Fabeleien. Rosa Mayreder

Fabeleien - Rosa Mayreder


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sein!«

      »Ich weiß nicht, ob Sie Schiller gelesen haben – aber selbst dieser Schiller, bekanntlich ein Idealist, sagt: Mit des Lebens schönster Feier endet auch der Lebensmai. Er verhält sich also schon gegenüber den Flitterwochen skeptisch. Hingegen bezeichnet Jean Paul dreieinhalb Monate als den Termin, an dem es für Eheleute angezeigt sei, höflich miteinander zu werden. Und gar Schopenhauer – kurzum, es ist grausam! Ich habe keine ruhige Stunde mehr. Bei jedem gleichgültigen Worte denkʼ ich: so, jetzt ist es aus! Jetzt hat er verraten, daß es schon aus ist! Es gibt Töne in seiner Stimme, Töne – ach Töne, bei denen ich glaube, das Herz steht mir still, Töne so voll Gleichgültigkeit, voll Kälte, voll Fremdheit –! Und dabei sich immer zu fragen, ob diese Töne nicht bloße Ausgeburten des Argwohns sind! Nicht bloße Selbsttäuschungen! Haben Sie schon einmal über das Kapitel der Selbsttäuschungen nachgedacht? Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, fangen Sie nie damit an! Das ist ein Labyrinth, ein Abgrund, eine unterirdische Höhlenwelt, aus der es keinen Ausweg gibt. Es ist eine verzauberte Wüstenei, in der man von bösen Geistern ewig im Kreis herumgeführt wird. Es ist ein Fegefeuer, in dem man die Sünden der Skepsis am eigenen Leibe büßen muß. Weh dem, der die Kraft des Glaubens nicht hat! Es genügt nicht, daß man liebt; man muß auch an die Liebe glauben, glauben an seine eigene Liebe! Der Zweifel bricht uns das Rückgrat – und dann sind wir allen gemeinen Mächten ausgeliefert, ein Spielzeug unserer eigenen Geschöpfe, Sklaven unserer eigenen Sklaven –«

      »Ich weiß aber noch immer nicht, warum Sie sich so spät allein auf der Gasse herumtreiben,« sagte der Rayonposten.

      Er gehörte vermutlich zu jenem Publikum, das mehr auf Handlung als auf psychologische Beobachtungen Gewicht legt.

      »Also daß ich es kurz sage: heute ist er zum erstenmal, seit wir verheiratet sind, wieder in den Klub gegangen. Natürlich allein, ohne mich! Konnte es ein deutlicheres Symptom geben? Ich war außer mir – aber ich ließ ihn nichts merken. Denn die Liebe ist leider eine furchtbar komplizierte Sache. Gewiß, wenn ich gesagt hätte: »Bleibe bei mir zu Hause, es kränkt mich, daß du mich allein läßt,« er wäre zu Hause geblieben. Daran zweifle ich beinahe nicht. Aber Liebe will erraten sein. Wir hätten es so leicht, wir wissen, daß sich alles fände, wenn wir nur ein Wort sagten – aber das ist es eben! Wir wollen dieses eine Wort nicht sagen, denn wir wollen erraten sein.«

      Der Rayonposten räusperte sich.

      »Nun, er erriet nichts. Wohlgemut wusch er sich die Hände und band eine frische Krawatte um, bevor er fortging; dann küßte er mich und fragte zerstreut – denn er war mit seinen Gedanken schon aus dem Hause –:

      »Was wirst du denn machen, bis ich nach Hause komme, mein Herz? übrigens komme ich sicher noch vor Mitternacht.«

      »O, ich werde mir die Zeit schon vertreiben,« sagte ich und lachte, während er fortging. Kaum aber war er fort, so rannte ich davon.

      Ich hätte um keinen Preis länger zu Hause bleiben können, in diesen Wänden, die mich einst so maßlos glücklich gesehen hatten. Ich weiß nicht, wohin ich lief. Ich glaube, ich hatte die Absicht, eine lange Reise anzutreten oder auf immer spurlos zu verschwinden.

      Später gab ich diese Absicht wieder auf. Ja, endlich, nachdem eine ganze Legion verzweifelter Gedanken, wer weiß wie lange, in meinem Gehirne hin und her galoppiert war, kam mir auf einmal ein neuer Gedanke, ein frappierender Gedanke, ein phänomenaler Gedanke, der meinen Fall in ein vollständig verändertes Licht setzte.

      Wie, wenn vielleicht meine eigenen Empfindungen es wären, die sich schon zu verändern beginnen? Wie, wenn die Ernüchterung am Ende bei mir selber anfinge oder vielmehr schon angefangen hätte? Gerechter Gott, wenn dieser erbärmliche Argwohn, dieses widerwärtige Auflauern und Behorchen, diese feige Zweifelsucht nur Symptome dafür wären, daß ich – ich – ich diejenige bin –!«

      An diesem Punkt meiner Bekenntnisse fiel mir mein Schatten wieder ein. Ich halte gänzlich vergessen, auf ihn zu achten, während ich dem Rayonposten mit jener nüchternen Tatsächlichkeit, die im Verkehr mit Rayonposten angezeigt ist, mein Schicksal erzählte.

