Infam cassirt. Multatuli

Infam cassirt - Multatuli


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      Infam cassiert

      Eine der verbrauchtesten Romanfiguren ist der Musik- oder Zeichnenlehrer, der in irgend einem vornehmen Hause der liebenswürdigen und schönen Tochter Unterricht giebt und das junge Herz für sich gewinnt. Man denke nur an das hübsche Schauspiel »Mathilde« von Roderich Benedix, wo das oft dagewesene Thema mit so ausgezeichnetem dramatischen Geschick behandelt wird. Uebrigens ist dieser Vorfall nicht nur in Komödien und Romanen ein häufig wiederkehrender, sondern er kommt auch wirklich im Leben oft genug vor, und dann gewöhnlich in viel unglaublicherer und absonderlicherer Art; denn in den Romanen wird der betreffende Lehrer doch gewöhnlich als ein Mann von schönem Aeußeren und edlen Geistesgaben geschildert, der sich später als ein großer Künstler entpuppt, oder die Geliebte muthvoll entführt, oder aber sich als verzweifelnder Held todtsticht, während im wirklichen Leben gar oft kein Mensch begreifen kann, was das junge sechzehnjährige Herz an dem spindeldürren Pedanten oder geckenhaften Taugenichts findet. Mitunter capricirt sich solch ein junges Ding auf die verliebte Albernheit und es sind Fälle dagewesen, daß der Gegenstand ihrer Frühlingsneigung sich nicht anders zu helfen wußte, als indem er auf die einträgliche Kundschaft der Schülerin verzichtete und sie am Ende gar bei ihren Eltern selbst denuncirte.

      Wenn die Heldin der nachfolgenden Erzählung, die Tochter des Finanzraths von Bremer, sich nun ebenfalls in ihren Musiklehrer Herrn Palm verliebt hat, und wenn diese Liebe sogar den Grundstein bilden soll, auf dem das ganze Gebäude von ernsthaften Verwicklungen, die wir dem Leser vorzuführen gesonnen sind, sich erhebt, so müssen wir im Voraus versichern, daß bei Herrn Palm allerdings mancherlei Umstände mitwirkten, welche Karoline von Bremer rechtfertigen konnten, wenn überhaupt die Liebe junger Mädchen einer Rechtfertigung bedarf.

      Erstens war Herr Palm äußerlich wirklich ein vollkommener Cavalier; damit soll nicht gesagt sein, daß er es etwa darauf abgesehen habe, als Mann von Welt und feinen Manieren zu erscheinen; er gab sich im Gegentheil alle Mühe, so schlicht und einfach wie möglich aufzutreten, aber jeder Blick seiner Augen, jeder Schritt, den er ging, und jedes Wort aus seinem Munde bewies, daß er von Jugend an gewohnt sein mußte, in der besten Gesellschaft zu leben und sich mit Sicherheit und Selbstbewußtsein überall zurechtzufinden. Zweitens war auch die Art und Weise, wie Herr Palm nach Hellhausen gekommen war, eine so eigenthümliche; er war daselbst so vollständig unbekannt und ohne allen verwandtschaftlichen Anhang, daß die Phantasie eines jungen Mädchens Spielraum genug hatte, ihn als verwunschenen Prinzen oder was sie sonst Lust hatte zu betrachten.

      Man hatte nämlich im vergangenen Winter ein Wohlthätigkeitsconcert arrangirt, zu welchem ein namhafter Pianist aus Brüssel seine Mitwirkung zusagte. Zur Verzweiflung der Unternehmer hatte derselbe an dem Tage, an welchem das Concert sein sollte, seine Ankunft telegraphisch abgesagt und man war rathlos, was zu thun sei. Da war nun Herr Palm, der seit drei Tagen im Gasthofe zur Krone, dessen großer Saal bei dem Concerte benutzt werden sollte, logirt hatte, als Retter des Unternehmens aufgetreten, hatte Beweise einer außergewöhnlichen Künstlerschaft auf dem Piano abgelegt und sich dann erboten, die sämmtlichen Nummern, welche der Brüsseler Künstler zugesagt hatte, in dem Concerte zu übernehmen. Der Saal war an dem Abend sehr gefüllt. Das Publicum nahm die Ankündigung, daß ein fremder Künstler die Stelle des erwarteten Pianisten einnehmen werde, nicht mit besonderer Zufriedenheit auf; kaum aber hatte sich die edle, zwanglose und dabei doch bescheidene Erscheinung des Herrn Palm präsentirt, als ein Flüstern der Ueberraschung entstand und man bereits günstig für ihn gestimmt war. Diese Voreingenommenheit wurde nicht getäuscht und Herr Palm hatte einen vollständigen Erfolg; er mußte am Schlusse des Concertes noch eine kleine Nummer zugeben und wählte dazu eine allerliebste moderne Bravourcomposition, mit deren brillantem Vortrage er die Zuhörer geradezu elektrisirte.

      Am anderen Tage empfing Herr Palm die Besuche mehrerer Herren, welche als die Unternehmer jenes Concertes und Freunde der Kunst ihm den Dank der Stadt ausdrückten. Der Finanzrath von Bremer war darunter. Palm konnte in Folge des Concertes einige Einladungen nicht ablehnen; er hatte ursprünglich die Absicht gehabt, nur wenige Tage in Hellhausen zu bleiben, bis zur Erledigung dringender Angelegenheiten, aber man überhäufte ihn mit Aufmerksamkeiten, bat ihn, wenn es seine sonstigen Verhältnisse gestatteten, sich längere Zeit in Hellhausen aufzuhalten und gab ihm auf die zarteste Weise zu verstehen, daß einige junge Damen gern bei ihm Unterricht nehmen würden, so daß er sich bewegen ließ und den Versuch machte, sich daselbst eine Stellung als Clavierlehrer zu gründen.

