Deportiert auf Lebenszeit. Marcus Andrew Hislop Clarke

Deportiert auf Lebenszeit - Marcus Andrew Hislop Clarke


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heraus, wie ein Brief zusammen gefaltet und übergab es ihm.

      »Was ist das?« fragte er ganz bestürzt. »Geh zu Bett, Kind, du wirst Dich erkälten.«

      Es ist eine geschriebene Entschuldigung und ich erkälte mich nicht, denn ich habe meine Strümpfe an. »Wenn Sie es nicht annehmen,« fügte sie hinzu und zog ihre Brauen ein wenig zusammen, »ist es nicht mein Fehler. Ich habe Sie geschlagen, aber ich bitte um Verzeihung. Da ich eine Frau bin, kann ich keine andre Genugthuung geben.«

      Mr. Frere unterdrückte den Wunsch in lautes Gelächter auszubrechen und machte seinem höflichen Gegner eine tiefe Verbeugung.

      »Ich nehme ihre Entschuldigung an, Miß Sylvia,« sagte er.

      »Dann,« sagte Sylvia sehr förmlich, »habe ich also nichts mehr zu sagen und ich habe die Ehre, Ihnen gute Nacht zu wünschen, mein Herr.«

      Sie zog ihr Shawl fester um ihre Schultern und ging mit solcher Würde und Ruhe den Gang hinab als ob sie Amadis von Gallien selbst gewesen wäre.

      Frere eilte auf sein Zimmer, fast erstickt von Lachen, öffnete das Papier beim Licht seiner Talgkerze und las in steifer, kindischer Schrift geschrieben Folgendes:

      »Mein Herr, ich habe Sie geschlagen. Ich bitte schriftlich um Verzeihung.

      Ihre ergebene und dienstfertige Dienerin

      Sylvia Vickers.«

      »Aus welchem Buch mag sie das abgeschrieben haben?« sagte er. »Bei meiner Seele, sie muß ein wenig verdreht sein. Es ist ein sonderbares Leben für ein Kind hier. Das ist gewiß.«

       Sechstes Capitel.

      Ein Sprung im Dunklen

      Zwei oder drei Tage nach der Ankunft des Ladybird bemerkte der Gefangene auf dem Grummet Felsen ungewohnte Bewegung längs der Küste der Insel. Die Gefangenenboote, welche jeden Morgen bei Sonnenaufgang unterhalb der gezimmerten Ladebrücken auf die andre Seite des Hafens gebracht waren, waren gar nicht zu sehen. Der Bau einer Art von Landungsbrücke, welche von dem westlichen Punkt nach der Ansiedlung hin führte, wurde unterbrochen und alle Hände schienen mit dem neu gebauten Osprey, der noch auf Land lag, beschäftigt zu sein. Abtheilungen von Soldaten kamen täglich von dem Ladybird und halfen bei der geheimnißvollen Arbeit. Rufus Dawes, er täglich seine kleine Runde machte, zerbrach sich den Kopf, was wohl diese ungewöhnliche Bewegung bedeute. Unglücklicher Weise kam Niemand in seine Nähe, um ihn aufzuklären.

      Ungefähr vierzehn Tage später, etwa am 15. Dezember bemerkte er eine andre sonderbare Thatsache. Alle Boote der Insel gingen eines Morgens nach der andern Seite des Hafens hinüber und im Laufe des Tages erhob sich ein furchtbarer Rauch längs der Hügel. Am nächsten Tage wiederholte sich dieselbe geheimnisvolle Sache und am vierten Tage kehrten die Boote zurück und schleppten hinter sich etwas her, das wie ein ungeheures Floß aussah. Dieses Floß wurde an der Seite des Ladybird befestigt und war, wie er bald sah, aus Planken, Bäumen, Stangen u.s.w. zusammengesetzt, die alle an Bord gehißt und in der Brigg weggesteuert wurden.

      Dies gab Rufus Dawes viel zu denken. Wahrscheinlich gab man das Holzfällen auf und die Regierung hatte etwas Anderes ausfindig gemacht, um die Arbeit der Deportierten auszunützen. – Er hatte schon Bäume gefällt, Boote gebaut, Felle gegerbt und Schuhe gemacht. War es möglich, daß er jetzt wieder ein andres Handwerk lernen sollte? Ehe er noch über diesen Punkt mit sich in’s Reine kommen konnte, setzte ihn schon wieder eine neue Bootfahrt in Erstaunen. Drei Boote gingen die Bai hinab und kamen, nachdem sie einen Tag fortgeblieben, mit zahlreicher Bemannung zurück, brachten vier Fremde, eine Menge Vorräthe und Ackergeräthe mit. Da Rufus Dawes diese sah, schloß er, daß die Boote nach Philips Island, wo der Garten sich befand, gewesen waren und die Gärtner und Gartenprodukte abgeholt hatten. Rufus Dawes entschied, daß der Ladybird einen neuen Kommandanten gebracht hatte, Seine Augen, die durch das halb wilde Leben unendlich geschärft waren, hatten schon Mr. Maurice Frere erkannt und nun glaubte er zu verstehen, daß alle diese Veränderungen mit zu den Neuerungen gehörten. Als er mit seinen Folgerungen so weit gekommen, ging er auch noch weiter und kam zu einem Schluß, der, wenn die Voraussetzung richtig, auch natürlicher Weise sich ergeben mußte.