      Sollte ich fortsetzen?

      Er war zwar ein schöner Mann, aber bei längerer Bekanntschaft schien es mir, als ob der Umgang mit Geistern nicht seine starke Seite wäre. Hatte er doch nicht einmal noch bemerkt, welche Bewandtnis es mit meinem Schatten hatte!

      Ich warf einen geringschätzigen Blick nach der Richtung hin, wo der Schatten des Rayonpostens mit der Plattheit der gewöhnlichen Schatten auf dem Boden lag – und siehe da, ganz als wäre nichts vorgefallen, lag daneben mein eigener Schatten in friedlichem tête-à-tête mit der Pickelhaube, die sich kokett auf der blanken Schneefläche abzeichnete. Er mußte unvermerkt zurückgeschlichen sein – und wahrhaftig, da drinnen an der alten gewohnten Stelle klopfte es auch; wieder in der alten gewohnten Weise, dieses närrische, einfältige, wunderliche Ding, mein Herz, mein Herz!

      Der Rayonposten sah auf seine Taschenuhr.

      »Es ist dreiviertelzwei vorüber,« sagte er und gähnte. »Um zwei Uhr werde ich abgelöst; kommen Sie mit mir aufs Kommissariat, damit Sie den Vorfall bezüglich des Herzens zu Protokoll geben können –«

      Dreiviertel auf zwei! Also wartete er seit zwei Stunden zu Hause, ohne zu wissen, was mit mir geschehen war! Mein Herz, wie alle verlorenen und zurückgekehrten Söhne, machte seine Hausherrnrechte geltend; ich ließ den Rayonposten im Stich und schlug spornstreichs den Weg nach Hause ein, ohne mich auch nur ein einziges Mal umzusehen, ob mein Schatten hinter mir folgte oder nicht. Ich lauschte auf die Schläge meines Herzens, ganz selig, daß es so unverdrossen darauf los pochte.

      »Poche, poche, liebes Herz,« sagte ich immer wieder voll Rührung. Es fiel mir gar nichts anderes ein; aber wie froh war ich, daß mir nichts anderes einfiel!

      Erst beim Haustor kam mein Schatten mir wieder vor die Augen. Er gab kein Lebenszeichen von sich; flach und geknickt lehnte er halb auf dem Boden und halb auf dem hölzernen Torflügel.

      Und während ich ungeduldig an der Hausglocke Sturm läutete, enthielt ich mich nicht, meinem Schatten zu sagen: »Du sollst mir keine Possen mehr spielen! Denn jetzt weiß ich, wie man Schatten behandelt: man muß sie ignorieren, wenn man über sie Herr bleiben will.«

      Grotesk-Pantomime

      Da entstand eine jener Pausen, die in einer Gesellschaft zuweilen ohne Anlaß das lebhafteste Gespräch unterbrechen.

      »Ein Engel geht durchʼs Zimmer!« sagte jemand lachend.

      Nein, kein Engel!

      Ich wußte wohl, wer eingetreten war, noch ehe ich ihn sah.

      Und schon stellte er sich mir gegenüber mit seinem weißen, kahlen Dämonengesicht und lächelte mich an. Er lächelte immer; dieses eisige, schneidende, hohnvolle Lächeln war wie eingefroren in seine Miene.

      Züngelnd äugte seine Schlange aus seinem Ärmel hervor. Wie ihre klugen Augen funkelten! Er wand sie von seinem Arme los und ließ sie auf den Boden gleiten. Sie kam auf mich zu.

      Die Andern setzten ihr Gespräch heiter fort. Denn sie wußten nicht, wer da war. Seine Schlange aber kroch an mir herauf und ringelte sich um mein Herz, kalt, kalt!

      Dann nestelte er seinen schwarzen Talar über der Brust auf. Dort trug er seinen Spiegel wie ein breites Hohepriesterschild. Der Spiegel war verschlossen; auf dem Deckel leuchtete die diamantenbesetzte Inschrift mit fürstlichem Glänze.

      Und ich las es wieder, das Wort, das dort prangte, das große, das verlockende, das tötliche Wort:

      Wahrheit.

      Ah der Gaukler! Wer weiß, wie dieses Juwel in seine unreinen Hände gekommen ist! Wo er diesen Talisman gestohlen hat, dessen magische Kraft er mit boshafter Lust mißbraucht! Tausendmal verflucht die törichten Künste, mit denen ich ihn zuerst heraufbeschworen habe! Tausendmal verflucht die Stunde, in der er mir zuerst erschienen ist!

      Er lächelte eisig. Und lächelnd öffnete er das Schloß und schlug den Deckel zurück. Die zauberische Fläche glänzte mich an; ich konnte meine Augen nicht mehr abwenden.

      Von dem goldenen Rahmen eingefaßt lag das Bild des Zimmers darin wie


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