Väter und Söhne. Иван Тургенев

Väter und Söhne - Иван Тургенев


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ist wahr, allein ich vermute, daß bei Ihnen die Aristokraten und die schlechten Aristokraten gleichbedeutend sind. Ich glaube Ihnen bemerken zu müssen, daß ich nicht dieser Ansicht bin. Ich glaube sagen zu dürfen, daß ich allgemein als ein liberaler Mann, der den Fortschritt liebt, anerkannt bin; aber eben darum achte ich die Aristokraten, die echten Aristokraten. Denken Sie, mein lieber Herr (Bazaroff erhob die Augen gegen Paul), denken Sie, mein lieber Herr,« wiederholte er mit verstärkter Stimme, »nur an die englischen Aristokraten. Sie lassen kein Jota von ihren Rechten ab und achten nichtsdestoweniger die der anderen; sie fordern, was man ihnen schuldig ist, und lassen es nie an dem fehlen, was sie selbst anderen schulden. Die Aristokratie wars, die England die Freiheit gab, und sie ist deren festeste Stütze.«

      »Das ist ein altes, schon oft gehörtes Lied,« antwortete Bazaroff; »allein was wollen Sie damit beweisen?«

      »Ich will Ihnen damit beweisen, mein lieber Herr, daß ohne das Bewußtsein der eigenen Würde, ohne Selbstachtung – Gefühle, die im Wesen der Aristokratie liegen – jede solide Grundlage für das … bien public …, für das Staatsgebäude fehlen würde. Das Individuum, die Persönlichkeit, mein teurer Herr, das ist die Hauptsache. Die menschliche Persönlichkeit muß feststehn wie ein Fels, denn alles beruht auf dieser Basis. Ich weiß sehr wohl, daß Sie meine Manieren, meine Kleidung, alles bis auf meine Reinlichkeitsgewohnheiten hinaus lächerlich finden; das alles aber fließt aus der Selbstachtung, aus dem Pflichtgefühl, ja ja, mein Herr, aus dem Pflichtgefühl. Ich wohne hier hinten in der Provinz, aber ich vernachlässige mich darum nicht, ich achte den Menschen in meiner Person.«

      »Erlauben Sie, Paul Petrowitsch,« antwortete ihm Bazaroff; »Sie sagen, daß Sie sich selbst achten, und doch sitzen Sie mit übereinandergeschlagenen Armen da. Welchen Nutzen soll das dem bien public bringen? Auch wenn Sie sich nicht selbst achteten, würden Sie's nicht anders machen.«

      Paul Petrowitsch erblaßte.

      »Das ist eine ganz andere Frage,« erwiderte er; »ich fühle mich keineswegs aufgelegt, Ihnen jetzt auseinanderzusetzen, warum ich mit übereinandergeschlagenen Armen dasitze, wie Sie zu sagen belieben. Ich wollte mich darauf beschränken, Ihnen ins Gedächtnis zu rufen, daß die Aristokratie auf einem Prinzip beruht, und daß nur unmoralische oder Menschen ohne allen Wert in unseren Tagen ohne Prinzipien leben können. Ich sagte dies Arkad schon am Tage nach seiner Ankunft, und Ihnen kann ich es heut nur wiederholen. Hab ich nicht recht, Nikolaus Petrowitsch?«

      Kirsanoff machte mit dem Kopfe ein Zeichen der Zustimmung.

      »Aristokratie, Liberalismus, Prinzipien, Fortschritt,« wiederholte Bazaroff. »Wie viele unserer Sprache fremde Wörter und ganz unnötig! Ein echter Russe nähm sie nicht umsonst.«

      »Was braucht er denn, Ihrer Ansicht nach? Hört man Sie, so stehen wir außerhalb der Humanität, außerhalb ihrer Gesetze. Das ist etwas stark. Die Logik der Geschichte fordert …«

      »Was brauchen wir diese Logik? Wir können sie ganz gut entbehren.«

      »Wie?«

      »Ei nun! ich denke, Sie brauchen auch keine Logik, um einen Bissen Brot zum Munde zu führen, wenn Sie Hunger haben. Was sollen alle diese Abstraktionen?«

      Paul erhob die Hände.

      »Wir verstehen das alles nicht mehr,« sagte er. »Sie beschimpfen das russische Volk. Ich begreife nicht, wie es möglich ist, keine Prinzipien, keine Regeln anzuerkennen. Wodurch lassen denn Sie sich im Leben leiten?«

      »Ich habe Ihnen schon gesagt, lieber Onkel,« fiel Arkad ein, »daß wir keine Autorität anerkennen.«

      »Für unser Handeln bestimmt nur die Rücksicht auf das Nützliche, was wir für nützlich erkennen,« fügte Bazaroff hinzu; »heutzutage scheint es uns nützlich, zu verneinen, und wir verneinen.«

      »Alles?«

      »Durchaus alles.«

      »Wie? Nicht nur die Kunst, die Poesie, sondern auch – ich nehme Anstand, es zu sagen …«

      »Alles,« wiederholte Bazaroff mit unaussprechlicher Ruhe.

