Der Schutzgeist des Kaisers von Birma. Ugo Mioni
der Wirt weiter.
»Ich bin es, Cujen!«
»Cujen? In Amarapura gibt es wohl an tausend Cujen.«
»Ich bin Cujen, der Kerkermeister.«
»Endlich! Ich komme sogleich,« sagte der Bucklige mit einem Seufzer und ging, um den Riegel zurückzuschieben.
Der Mann, der jetzt in das Zimmer trat, war das Gegenstück zu meinem Wirt. Es schien, als habe man zwischen zwei Kartenblätter etwas Pulver gestreut und daraus eine menschliche Figur gepreßt.
Alles an ihm war lang: das Gesicht, die Nase und die Ohren. Diese lange Gestalt war in ein sehr weites und sehr kurzes, feuerfarbenes Gewand gekleidet, die entsetzlich schmutzigen Beine waren vom Knie an nackt und die großen Füße steckten in alten Pantoffeln. In der rechten Hand hielt diese Schönheit einen riesigen Bund Schlüssel.
Der Ankömmling ließ sich in meiner Nähe nieder, wobei er vor sich auf den Tisch einen hölzernen Spucknapf stellte, der mit rotem Speichel angefüllt war. Bei diesem Anblick mußte ich mich voll Ekel abwenden, meine Mahlzeit war sofort zu Ende.
Der Kerkermeister zog ein Betelblatt hervor, wickelte ein Stück ungelöschten Kalk hinein und schob es in den weiten Mund. Dann rief er den Wirt.
»Was willst du?« fragte dieser.
»Das Gewöhnliche!«
»Ich bringe es sofort.«
Der wackere Herbergsvater nahm eine hölzerne Tasse, gab einige Teeblätter hinein und goß mit dem Löffel, den ich zum Reisessen benutzt hatte, etwas heißes Wasser darauf. Diesen köstlichen Trank brachte er dann dem Manne mit den Schlüsseln.
»Hier hast du!«
Der Kerkermeister nahm die Tasse und trank, sehr langsam und in ganz kleinen Zügen, nach jedem Schlucke verzerrte sich sein Gesicht vor Vergnügen.
»Wer bist du?« wandte er sich während des Trinkens an mich.
»Ein Wongy,« entgegnete ich hochmütig.
Doch der Kerkermeister gab mit noch größerem Selbstgefühl zurück: »So bist du würdig, daß ich mit dir spreche.«
»Aber du bist nicht würdig, daß ich ein Wort an dich richte,« erwiderte ich, indem ich ihn verächtlich ansah.
»Oh! Du weißt nicht, wer ich bin,« sagte er empfindlich.
»Ich weiß es sehr wohl. Ich bin ein Wongy und du bist ein jämmerlicher Kerkermeister, nicht bloß ein Diener des Kaisers, sondern sogar der Diebe und Mörder.«
»Du irrst. Ich bin der Oberkerkermeister des Reiches.«
»Der Oberkerkermeister? Wie viele Gefängniswärter unterstehen wohl deiner Leitung?« fragte ich spöttisch.
»Keiner. Ich bin der einzige Kerkermeister in Amarapura —«
»Womit du sagen willst, daß sich sonst niemand soweit herabwürdigen will, ein Diener der Straßenräuber zu werden,« fiel ich rasch ein.
»Da irrst du dich abermals. Hunderte sehnen sich nach der Würde, die ich bekleide, ich bin der berühmte —«
»– Diener der Diebe,« spottete ich.
»Hüte deine Zunge Wongy! Es könnte leicht sein, daß du eines Tages unter meine Obhut kommst.«
»Was? Du willst mir drohen?« schrie ich aufspringend und mich sehr erzürnt stellend.
»Das ist nicht meine Absicht —«
»Du sagtest —«
»Was leicht werden kann.«
»Beweise es mir.«
Cujen schüttelte seine Schlüssel.
