Sommerspiel. Sven Lange
der Landstraße begegnet, ohne daß sie Arm in Arm gegangen sind, und in der Regel so vertieft, daß Sie mich gar nicht gesehen haben. Idyll!«
»Jetzt sind Sie zu scharf, meine Gnädige,« sagte Hartwig. »Bedenken Sie doch, wir sind kaum ein halbes Jahr verheiratet gewesen.«
Sie lachte laut, – saß dann aber schweigend gleichsam sinnend da.
Dann schweiften ihre Augen um den Tisch herum. Plötzlich nickte sie Vedel zu, der da saß und in die Glut seiner Zigarre starrte.
»Schweigsamer Baron!« sagte sie. »Ich glaubte, Sie wären nur bei uns so still.«
Vedel richtete sich auf seinem Stuhl auf und räusperte sich, – sagte aber nichts.
»Nein,« lachte Hartwig, – »Vedel versäumt nie eine Gelegenheit zu schweigen, wie man zu sagen pflegt. Das ist brillant!«
»Mit Thomsen ist es übrigens genau so,« sagte Frau Thomsen munter. »Wie Sie ja wissen, segeln er und Baron Vedel oft zusammen, und ich versichre Sie, sie können oft anderthalb Tage allein in einem Boot auf See sein, ohne buchstäblich zehn Sätze auszutauschen. In anderthalb Tagen! Thomsen hat mir das selbst erzählt.«
»Den Teufel auch, was soll man eigentlich überhaupt zu einander sagen,« bemerkte Thomsen.
Hartwig lachte. »Da haben Sie recht! Und namentlich im Sommer, in den Ferien ist ja, strenge genommen, gar keine Veranlassung dazu vorhanden!«
»Das begreife ich wirklich nicht!« rief Frau Thomsen lebhaft aus, indem sie sich vorbeugte. Ich zum Beispiel, – ich glaube, ich könnte nicht leben, wenn ich nicht redete! Ja, das ist wirklich wahr,« lachte sie und schlug die Hände zusammen.
»Man kann doch leben, ohne zu denken!« sagte Vedel ruhig.
Frau Thomsen schwieg plötzlich, ihr Gatte aber grunzte kurz.
»Thun Sie das etwa, Vedel?« fragte Hartwig mit seinem überlegenen Klang in der Stimme.
»Ja, ich glaube wohl,« sagte er.
Es entstand eine Pause.
Nach einer Weile sahen sie Ingeborg in den Garten hinabkommen, eine brennende Lampe in der Hand. Ihr folgte ein Mädchen, das ein Theebrett mit klirrenden Gläsern und Flaschen trug.
»Bravo, da haben wir die Verstärkung!« rief Hartwig aus, – und als die Getränke kamen, beeilte er sich, einzuschenken.
Er erhob sein Glas und sah Frau Thomsen an.
»Haben Sie Dank, liebe gnädige Frau, daß Sie endlich den Weg hier herein fanden,« sagte er.
»Endlich?« lächelte sie mit fragenden Augen.
»Ja, – meinen Sie etwa, daß nur Sie mich hier haben vorübergehen sehen? Ich habe Sie sicher ebenso oft gesehen! – Einander vorübergehen sehen, das ist ja überhaupt das Leben.«
»Wie tiefsinnig!« lachte Frau Thomsen mit tiefer Stimme. »Ja, jedenfalls im Sommer, auf dem Lande. Ich thue nie etwas anderes. Hier sind gute Gucklöcher vom Garten nach dem bunten Leben der Welt hinaus.
»Doch von all den bunten Blümelein,
Die lustig blühn in Feld und Rain —«
Also vielen Dank! Und lassen Sie sich bald einmal wiedersehen!«
Sie errötete ein wenig, nickte ihm aber zu und leerte ihr Glas.
»Wollen wir die Lampe nicht auslöschen, Inga?« fragte Hartwig.
»Die Lampe auslöschen?« Sie sah ihn verwundert an.
»Ja, wir sehen doch ohne Licht, was wir sehen müssen. Und dann wird man auch nicht von allen diesen verdammten Nachtschwärmern belästigt.«
Sie blies die Lampe aus und stellte sie weg.
»So!« sagte er, »jetzt sehen wir, was uns frommt und was wir nötig haben. Ich habe Frau Thomsens Profil vor mir, das sich gegen den hellen nächtlichen Himmel da draußen abhebt, nein, liebste Frau Thomsen, Sie dürfen sich nicht abwenden!«
»Soll ich die ganze Zeit in Position sitzen?« lachte sie.
»Ja bitte! Mich können Sie doch nicht sehen! – — Ja, Inga, du mußt dich mit der Spitze von Vedels Zigarre begnügen; kannst du sehen, wie die glüht! Und Herr Thomsen kann sich wie ein Omphalopsychit in seinen Pfeifenkopf vertiefen.«
»Ich weiß gar nicht, was das ist!« brummte der Großhändler.
