Fabeleien. Rosa Mayreder
sagte dann: »Ich weiß, ehrwürdiger Vater, so heißt es Buch Hiob, Kapitel 41 –«
Aber der Einsiedler hatte es nicht gerne, wenn man seine Rede unterbrach, und fuhr fort: »Kein Pfeil wird ihn verjagen; den Hammer achtet er wie Stoppeln; er spottet der bebenden Lanze. Nach ihm leuchtet der Weg, er macht die Tiefe ganz grau; auf Erden ist ihm niemand zu gleichen; er verachtet alles, was hoch ist, er ist ein König über die Stolzen –«
»Aber wo ist er zu finden?« rief der heilige Georg.
»Das steht nicht geschrieben«, versetzte der Einsiedler, ermattet von seiner großen Deklamation.
»Und habt Ihr ihn nicht gesehen, auf Euren Wegen, ist er nicht vorübergekommen vor Eurer Klause?«
»Gesehen? Nein, gesehen habe ich ihn nie! Gott hat mir immer seinen gnädigen Schutz angedeihen lassen. Und vor meiner Tür ist ein Pentagramma angebracht; da kann all das Teufelszeug nicht heran.«
Der heilige Georg empfahl sich.
Freundlich beschnupperten ihn die Tiere des Waldes; denn sie erkannten den Heiligen in ihm, obwohl er keinen Heiligenschein trug. Er kraute ihnen liebreich die Ohren, bevor er seinen Schimmel bestieg. Dann ritt er fürbaß, bis er vor die Klause des zweiten Einsiedlers kam.
Der zweite Einsiedler machte ein sehr bedenkliches Gesicht, als er von den Plänen des heiligen Georgs erfuhr.
»Den Drachen kenn ich wohl, mein Sohn«, sagte er. »Nur rate ich dir, geh ihm aus dem Wege, geh ihm aus dem Weg! Und wenn du ihn bis jetzt nicht angetroffen hast, so danke Gott dafür inbrünstiglich, und vermiß dich nicht dessen, was Gott in seiner unerforschlichen Gnade dir vorenthält. Als ich jung war und mein Sinn auch nach eitel Ehren und Waffentaten stand, habe ich mich selbst mit dem Gedanken getragen, den Kampf gegen den Drachen aufzunehmen; aber Gott hat meinen Sinn erleuchtet, und ich habe abgelassen von den Werken der Ruhmsucht. Gott liebet diejenigen, so da demütig sind und nicht trachten nach ihrem Stolz.«
»Ehrwürdiger Vater«, versetzte der heilige Georg, »ich glaube Euch versichern zu dürfen, daß es nicht eitle Ruhmsucht ist, die mich treibt, mein Werk zu vollbringen, sondern das Mitgefühl mit der Not aller derer, die der gräuliche Drache bedroht.«
Aber auch der zweite Einsiedler hatte es nicht gerne, wenn man seine Rede unterbrach und fuhr fort:
»Lieber Sohn, hüte dich vor den Fallstricken des Bösen! Er packt uns bei unserer Eitelkeit und verblendet uns durch schöne Worte. Hinweg mit den ritterlichen Beinschienen und dem spiegelblanken Harnisch! Hülle deinen Leib in ein hären Gewand und kasteie dich! Dann wirst du die Arglist des Erzfeindes erkennen lernen. Innewerden mit Zerknirschung wirst du, daß sich hinter deinen Absichten und Plänen die alte Schlange verbirgt. Denn vernimm: Alles, was opus operatum ist, führt nicht zum wahren Heile. Darum tu ab von dir alle Pläne und Absichten, und laß Gott walten! Er allein ist der Herr! Er tötet die Drachen zu ihrer Zeit und erhält sie am Leben, so lange es ihm gefällt. Glaubst du, er braucht deines Armes, um seinen Willen zu vollstrecken?«
Damit ließ der Einsiedler den heiligen Georg stehen und ging eilig von dannen; denn es war gerade die Stunde, da er das Glöcklein seiner Kapelle zu läuten pflegte.
Der heilige Georg war über diese Worte sehr betrübt. Er fühlte, wie sein tapferes Heldenherz schwer hinter dem spiegelblanken Harnisch hing und die Freudigkeit seiner Seele davonschlich, als hätte jemand mit Knütteln nach ihr geschlagen.
Dennoch ließ er nicht ab von seinem Vorsatz. Lange ritt er querwaldein, bis er den dritten Einsiedler fand.
Der dritte Einsiedler war schon uralt. Seine Stimme klang wie aus einer andern Welt, und seine Augen schienen mehr nach innen als nach außen zu blicken. Auch sein Gehör war nicht mehr ganz auf die Töne dieser Welt gestimmt; der heilige Georg hatte seine liebe Mühe, sich verständlich zu machen und mußte alles dreimal wiederholen.