      Paul sah ihm fest ins Auge; diese Antwort hatte er nicht erwartet. Arkad wurde rot vor Freude.

      »Erlaubt, erlaubt,« sagte Kirsanoff, »ihr verneint alles, oder, um mich genauer auszudrücken, ihr reißt alles ein; aber man muß auch wieder aufbauen.«

      »Das geht uns nichts an … vor allen Dingen muß der Platz abgeräumt werden.«

      »Die gegenwärtige Lage des Volks erfordert dies,« fügte Arkad ernsthaft hinzu, »wir müssen diese Pflicht erfüllen. Wir haben nicht das Recht, uns den Befriedigungen des persönlichen Egoismus hinzugeben.«

      Diese letzte Phrase mißfiel Bazaroff; sie schmeckte nach Philosophie, d.h. nach Romantik, denn er bezeichnete mit dem Wort auch die Philosophie; allein er hielt es nicht für passend, seinem jungen Zögling zu widersprechen.

      »Nein, nein,« rief Paul in plötzlicher Erregung, »ich mag nicht glauben, daß ihr Herren die rechte Meinung vom russischen Volk habt, daß ihre seine Forderungen, seine geheimen Wünsche versteht. Nein! das russische Volk ist anders, als ihr es darstellt. Es hat eine heilige Scheu vor der Tradition, es ist patriarchalisch gesinnt, es kann nicht leben ohne Glauben …«

      »Ich versuche nicht, Ihnen zu widersprechen,« erwiderte Bazaroff, »ich will sogar anerkennen, daß Sie diesmal recht haben.«

      »Aber wenn ich recht habe …«

      »So ist damit durchaus nichts bewiesen.«

      »Durchaus nichts,« wiederholte Arkad mit der Sicherheit eines erfahrenen Schachspielers, der einen gefährlichen Zug seines Gegners voraussieht und keineswegs durch denselben außer Fassung zu geraten scheint.

      »Warum soll das nichts beweisen?« fragte Paul mit Erstaunen. »Also trennt ihr euch von eurem Volk?«

      »Und wenn dem so wäre? Das Volk glaubt, wenn es donnert, der Prophet Elias fahre im Himmel spazieren. Muß ich darum diese Meinung teilen? Sie glauben, mich aus der Fassung zu bringen, wenn Sie mir sagen, das Volk sei russisch? Bin ichs denn nicht auch?«

      »Nein, nach allem, was Sie soeben sagten, sind Sie kein Russe. Ich kann Sie als solchen nicht mehr anerkennen.«

      »Mein Großvater führte den Pflug,« antwortete Bazaroff mit hochfahrendem Stolz, »fragen Sie den nächsten besten Ihrer Bauern, wen er lieber als Landsmann anerkennt, Sie oder mich? Sie verstehen ja nicht einmal mit ihm zu reden.«

      »Und Sie, der Sie mit ihm zu reden wissen, Sie verachten ihn.«

      »Warum nicht, wenn ers verdient. Sie tadeln die Richtung meiner Gedanken, aber wer sagt Ihnen, daß sie eine zufällige, daß sie nicht vielmehr durch den Gesamtgeist dieses Volkes bestimmt ist, welches Sie so gut verteidigen?«

      »Gehn Sie doch! Die Nihilisten sind wohl gar notwendig?«

      »Seien sie es oder nicht; uns kommt es nicht zu, darüber zu entscheiden. Setzen Sie nicht auch voraus, daß Sie zu irgend etwas gut sind?«

      »Meine Herren, meine Herren, keine Persönlichkeiten!« rief Kirsanoff und stand auf.

      Paul lächelte, legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter und drückte ihn leicht auf den Stuhl zurück.

      »Sei ruhig,« sagte er zu ihm, »ich werde mich nicht vergessen, und zwar gerade auf Grund jenes Gefühls von Würde, das dieser Herr so laut verhöhnt. Herr Doktor, erlauben Sie,« fuhr er, aufs neue gegen Bazaroff gewendet, fort, »Sie glauben vielleicht, daß Ihr Standpunkt neu ist. Der Materialismus, dem Sie huldigen, stand schon mehr als einmal in Ehren und hat sich stets als ungenügend erwiesen …«

      »Schon wieder ein fremdes Wort,« erwiderte Bazaroff. Er fing an, ärgerlich zu werden, und sein Gesicht hatte eine unangenehme Kupferfarbe angenommen. »Vor allen Dingen sage ich Ihnen, wir predigen nicht; das liegt nicht in unserer Art.«

      »Was tut ihr denn?«

      »Das will ich Ihnen sagen. Wir haben damit angefangen, die Aufmerksamkeit auf diese Leuteschinder von Beamten, auf den Mangel an Straßen, auf die geringe


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