»Das macht auch nichts. – Ach ja, so ist das Leben doch schön!«
»Epikuräer!« lächelte Frau Thomsen.
»Haben Sie eigentlich gar nicht die Absicht, etwas zu thun, Herr Hartwig?« ertönte die Stimme ihres Mannes mit einem trockenen Nachdruck auf dem Herr.
»Wie meinen Sie? heute abend?«
»Nein, so überhaupt.«
Hartwig lachte laut. »Nein!« rief er aus.
Er saß eine Weile da und rauchte schweigend und betrachtete seine Zigarre. »Im übrigen, glaube ich, thue ich immer etwas,« fuhr er in einem leichten, nachlässigen Ton fort. »Ich lese eine Menge Bücher, amüsiere mich immer dabei, wie dumm sie auch sein mögen. Ich finde auch, daß das Leben an sich amüsant ist, jeder Tag ist ja neu. Ich erwache am Morgen, vor mir liegt etwas, was ich nicht kenne: was wird das bringen? Nichts Großes aller Wahrscheinlichkeit nach, aber doch immer neue Eindrücke. Ein kleiner Gedanke kommt zu mir hin geflattert, ich halte ihn fest, liebkose ihn, lege ihn hin, oder laß ihn weiter flattern. Das ist immer Arbeit, Genuß. Oder ich trinke ein gutes Glas Wein, oder ich entdecke eine phantastische Wolkenbildung, oder ein schönes Sonnenprofil, ich schwelge darin, arbeite damit. Es ist jedesmal vollkommen neu für mich. Weshalb sollte ich da eigentlich etwas thun, wenn nicht die herbe Notwendigkeit mich dazu treibt?«
Ingeborg rückte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Sie kannte den Klang, den seine Stimme jetzt angenommen hatte, einen sonderbar trägen, selbstgefälligen Ton, und sie konnte ihn nicht ertragen. Wozu schwatzte er auch all den Unsinn? Immer wenn er auf diese Weise von sich selber sprach, klang seine Stimme so, wie sie sich jetzt in der Dunkelheit drüben dahinschleppte. Sie starrte hinüber, um seinen Ausdruck aufzufangen, obwohl sie wußte, wie er aussah, wenn er so sprach, so dumm und thöricht, so gewöhnlich, gar nicht wie er selber. Ach warum stellte er sich eigentlich so an! Natürlich nur, weil er den langweiligen Leuten imponieren wollte! So, jetzt schwieg er doch zum Glück! —
Herr Thomsen aber fuhr beharrlich fort: »Herr Vedel ist doch immer Baron!«
»Ach so, Sie meinen des Titels halber!« entgegnete Hartwig und lachte ein wenig. »Offen gestanden, Herr Großhändler, das reizt mich nicht. Ich besitze keine Spur von Ehrgeiz. Meine Examina habe ich ja bestanden, in die diplomatische Karriere könnte ich wohl hineinkommen, wenn ich es durchaus wollte. Aber ich glaube nicht, daß mein Vermögen dazu ausreicht, und außerdem: Europas Schicksal würde wohl kaum in meine Hand gelegt werden,« lächelte er. »Nein, lassen Sie mich als den einfachen Erdmenschen leben, der ich bin. Wenn meine Mutter einmal stirbt, ziehen wir wohl auf das Gut, Inga, und ich, und dann können Sie mich Gutsbesitzer, Grundbesitzer, Landmann, oder wie Sie wollen, nennen. Vorläufig bin ich mit meinem Herr zufrieden. Das beweist doch auf alle Fälle, daß ich ein Mann bin,« schloß er mit einem kurzen Blick nach der Richtung hinüber, wo er Vedels Zigarre glimmen sah.
»Sind Sie in Strandheim jetzt ganz in Ordnung, Herr Thomsen?« fragte Ingeborg schnell und nervös.
Thomsen räusperte sich, um zu antworten, seine Frau kam ihm aber zuvor.
»Ja, jetzt sind wir gottlob ganz fertig!« sagte sie und beugte sich gründlich und herablassend über den Tisch zu ihr hinüber. »Es ist wirklich sehr hübsch bei uns geworden. Ich bin ganz stolz darauf, denn es ist mein Werk. Ich glaube wirklich, daß das Ganze jetzt Stil bekommen hat.«
»Die Villa macht ja, von außen gesehen, ganz den Eindruck einer Festung,« sagte Ingeborg.
»Ja, nicht wahr!« rief Frau Thomsen erfreut aus. »Aber einer gastfreien Festung! Die Zugbrücke ist immer herabgelassen! Und jetzt müssen Sie uns wirklich