      So war es gekommen, daß Karoline von Bremer, welche ein ziemlich bedeutendes Talent besaß, eine der ersten Schülerinnen Palm's wurde, oft und viel mit ihrem Lehrer zusammenkam und mit ihm in jenen Regionen der Kunst verkehrte, die so gefährlich für jugendliche Gemüther sind und so leicht zu einem Einverständnisse führen, welches gerade deshalb, weil es auf außergewöhnlichen Interessen basirt, einen um so höheren Reiz, eine um so größere Gewalt besitzt.

      Wenn nun in anderen Fällen gar häufig die jugendliche Neigung eines eben erst erwachenden Mädchenherzens auf den Irrweg geräth, so war dies hier wenigstens nicht vollständig der Fall; denn obgleich der Rang des Finanzraths von Bremer, der obendrein in zweiter Ehe mit einer verwittweten Baronin von Richthaus verheirathet war, eine Verbindung seiner Tochter mit dem Musiklehrer Palm sehr schwer möglich erscheinen ließ, so fiel dagegen einestheils Palm's Persönlichkeit, sein durchweg distinguirtes Wesen ins Gewicht, und die bekannte Leutseligkeit des Finanzraths ließ am Ende vermuthen, daß von seiner Seite die Hindernisse nicht vermehrt, sondern vielmehr der Weg zum Ziele so viel als möglich geebnet würde. Alles dies wirkte bei Karoline dahin, daß sie ihrer aufkeimenden Liebe nicht entgegenarbeitete und mit vollem und klarem Bewußtsein das Gefühl für Palm sich vertiefen und ihr ganzes Wesen ausfüllen ließ. Uebrigens war zwischen Beiden noch kein Wort der Erklärung gewechselt worden und Palm schien von Tag zu Tage, je mehr ihm Karolinens Liebe klar wurde, um so mehr sich zurückzuhalten und seine eigene Empfindung niederzukämpfen.

      Eines Tages kam Palm, wie dies öfters zu geschehen pflegte, zu einer nicht vorher festgesetzten Vormittagsstunde in das Haus des Finanzraths und begab sich sofort in das Musikzimmer. Sophie, das Mädchen der Frau von Bremer, hatte ihn kommen sehen und beeilte sich, Karoline davon in Kenntniß zu setzen.

      Inzwischen ging Palm in dem Zimmer heftig bewegt auf und nieder; er hatte eine Rolle in der Hand, die er auf das Clavier niederlegte, während er selbst an das Fenster trat und trübe durch die Scheiben blickte. Er rang nach Fassung.

      Ruhig, ruhig, mein Herz, sagte er zu sich selbst; ist es denn ein so gewaltiger Kampf, der dir bevorsteht, und mußt du ihn nicht zu Ende führen? Hätte mein Vater voraus wissen können, welch eine Pflicht er mir auferlegte und hätte ich selbst alle die Folgen, die sich nun für mich ergeben, vorher ermessen können, es würde vielleicht nicht bis zu diesem herben Entschlusse gekommen sein; nun aber giebt es keinen Rückweg mehr und ich muß ertragen, was das Schicksal über mich verhängt.

      Eine Weile starrte er wieder vor sich hin.

      Karoline! seufzte er dann und eine Thräne trat in sein Auge; aber rasch wischte er dieselbe fort und sagte: Fort mit diesem Namen, einmal noch will ich sie sehen und dann ist Alles auf immer vorbei.

      Aus seinem düsteren Nachsinnen riß ihn der Eintritt Sophiens, welche in Karolinens Namen kam und ihn bat, zu entschuldigen, daß das gnädige Fräulein heute leider nicht im Stande sei, mit ihm zu musiciren.

      Diese Mittheilung erschreckte Palm so sehr, daß er auffallend rasch die Frage an das Mädchen richtete, ob Fräulein Karoline krank sei, oder weshalb sie auf so ungewöhnliche Art sich dem Unterrichte entziehe.

      »Ich weiß wahrhaftig nicht, was dem gnädigen Fräulein fehlt,« entgegnete Sophie, »ich weiß nur, daß sie den ganzen Vormittag geweint hat, mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.«

      »So gehen Sie zu ihr,« bat Palm, »und sagen Sie dem gnädigen Fräulein, daß ich sie dringend ersuchen lasse, herunter zu kommen, sagen Sie, daß ich eine neue Composition mitgebracht habe, und daß ich heute zum letzten Male – doch nein! sprechen Sie nur von der Komposition.«

      Sophie wußte sich die Hast und Erregtheit des Musiklehrers nicht recht zu erklären, aber da sie als Kammermädchen selbstverständlich ihre eigenen Ideen hatte und Palm's Gleichgültigkeit gegen sie selbst schon lange aus einem gewissen Grunde erklärt hatte, so schüttelte sie ein wenig den Kopf und ging dann, um den Auftrag an Karoline auszurichten.

      Palm trat wieder an das Fenster und trotz


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