Die Frau in Weiss. Уилки Коллинз

Die Frau in Weiss - Уилки Коллинз


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schauderte es bei dem Gedanken. Es war etwas Furchtbares in dem blinden, unüberlegten Mißtrauen gegen die Zukunft, welches das bloße Auftauchen desselben in meinem Geiste anzudeuten schien. Es war mir eine willkommene Unterbrechung, als das Gefühl von Anna Catherick’s Hand auf meiner Schulter mich zu mir selbst zurückrief. Die Berührung war ebenso heimlich und plötzlich wie jene, welche mich vom Kopfe bis zu den Füßen hatte erstarren lassen in der Nacht, wo wir zuerst einander begegneten.

      »Sie sehen mich an und Sie denken an etwas,« sagte sie mit ihrer seltsamen, athemlosen Schnelligkeit der Sprache, »was ist es?«

      »Nichts Besonderes,« entgegnete ich, »ich dachte nur daran, wie Sie hierher gekommen seien.«

      »Ich kam mit einer Freundin, die sehr gut gegen mich ist. Ich bin erst seit zwei Tagen hier.«

      »Und Sie fanden gestern den Weg hierher?«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Ich errieth es blos.«

      Sie wandte sich von mir und kniete wieder vor der Inschrift nieder.

      »Wohin sollte ich gehen, wenn nicht hierher?« sagte sie. »Sie, die mir mehr als eine Mutter war, ist die einzige Freundin, welche ich in Limmeridge aufzusuchen habe. O, es thut meinem Herzen weh, einen Flecken auf ihrem Grabsteine zu sehen! er sollte weiß wie Schnee gehalten werden um ihretwillen. Ich gab gestern der Versuchung nach, ihn zu reinigen, und mußte heute wiederkommen, um es zu vollenden. Liegt darin irgend etwas Unrechtes? Ich hoffe nicht. Es kann doch Nichts Unrechtes in dem sein, was ich aus Liebe zu Mrs. Fairlie thue?«

      Die alte dankbare Erinnerung an die Güte ihrer Wohlthäterin war offenbar die vorherrschende Idee in dem Gemüthe dieses armen Geschöpfes – diesem engen Gemüthe, das – wie es mir nur zu deutlich war – seit jenem ersten Eindrucke aus ihrer glücklichen Jugendzeit, keinen anderen bleibenden Eindruck mehr in sich aufgenommen hatte. Ich sah, daß, um ihr Vertrauen zu gewinnen, es das beste sein würde, sie zu ermuntern, mit der bescheidenen Arbeit fortzufahren, um deretwillen sie auf den Begräbnißplatz gekommen war. Sie nahm dieselbe augenblicklich wieder auf, sowie ich ihr sagte, daß sie dies thun möge, und berührte den harten Marmor so leicht und zart, als ob er ein fühlendes Wesen wäre, wobei sie die Worte der Inschrift vor sich herflüsterte und wiederholte, wie wenn die geschwundenen Tage ihrer Kindheit ihr zurückgekehrt seien und sie zu Mrs. Fairlie’s Füßen, wie ehemals, ihre Aufgabe lerne.

      »Würde es Sie sehr wundern,« sagte ich, so vorsichtig wie möglich den Weg zu den Fragen anbahnend, die ich ihr vorlegen mußte, »wenn ich Ihnen gestände, es sei ebensosehr zu meiner Freude als zu meiner Verwunderung, daß ich Sie hier wiedersehe? Ich fühlte mich Ihretwegen sehr beunruhigt, nachdem Sie mich verlassen hatten.«

      Sie blickte schnell und argwöhnisch auf.

      »Beunruhigt,« wiederholte sie, »weshalb?«

      »Es trug sich etwas Sonderbares zu, nachdem wir jenen Abend voneinander geschieden waren. Es fuhren zwei Männer in einer Chaise an mir vorbei; sie sahen mich nicht, aber sie hielten dicht neben mir stille und sprachen mit dem Constabler auf der entgegengesetzten Seite der Straße.«

      Sie hielt augenblicklich in ihrer Beschäftigung inne. Die Hand, in der sie das nasse Tuch hielt, mit dem sie die Anschrift gereinigt hatte, sank an ihrer Seite nieder. Mit der anderen Hand faßte sie das Kreuz am oberen Ende des Grabes. Ihr Gesicht wandte sich langsam zu mir hin und zeigte wieder den bestürzten Ausdruck starren Schreckens. Ich fuhr auf alle Gefahr hin fort, denn es war jetzt zu spät, es zurückzunehmen.

      »Die beiden Männer sprachen mit dem Constabler,« sagte ich, »und frugen ihn, ob er Sie gesehen habe. Er hatte Sie nicht gesehen, und dann sprach der Eine von ihnen wieder und sagte, Sie seien aus seiner Anstalt entflohen.«

      Sie sprang auf, wie wenn meine letzten Worte die Verfolger auf ihre Spur gejagt hätten.