»In meinem Kerker befindet sich ein vornehmer Wongy.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Es ist wahr. Dieser Wongy wurde heute gefesselt in das Gefängnis gebracht, weil er sich an der geheiligten Person des Kaisers vergriffen hat.«
»Ein Wongy ist nicht fähig, ein Verbrechen zu begehen.«
»Mein Gefangener tat es aber doch. Er hat den heiligen Elefanten getötet.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nun begreife ich, Cujen. Der Tee, welchen du trinkst, hat deine Sinne verwirrt. Weißt du nicht, daß der weiße Elefant nicht stirbt?«
»Und weißt du nicht, daß er heute gestorben ist?«
»Bah, das glaube ich nicht.«
»Was muß ich tun, um dich zu überzeugen?«
»Gar nichts kann mich überzeugen. Ein Wongy wird niemals ein Verbrechen begehen.«
Der Kerkermeister schüttelte von neuem seinen Schlüsselbund. »Wenn ich dir aber sage, daß der Wongy Mangvé-Mengyi bei mir eingekerkert ist,« schrie er.
»So sage ich dir, daß du ein Lügner bist,« entgegnete ich gelassen.
»Komm mit mir! Ich werde dir den Wongy zeigen.«
Das war es, was ich bezweckt hatte. Aber ich wollte doch nicht sofort auf seinen Vorschlag eingehen, um keinen Verdacht zu erwecken.
»Ein edler Wongy wird niemals ein Gefängnis, die Heimat der Diebe, besuchen,« lehnte ich deshalb ab.
»Es ist aber jetzt auch die Heimat eines Wongy. Übrigens verlierst du nichts mit einem solchen Besuche. Auch unser erhabener Herrscher, Mendun-Men, war schon einmal dort. Komm!«
»Jetzt gleich?«
»Ja.«
»Jetzt habe ich keine Zeit. Ich muß erst mein Abendessen beenden. Wirt, hast du nichts zu trinken?« fragte ich den Gasthofbesitzer.
»Willst du Tee?«
»Nein. Hast du keine Liköre?«
»Ja, ich habe einen sehr feinen Likör, den die Engländer gerne trinken und den ich mir von Rangoun schicken ließ, wo sehr viele leben.«
»Bringe ihn mir.«
Der Wirt trat in ein nahes Gemach und kehrte mit einer versiegelten Flasche zurück, dessen Etikette mir sagte, daß sie Kognak enthielt. Die Flasche kam mir gelegen.
Ich öffnete sie, goß etwas von der Flüssigkeit in eine hölzerne Tasse und kostete sie. Der Kognak war nicht schlecht.
»Was trinkst du da?« fragte der Kerkermeister.
»Jugendlikör.«
»Was ist das?«
»Dies ist ein Likör, den Gautama selbst hergestellt hat und der demgemäß ungemein köstlich ist. Wer von ihm trinkt, dem wird ewige Jugend und ewiges Leben zuteil.«
»Ist es möglich?« rief Cujen.
»Es ist, wie ich dir sagte. Wie viele Jahre glaubst du wohl, daß ich zähle?« fragte ich lächelnd.
»Dreißig.«
»Du irrst. Ich habe bereits achthundert hinter mir,« entgegnete ich mit einer Unverfrorenheit, die sich auf die grenzenlose Unwissenheit der Birmanen stürzte.
»Achthundert!« schrie der Kerkermeister zwischen Erstaunen und Unglauben.
»Achthundert,« versicherte ich mit größtem Ernst.
»Und dieses Alter verdanke ich allein dem Gebrauche des Jugendlikörs.«
Der Kerkermeister betrachtete mich eine Weile verwirrt, dann sprang er auf und näherte sich drohend dem Buckligen.
»Elender Wirt,« schrie er und schüttelte seinen Schlüsselbund. »Fürchte meine Rache! Ich werde dich zertreten, wie man einen Wurm zertritt. Elender Wirt! Verräter!«
»Was tat ich dir Übles?« fragte der Wirt verblüfft.
»Ein Verbrecher bist du, der sich an der geheiligten Person Seiner Majestät vergriffen hat. Ja, du hast dich an ihr vergriffen, weil du mein Leben bedroht hast, weil du meinen Tod wolltest, um dem Kaiser seinen wichtigsten Beamten, seinen neuesten