      Leutnant Frere wird ein viel strengerer Kammandant sein, als Major Vickers.

      Nun hatte die Strenge, was ihn selbst anbetraf, schon das allerhöchste Maß erreicht und der Unglückliche faßte den Entschluß sich das Leben zu nehmen.

      Ehe wir gegen die Sünde solchen Entschlusses angehen, wollen wir auseinander zu setzen versuchen, was der Sünder gelitten haben muß während der letzten sechs Jahre.

      Wir haben schon eine schwache Vorstellung bekommen von dem Leben auf einem Deportiertenschiffe und wir haben gesehen, durch welch’ ein Fegefeuer Rufus Dawes schon gegangen war, ehe er noch einen Fuß auf die andern Felsen des Höllemthors gesetzt hatte. Doch um die volle Pein seiner Qualen zu verstehen, müssen wir das Grauen des Zwischendecklebens auf dem Malabar noch steigern. In jenem Gefängnis war wenigstens noch ein Lichtstrahl. Alle waren doch nicht verabscheuenswerth; Alle waren doch nicht der Scham und der Menschlichkeit ledig. So drückend auch die Gefängnisluft, so niederträchtig die Gesellschaft, so traurig die Erinnerung an vergangenes Glück, – so lebte man doch in Unwissenheit der Zukunft, – in der Hoffnung.

      Aber hier in Macquarie Harbour mußten die Hefen des Bechers aller Leiden getrunken werden. Dies war das Schlimmste und dies Schlimmste blieb für immer, unverändert. Der Abgrund dieser Qualen war so tief, daß man den Himmel nicht mehr erblicken konnte. Keine Hoffnung so lange das Leben überhaupt dauerte. Der Tod allein hielt die Schlüssel zu diesem Gefängniseilande in Verwahrung. Kann man sich überhaupt nur eine Vorstellung davon machen, was ein unschuldiger Mann voller Ehrgeiz und Widerwillen gegen alles Gemeine, voll Sehnsucht nach Liebe und Achtung während einer einzigen Woche solchen Lebens erduldet haben muß? Wir gewöhnlichen Menschenkinder, die wir ein gewöhnliches Leben führen, die wir gehen, reiten, lachen, heirathen und verheirathet werden, können das Elend eines solchen Daseins nicht fassen. Vielleicht haben wir eine schwache Idee davon wie süß Freiheit ist und wie scheußlich die schlechteste Gesellschaft, – aber das ist auch Alles. Wir wissen, daß wenn wir mit Ketten beladen und erniedrigt wären, gefüttert wie Hunde, gebraucht als Lastthiere, mit Flüchen und Schlägen zu unsrer täglichen Arbeit getrieben; – wenn wir mit Elenden zusammen leben müßten, unter denen Alles was nach Anstand oder Menschlichkeit aussah, nur verspottet oder verhöhnt wurde, – dann würden wir – ja – was? Wahnsinnig werden oder sterben! Aber wir wissen nicht und können nicht wissen, wie unaussprechlich abschreckend das Leben für Jemand werden muß, der es mit Wesen zu theilen hat, wie diejenigen waren, welche die Baumstämme nach den Ufern des Gordon schleppten oder fluchend und Gott lästernd ihre Ketten in den trostlosen Sandgruben von Sara Island hinschleppten. Kein menschliches Wesen kann ermessen, zu welcher persönlichen Erniedrigung, zu welchem Abscheu vor sich selbst eine Woche dieses Lebens es bringen würde. Selbst, wenn der Mann die Kraft hätte, dies zu schildern, – er würde es nicht wagen. Wie Jemand, der in einer Wüste nach einem menschlichen Antlitz ausschaut und auf einen Blutpfuhl stoßend, sein eigenes Gesicht darin abgespiegelt sieht – entflieht, so würde auch Jeder die Schilderung seiner eigenen Todesqualen fliehen., Und nun denke man sich, daß diese Qualen schon sechs Jahre dauerten! Unbekannt damit, daß die Zeichen und Töne unter ihm die Symptome der gänzlichen Auflösung der Ansiedlungwaren und daß der Ladybird gekommen war, um die Gefangenen abzuholen, beschloß Rufus Dawes die Last des Lebens von sich zu werfen, welche so schwer auf ihm ruhte. Sechs Jahre lang hatte er Holz gehauen und Wasser getragen; sechs Jahre lang hatte er gehofft wider alle Hoffnung und sechs Jahre lang hatte er im Thal der Todesschatten gelebt. Er wagte sich nicht alle Leiden zurückzurufen, die er durchgemacht. Seine Sinne waren abgestumpft und getödtet durch alle diese Qualen. Er dachte nur noch an Eins: daß er gefangen war, – lebenslänglich gefangen! Sein erster Traum von Freiheit war vergeblich gewesen. Er hatte sein Bestes gethan, um sich durch gutes Betragen, Urlaub zu erwerben, aber die Schurkerei von Vetch und Rex hatte ihn der Frucht aller seiner Anstrengungen beraubt. Statt sich Lob zu erwerben dadurch, daß er die Verschwörung auf dem Malabar zur Anzeige brachte, wurde er selbst für schuldig gehalten und trotz aller seiner Betheurungen verurtheilt. Seine »Verrätherei«, wie seine Gefährten es nannten, brachte ihm nichts ein bei den Vorgesetzten,


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