Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft. Multatuli
schien, Charakter zu zeigen; herablassend und wohlwollend für die, die sein geistiges Übergewicht anerkannten; aber unangenehm, wenn man sich dem widersetzen wollte; offenherzig aus Trotz, und bei Stürmen hinterhältig, wo er fürchtete, daß man seine Aufrichtigkeit als Unverstand ansehen könnte; ebenso zugänglich für sinnlichen wie für geistigen Genuß; blöde und schlecht beredt, wo er meinte nicht verstanden zu werden, aber von großer Beredsamkeit, wenn er fühlte, daß seine Worte auf willigen Boden fielen; träge, wenn er nicht durch einen Reiz angespornt wurde, der aus seiner eigenen Seele kam, aber eifrig, feurig, wo dies der Fall war; ferner freundlich, vornehm in seinen Manieren und untadelhaft in seinem Auftreten so etwa war Havelaar.
Ich sage: etwa; denn wenn alle Begriffsbestimmungen schwierig sind, so gilt dies erst recht von der Beschreibung einer Person, die von der alltäglichen Grundform sehr abweicht. Deswegen wird es wohl auch kommen, daß Romandichter ihre Helden gewöhnlich zu Teufeln oder Engeln machen. Schwarz und weiß lassen sich bequem schildern, aber schwerer ist das richtige Wiedergeben einer bunten Mischung, die dazwischen liegt, wenn man an die Wahrheit gebunden ist und deshalb weder zu dunkel noch zu licht färben will.
Ich fühle, daß die Skizze, die ich von Havelaar zu geben versucht habe, höchst unvollkommen ist. Die Materialien, die mir vorliegen, sind von so verschiedener Art, daß sie mich durch das Übermaß an Reichtum in meinem Urteil behindern, und ich werde deshalb zur Ergänzung wieder darauf zurückkommen, wenn es die Ereignisse, die ich euch mitzuteilen wünsche, so mit sich bringen. Das eine ist sicher, es war ein ungewöhnlicher Mensch, und es lohnte der Mühe, ihn zu studieren. Ich bemerke schon jetzt, daß ich versäumt habe, als einen seiner hauptsächlichsten Züge anzuführen, daß er die heitere und ernste Seite der Dinge mit derselben Schnelligkeit und zu gleicher Zeit erfaßte; seine Sprechweise bekam daher, ohne daß er es selbst wußte, eine Art von Humor, die seine Zuhörer oft in Zweifel brachte, ob sie von dem tiefen Gefühl, das in seinen Worten herrschte, getroffen sein sollten, oder ob sie lachen sollten über den Scherz, der mit einmal den Ernst davon abbrach.
Bemerkenswert war, daß sein Auftreten und selbst seine Empfindungen so wenig Spuren seines vergangenen Lebens trugen. Das Rühmen mit Erfahrung ist ein lächerlicher Gemeinplatz geworden. Es giebt Leute, die fünfzig oder sechzig Jahre lang mit dem Strömchen, in dem sie zu schwimmen meinten, mitgetrieben sind, und die von all der Zeit weiter nichts erzählen könnten, als daß sie von der A-Gracht nach der B-Straße verzogen sind, und nichts ist gewöhnlicher als das Pochen auf »Erfahrung« gerade bei denen, die ihre grauen Haare so idyllisch bekommen. Andere wieder begründen ihren Anspruch auf »Erfahrung« mit wirklich erlebten Schicksalen, ohne daß sich indes aus irgend etwas ergiebt, daß sie durch diese Schicksale in ihrem Seelenleben ergriffen worden sind. Ich kann mir denken, daß das Erleben oder selbst die Beteiligung an wichtigen Ereignissen wenig oder gar keinen Einfluß auf die Seele mancher Leute ausübt. Wer daran zweifelt, der frage sich, ob man allen Bewohnern Frankreichs »Erfahrung« zuerkennen soll, die im Jahre 1815 etwa vierzig oder fünfzig Jahre alt waren? Und das waren doch alles Leute, die das große Drama, die Umwälzung von 1789, nicht nur hatten aufführen sehen, sondern die selbst eine mehr oder minder wichtige Rolle darin gespielt hatten.
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