      »Warten Sie! und hören Sie das Ende,« rief ich. »warten Sie! und Sie sollen erfahren, wie ich als Ihr Freund handelte. Ein Wort von mir hätte jenen Leuten verrathen, wohin Sie gegangen waren, aber ich sprach dieses Wort nicht. Ich unterstützte Ihre Flucht – ich machte sie gewiß und sicher. Bedenken Sie das, versuchen Sie, das zu bedenken. Suchen Sie das, was ich Ihnen sage, zu verstehen.«

      Meine Art und Weise schien mehr Eindruck auf sie zu machen als meine Worte. Sie bemühte sich, die neue Idee zu erfassen. Sie nahm das nasse Tuch aus einer Hand in die andere, gerade wie sie es in jener Nacht, wo ich sie zum erstenmale sah, mit der kleinen Tasche gemacht hatte. Die Bedeutung meiner Worte schien sich langsam durch die Verwirrung und Aufregung ihres Gemüthes einen Weg zu bahnen. Ihre Züge erhellten sich langsam, und ihre Augen gewannen in ihrem Ausdrucke das an Neugier, was sie an Furcht verloren.

      »Sie denken doch nicht, daß ich wieder nach der Anstalt zurückgebracht werden sollte, wie?« sagte sie.

      »Ganz gewiß nicht. Ich freue mich, daß Sie daraus entflohen sind und – daß ich ihnen dazu behilflich gewesen.«

      »Ja ja; Sie halfen mir in der That; Sie halfen mir da, wo mir’s schwer wurde,« fuhr sie etwas zerstreut fort. »Das Entfliehen war leicht oder es wäre mir nicht gelungen. Sie beargwöhnten mich nie, wie mich die Anderen beargwöhnten. Ich war so ruhig, so gehorsam und so leicht erschrocken. Das Schwere dabei war, London zu finden, und darin halfen Sie mir. Habe ich Ihnen damals gedankt? Ich danke Ihnen jetzt recht, recht sehr.«

      »War die Anstalt sehr weit von der Stelle, wo Sie mich fanden? Nun! Beweisen Sie mir, daß Sie einen Freund in mir sehen, und sagen Sie mir, wo die Anstalt war.«

      Sie nannte den Ort – eine Privatirrenanstalt, wie ich aus ihrer Angabe entnahm, eine Privatirrenanstalt nicht weit von der Stelle, wo ich sie zuerst gesehen hatte – und dann wiederholte sie mit offenbarer Unruhe über den etwaigen Gebrauch, den ich von ihrer Antwort machen werde, ihre frühere Frage: »Sie denken doch nicht, daß ich nach der Anstalt zurückgebracht werden sollte, wie?«

      »Ich wiederhole es Ihnen: ich freue mich, daß Sie entkamen und daß es Ihnen wohl ging, nachdem Sie mich verlassen hatten,« entgegnete ich. »Sie sagten, daß Sie eine Freundin in London hätten, zu der Sie gehen würden. Fanden Sie diese Freundin?«

      »Ja. Es war sehr spät. Aber es war ein Mädchen im Hause, die noch spät mit Handarbeit beschäftigt war, und sie half mir, Mrs. Clements zu wecken. Mrs. Clements ist meine Freundin. Eine liebe, gütige Frau, aber nicht wie Mrs. Fairlie. Ach nein, Niemand gleicht Mrs. Fairlie?«

      »Ist Mrs. Clements eine alte Freundin von Ihnen? Haben Sie sie lange gekannt?«

      »Ja; sie war früher unsere Nachbarin zu Hause in Hampshire; sie hatte mich lieb und sah nach mir, als ich ein kleines Mädchen war. Vor langen Jahren, als sie von da fortzog, schrieb sie in mein Gebetbuch ein, wo sie in London wohnen werde, und sagte: ›Wenn dir’s jemals schlecht geht, Anna, dann komme zu mir. Ich habe keinen Mann, der mir’s untersagen könnte, noch Kinder, für die ich zu sorgen hätte, und ich will für Dich sorgen‹. Waren das nicht gütige Worte? Ich habe sie wohl behalten, weil sie so gütig waren. Außer ihnen habe ich freilich nur wenig, sehr, sehr wenig behalten!«

      »Hatten Sie keinen Vater, keine Mutter, die für Sie sorgen konnten?«

      »Mein Vater? Hab’ ihn nie gesehen; ich habe meine Mutter nie von ihm sprechen hören. Vater? Ach Gott! er wird wohl todt sein.«

      »Und Ihre Mutter?«

      »Wir passen nicht gut zusammen; wir verursachen einander nur Sorge und Furcht.«

      Verursachen einander nur Sorge und Furcht! Bei diesen Worten kam mir zum erstenmale der Verdacht, daß es vielleicht ihre Mutter war, welche sie unter Aufsicht gestellt hatte.

      »Fragen Sie mich nicht nach meiner Mutter,« fuhr sie fort, »ich spreche lieber von Mrs. Clements. Mrs. Clements denkt wie Sie, sie findet nicht, daß ich nach der Anstalt zurückgebracht werden sollte, und sie freut sich ebenso wie Sie, daß es mir gelang, daraus zu entfliehen. Sie weinte über mein Unglück und sagte, es müsse vor allen Leuten geheim gehalten werden.«

      Ihr »Unglück«. In welchem Sinne gebrauchte sie dieses Wort? In einem Sinne, der ihren Beweggrund, aus dem sie den anonymen Brief schrieb, hätte


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