»Den Drachen kenn ich wohl, mein Sohn«, begann der uralte Einsiedler, nachdem er lange medidiert hatte. »Aber wisse: hier obwaltet ein großes Mißverständnis. Du lebst in dem Wahne, daß du den Drachen in der äußeren Welt aufsuchen und töten müßtest. Es gibt aber gar keinen Drachen in der äußeren Welt – denn es gibt auch keine äußere Welt. Der Drache ist ein inneres Erlebnis; er wohnt in dir selbst. In deinem Innern mußt du ihn aufspüren, mußt du ihn jagen, mußt du ihn töten –«
»Verzeiht, ehrwürdiger Vater«, versetzte der heilige Georg, »ich meine den wirklichen Drachen, der schon so viele Unglückliche aufgefressen hat.«
Aber auch der uralte Einsiedler hatte es nicht gerne, wenn man seine Rede unterbrach, und fuhr fort:
»Ich werde dir sagen, wer dieser Drache ist. Dieser Drache, das ist dein Ich mit seinem Eigenwillen und seiner Selbstsucht. Oder, allgemeiner gefaßt: das principium individuationis, das ist der rasende, gefräßige, siebentöterische Drache, der Urheber jener Lüge, welche du die wirkliche Welt nennst. Zertritt ihm den Kopf, mein Sohn! Das heißt, verneine ihn, vernichte ihn in dir! Wenn du ihn in dir vernichtest, so vernichtest du mit ihm die sogenannte wirkliche Welt – also gesetzt auch, es befände sich unter der Summe von Täuschungen, aus denen die sogenannte wirkliche Welt besteht, eine Täuschung in der Gestalt eines Drachen, so wirst du diese Täuschung am besten besiegen, wenn du sie in dir, zugleich mit allen übrigen Täuschungen, besiegst.«
Der heilige Georg setzte sich verwirrt auf einen bemoosten Stein.
Indessen verbreitete sich der uralte Einsiedler noch ausführlicher über seine Methode des Kampfes gegen Drachen. Er schloß:
»Sieh mich an, ich bin der wahre Drachentöter! Ich habe die Welt überwunden und ihre Lüste! In mir ist ihr Wesen zur vollen Selbsterkenntnis gelangt und hat sich selbst aufgehoben durch freie Verneinung. Bald wird auch die letzte armselige Spur der Welt, dieser hinfällige Leib, ausgetilgt sein. Die Welt, sie wird erlöst mit mir in das göttliche Nichts dahinschwinden!«
Er machte eine große, weltumfassende Handbewegung, als wollte er den heiligen Georg wie einen Fleck aus seiner Sphäre wegwischen.
Bange erhob sich der heilige Georg und stammelte:
»Aber ich? Was bin denn ich? Bin ich auch nur eine Täuschung, die ins Nichts dahinschwinden wird, sobald Ihr das Zeitliche segnet, ehrwürdiger Vater?«
Auf diese Frage gab der uralte Einsiedler keine Antwort; denn er war bei dem Worte Nichts in Verzückung gefallen.
Der heilige Georg ritt weiter. Sein junges Gesicht war noch viel blässer geworden. Er dachte in seinem Sinn, daß es doch wohl leichter sei, mit Drachen zu kämpfen, als sich mit Einsiedlern zu unterreden.
Am Saume des Waldes hielt er an. Da lag die Welt so leuchtend und licht; auf dem sonnigen Himmel hingen muntere Wölkchen, vor denen die Lerchen tirilierten; in silbernem Grün standen die Saatfelder, und wenn der Wind über sie hinlief, spielten sie mit ihm in weichen, zärtlichen Wellen. Unten im Thal stieg aus den Schornsteinen wohlgemut und aufrecht ein blauer Rauch wie ein Lobgesang behaglicher Heimstätten über die Strohdächer. Ein warmer Geruch von sonnebeschienenem Wiesenheu schwebte in der Luft, die sich schmeichelnd dem heiligen Georg an die Wangen legte. Zutrauliche Schmetterlinge setzten sich auf seine Hände, geschäftige Bienen ruhten sich auf seinen Locken aus, neugierige Vögel hüpften aus den Zweigen hervor, um ihn mit glänzenden Augen in der Nähe zu betrachten.
Und den Weg herauf, der sich zwischen den Ähren schlängelte, kam ein fahrender Spielmann gegangen. Der sprach zu ihm:
»Was stehst du hier so betrübt, du lieber Gesell? Die Welt lacht dich an – willst du ihr nicht mit einem freundlichen Gesicht erwidern?«
»Ach«, versetzte der heilige Georg, »dies Lächeln der Welt schneidet mir ins Herz! Liegt sie nicht da wie ein Kindlein in der Wiege, das die Arme ausstreckt nach der Mutter, unschuldig und sonder Arg? Aber ehʼ man sichʼs versieht, kann der Drache über sie hereinbrechen und all ihre süße Seligkeit in bitteres Herzleid wandeln! Deshalb bin ich ausgezogen, den Drachen zu töten; aber der Drache verbirgt sich vor mir, und ich sehe wohl, es wird mir nicht beschieden sein, die Welt von ihm zu befreien.«
Der Spielmann betrachtete den heiligen Georg mit herzlichem Wohlgefallen. »Wohlan denn« sagte er, »nimmst du mich mit, so will ich