Infam cassirt. Multatuli

Infam cassirt - Multatuli


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als sie an das Instrument getreten war und einige Accorde gegriffen hatte, schrak er auf und drehte sich nach ihr um.

      »Vergeben Sie meine dringende Bitte, gnädiges Fräulein,« sagte er; »Sophie theilte mir mit, daß Sie heute nicht aufgelegt seien, Musik zu machen, und dennoch ließ ich Sie bitten, sich hierher zu bemühen, weil ich – ich hatte –« er gerieth in Verwirrung und fand die rechten Worte nicht, um seine Gedanken auszudrücken.

      Karoline setzte sich, offenbar in der Absicht, ihm so wenig als möglich in das Gesicht zu sehen, vor das Piano und sagte: »Sophie hat mir von einer neuen Composition gesprochen, und obgleich ich sehr beschäftigt war, trieb mich die Neugierde doch hierher. Wo haben Sie die Composition?«

      Palm nahm die Rolle von dem Tische, öffnete diese und stellte sie auf das Notenpult des Instruments.

      Karoline versuchte die Composition zu spielen, aber sie fand bald einige Schwierigkeiten, und indem sie Palm bat, ihr dieselbe zuerst einmal vorzuspielen, rückte sie zur Seite, so daß er einen Stuhl vor das Instrument neben ihren Sitz stellen und sich dort niedersetzen konnte, um die Composition zu spielen.

      Es war eine Art Elegie, ein kurzes, von tiefstem schmerzlichen Gefühle eingegebenes Tonstück, welches, auch von jeder anderen Hand gespielt, immer eine ergreifende Wirkung hätte machen müssen, von ihm aber in diesem Augenblicke vorgetragen, wie eine tiefe, unbeschreiblich schmerzliche Klage aus wundem Herzen klang. An jedem Tone, den er spielte, hing gleichsam eine Thräne, und als er geendet hatte, saß Karoline in tiefster Seele ergriffen und überwältigt, und die heißen Tropfen rannen über ihre Wangen.

      Nach einer Pause sagte sie: »Das ist herrlich, unaussprechlich schön; von wem ist diese ergreifende Composition?«

      Palm erhob sich, und indem er das Heft zusammenfaltete, reichte er es ihr und sagte: »Der Name steht außen auf dem Notenhefte.«

      Karoline nahm es und las:

      »Abschied, dem Fräulein Karoline von Bremer gewidmet von Palm.«

      Sie fuhr zusammen. »Was bedeutet das, Herr Palm?« sagte sie und blickte ihn an. Aber sie erkannte in seinen Mienen auch sofort den Sinn jener Worte, und schmerzlich bewegt setzte sie fassungslos im Drange ihrer Empfindung hinzu: »Warum wollen Sie Abschied nehmen? Warum wollen Sie mich verlassen?«

      Kaum aber hatte sie dies gesagt, so setzte sie, über und über roth werdend, hinzu: »Ich fühle so sehr, daß ich Ihrer Leitung noch bedarf; Papa würde gewiß sehr bedauern.«

      »Ich muß durchaus von hier fort,« entgegnete Palm, »und zwar schnell, so schnell als möglich, wenn es nicht zu spät werden soll,« und er setzte hinzu: »Es sind dringende Angelegenheiten, die mich von hier fortrufen.«

      »Und wenn ich Sie bitte, hier zu bleiben, werden Sie mir diese Bitte abschlagen?« sagte Karoline mit Herzlichkeit, indem sie ihm die Hand reichte. Aber Palm wagte weder, ihr in das Gesicht zu sehen, noch die dargebotene Hand anzunehmen.

      »Ich kann nicht,« sagte er mit gepreßter Stimme, »ich darf nicht.«

      Karoline wendete sich ab und sprach im Tone tief verletzten Gefühls: »Ich hätte nicht gedacht, daß eine Bitte von mir so wenig über Sie vermöchte.«

      Diese Worte drangen dem armen Palm tief ins Herz. »Hören Sie mich, gnädiges Fräulein,« stieß er hervor, indem er mühsam nach Worten rang; »schon lange, bevor ich das Haus Ihrer Eltern zum ersten Male betrat, hatte ich Verbindlichkeiten übernommen, die einem Manne von Ehre heilig sein müssen, Verbindlichkeiten, die ich nicht brechen kann und die mich auf ewig fesseln werden; ich gehöre mir selbst nicht an und obgleich mein Leben hinfort freudenlos und düster sein wird, muß ich Sie doch bitten: lassen Sie mich gehen, und wenn später Ihr schönes Herz nicht ganz von anderen neuen Eindrücken beherrscht wird, so soll es mir zum Troste gereichen, zu wissen, daß Sie sich zuweilen der herrlichen Augenblicke erinnern, die ich hier in Ihrer Nähe verleben durfte.«

      Karoline wußte nicht, was sie davon denken sollte. Wenn Palm anderwärts gefesselt war, wenn er sein Herz nicht mehr frei wußte, weshalb denn dieser traurige Abschied, weshalb ein Geheimniß? Ihr eigenes Herz trieb sie weiter, als sie sonst wohl gewagt hätte zu gehen, und zögernd frug sie: »Aber wenn Jemand, der Sie liebt, jemand, an dem Ihr Herz mit Neigung hängt, Sie hier zurückhalten würde?« –

