicht ganz deiner Meinung.«
»Es ist dir, scheints, nicht darum zu tun, die Erbschaft zu teilen?«
»Schämst du dich nicht, mir einen solchen Gedanken zuzutrauen?« rief Arkad entrüstet. »Wahrhaftig nicht von dem Gesichtspunkte aus tadle ich meinen Vater. Ich meine, er hätte sie heiraten müssen.«
»Ei, ei,« erwiderte Bazaroff ruhig, »welche Seelengröße! Du legst der Heirat noch eine Bedeutung bei, das hätte ich nicht von dir geglaubt.«
Das Gespräch stockte, und die Freunde gingen einige Schritte weiter.
»Ich habe jetzt eure Güter sorgfältig in Augenschein genommen,« fuhr Bazaroff fort. »Das Zugvieh ist in schlechtem Stand und die Pferde sind nicht besser. Ebenso steht es auch um die Baulichkeiten, und die Tagelöhner scheinen mir reine Faulenzer zu sein. Euer Verwalter ist entweder ein Dummkopf oder ein Spitzbube. Ich bin mir über ihn noch nicht ganz klar.«
»Du bist heute sehr streng, Eugen.«
»Und eure braven Bauern werden deinen Vater hübsch anführen; ich sehe das kommen. Du kennst das Sprüchlein: ›Der russische Bauer ist dumm, aber er verschlingt den lieben Gott auf einmal‹.«
»Ich fange an zu glauben, daß mein Onkel recht hat; du hast entschieden eine schlechte Meinung von den Russen.«
»Und warum nicht? Das einzige Verdienst des Russen besteht eben darin, daß er eine abscheuliche Meinung von sich selbst hat; übrigens liegt auch nichts daran. Woran was liegt, ist, zu wissen, daß zweimal zwei vier ist; alles übrige will absolut nichts sagen.«
»Wie? Auch die Natur selbst will absolut nichts sagen?« erwiderte Arkad und warf einen Blick auf die buntfarbigen Felder, über die das Licht der untergehenden Sonne einen sanften Schein ergoß.
»Auch die Natur will in dem Sinne, den du ihr augenblicklich beilegst absolut nichts sagen. Die Natur ist kein Tempel, sondern eine Werkstätte, und der Mensch ist ein Arbeiter drin.«
Plötzlich trafen die getragenen Tonschwingungen eines Violoncells das Ohr der Spaziergänger. Die Töne kamen aus dem Hause. Der Musiker spielte mit Gefühl, aber mit ungeübter Hand Schuberts »Erwartung«, und diese süße Melodie durchdrang die Luft wie Honiggeruch.
»Was hör ich?« rief Bazaroff erstaunt.
»Das ist mein Vater.«
»Dein Vater spielt Violoncell?«
»Ja.«
»Wie alt ist er denn?«
»Vierundvierzig Jahre.«
Bazaroff brach in ein schallendes Gelächter aus.
»Worüber lachst du?«
»Wie? ein Mann von 44 Jahren, ein pater familias, spielt im Gouvernement X… Violoncell?«
Bazaroff lachte noch stärker; allein Arkad, so groß auch sein Respekt vor seinem Lehrmeister war, fühlte nicht die mindeste Lust, ihm diesmal nachzuahmen.
Zehntes Kapitel
So vergingen beinahe zwei Wochen. Das