      Rasch entgegnete Palm: »Ich liebe Niemanden und Niemand liebt mich; ich darf Niemanden lieben, denn meine Liebe würde für den Gegenstand derselben ein Fluch sein.«

      Karoline fühlte sich aufs Neue von tiefem Schmerz durchdrungen; sie sah den Unglücklichen leiden und konnte sich die Ursache seines Kummers nicht erklären; gern hätte sie ihm ihre Liebe bekannt, wäre sein seltsames Verhalten ihr nicht gar zu unerklärlich erschienen, sie wartete auf irgend ein entgegenkommendes Wort von seiner Seite, um ihm dann zu sagen, daß sie alle Hindernisse überwinden und die Seine werden wolle.

      Palm ergriff nun die Hand des jungen Mädchens, und indem er dieselbe an seine Lippen drückte, sagte er: »Leben Sie wohl, denken Sie zuweilen an mich, Sie werden mich niemals wiedersehen!«

      Nun aber konnte sich Karoline nicht zurückhalten. Schluchzend und mit dem Ausdrucke vollster Leidenschaft rief sie Palm's Namen, und dieser, der bereits an der Thür des Zimmers angelangt war, wendete sich wie von magischer Gewalt erfaßt um, eilte auf sie zu, und indem er sie in schmerzlicher Gluth umarmte, sagte er:

      »Ja, Karoline, ich habe Sie lieb; feurig, glühend liebe ich Sie, als das Ideal meiner Träume, als das Ziel meines Lebens, als meine höchste Seligkeit. Diese Gluth brannte in mir und verzehrte mein Herz, und je mehr ich dieses Feuer unterdrücken wollte, um so stärker flammte meine Liebe und meine Raserei empor. Lieben Sie mich denn auch, Karoline? Sagen Sie mir es nur einmal, sprechen Sie es aus, dieses Wort, das mich armen Menschen selig macht! Sagen Sie es, Karoline, haben Sie den unglücklichen Palm lieb?«

      Karoline verbarg ihr Gesicht an seiner Brust und konnte nichts weiter hervorbringen, als leise flüsternd den Namen Palm, aber der Ton, womit sie diesen Namen sprach, enthielt Alles und er drang dem Liebenden wie ein Götterwort ins Herz. »Sag' es noch einmal, Karoline,« flehte er, »noch einmal, daß du mich lieb hast.«

      Da schlang Karoline ihre Arme um seinen Hals und flüsterte: »Palm, lieber Palm, ich liebe dich jetzt und für ewig.«

      Aber kaum hatte sie dies gesagt, als Palm plötzlich wie aus einem Traume erwachte. Er riß sich aus ihren Armen los, schlug sich vor den Kopf und sagte knirschend: »Was thue ich! Ein Schurkenstreich ist es, was ich hier begangen habe!«

      »Gott im Himmel!« rief Karoline, die nicht begreifen konnte, was in Palm vorging.

      Die Angst, welche sich in ihrem Gesichte ausprägte, brachte Palm rasch wieder zur Besinnung, und mit erzwungener Ruhe sagte er nun: »Vergeben Sie meine unbedachtsame Schwäche, gnädiges Fräulein, es ist wahr, daß ich Sie liebe, aber niemals hätte ein Wort von Liebe über meine Lippen kommen dürfen, da es unsinnig wäre, irgend eine Hoffnung auf dieselbe zu setzen; mein Stand, der Rang Ihres Herrn Vaters, die Ansichten und Erwartungen Ihrer Frau Mutter sind Umstände, die mir jede Hoffnung rauben. Vergeben Sie mir, was ich soeben in der Uebereilung gesprochen habe; vergessen Sie, daß ich Sie liebe, daß ich lebe, und wenn die Nothwendigkeit ein Opfer fordert, so lassen Sie mein gebrochenes Herz das einzige Opfer sein.«

      Karoline ließ sich nicht so rasch entmuthigen: »Mein Vater,« sagte sie, »ist ein edler Mann und Sie wissen, daß er, der die Menschen nur nach ihrem Werthe schätzt, Sie hochachtet; weshalb also wollen Sie die Hoffnung aufgeben?«

      Palm ließ sich nicht halten; er sagte: »Es ist wahr, Karoline, Ihr Vater ist der edelste Mensch, aber dennoch kann ich nicht bleiben. Leben Sie wohl und vergessen Sie mich.«

      Er wollte das Zimmer verlassen, und Karoline, die sein Benehmen durch nichts erklären konnte, stand rathlos, als sich eine Seitenthür öffnete und Herr und Frau von Bremer eintraten.

      Palm blieb mit ehrerbietigem Gruße an der Thür stehen, aber es konnte den Eintretenden nicht verborgen bleiben, daß irgend etwas vorgefallen war.

      Der Finanzrath betrachtete die beiden jungen Leute aufmerksam und sagte dann freundlich: »Was hat es hier gegeben?«

      Auch


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