Die Frau in Weiss. Уилки Коллинз

Die Frau in Weiss - Уилки Коллинз


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Sie mit Vergnügen versichern darf. Derartige Sachen kommen mir in meinen Erfahrungen alle Tage vor. Anonyme Briefe – unglückliche Frauenzimmer – trauriger Zustand der menschlichen Gesellschaft. Ich leugne nicht, daß dieser Fall noch ein besonders verwickelter ist; aber der Fall selbst ist unglücklicherweise häufig, sehr häufig.«

      »Ich fürchte, Mr. Gilmore, daß ich das Unglück habe, die Sache nicht ganz aus demselben Gesichtspunkte anzusehen, wie Sie.«

      »Ganz recht, mein lieber Herr, ganz recht. Ich bin ein alter Mann und sehe die Sache von ihrem praktischen Gesichtspunkte an. Sie sind ein junger Mann, und Ihre Auffassung ist eine romantische. Lassen Sie uns unsere Ansichten nicht bestreiten. In meinem Berufe lebe ich in einer Atmosphäre von Streit, Mr. Hartright, und bin froh, wenn ich ihr entwischen kann, sobald ich hierher komme. Wir wollen die Sache abwarten – ja, ja, ja; wir wollen die Sache abwarten. Sehr angenehmer Ort dies. Gute Jagd? Wohl kaum. Mr. Fairlie’s Grund und Boden ist nirgends eingehegt, wie ich glaube. Aber doch ein sehr angenehmer Ort und charmante Leute. Sie zeichnen und malen, wie ich höre, Mr. Hartright? Beneidenswerthes Talent. In welchem Genre?«

      wir verfielen in ein allgemeines Gespräch – oder vielmehr Mr. Gilmore sprach, und ich hörte zu. Meine Aufmerksamkeit war weit von ihm und den Gegenständen entfernt, von denen er so geläufig redete. Mein einsamer, zweistündiger Spaziergang hatte seine Wirkung auf mich gehabt – er hatte mich bestimmt, meine Abreise von Limmeridge House möglichst zu beschleunigen, warum sollte ich die bittere Prüfung des Abschiednehmens noch um eine unnöthige Minute verlängern? Wie konnte ich irgend Jemandem noch ferner von Nutzen sein? Ich konnte durch ferneres Bleiben in Cumberland keinem nützlichen Zwecke mehr dienen und in seiner Erlaubniß zu meiner Abreise hatte Mr. Fairlie mich auf keine Zeit beschränkt. Warum also nicht sofort der Sache ein Ende machen?

      Ich beschloß dies zu thun. Der Tag war nicht zu Ende – und es lag kein Grund vor, daß ich meine Rückreise nach London nicht schon an demselben Nachmittage anträte. Ich machte Mr. Gilmore die erste höfliche Entschuldigung, welche mir einfiel, und kehrte zum Hause zurück.

      Auf dem Wege nach meinem Zimmer begegnete mir Miß Halcombe auf der Treppe. Sie sah es meiner Eile und meinem geänderten Benehmen an, daß ich irgend eine neue Absicht hatte, und frug mich, was sich zugetragen habe.

      Ich sagte ihr die Gründe, welche mich bewogen hatten, meine Abreise zu beschleunigen, gerade wie ich sie hier mitgetheilt habe.

      »Nein, nein,« sagte sie dringend und herzlich, »verlassen Sie uns wie ein Freund; brechen Sie noch einmal Brot mit uns. Bleiben Sie zum Diner da; bleiben Sie und helfen Sie uns, den letzten Abend so glücklich wie möglich und den ersten Abenden so ähnlich wie möglich hinzubringen. Es ist meine Einladung, Mrs. Vesey’s Einladung –« sie zögerte ein wenig und fügte dann hinzu »und Lauras Einladung.«

      Ich versprach zu bleiben. Gott weiß, daß ich auch nicht den Schatten eines schmerzlichen Eindruckes bei irgend einer von ihnen zurückzulassen wünschte.

      Mein Zimmer war der beste Ort für mich, bis zu Tische geläutet wurde. Ich blieb dort, bis es Zeit war, in’s Gesellschaftszimmer hinunter zu gehen.

      Ich hatte den ganzen Tag noch nicht mit Miß Fairlie gesprochen – ich hatte sie selbst noch nicht einmal gesehen. Unser erstes Zusammentreffen, als ich in’s Gesellschaftszimmer trat, war eine schwere Probe für ihre Selbstbeherrschung sowohl, wie für die meinige. Auch sie hatte ihr Möglichstes gethan, um den letzten Abend die goldene verflossene Zeit erneuern zu lassen – die Zeit, die nie zurückkehren konnte. Sie trug das Kleid, das ich mehr als jedes andere in ihrem Besitze zu bewundern pflegte, ein Kleid von dunkelblauer Seide, das eigenthümlich und hübsch mit altmodischen Spitzen verziert war. Sie kam mir mit all ihrer früheren Bereitwilligkeit entgegen und gab mir die Hand mit dem offenen, unschuldigen Wohlwollen glücklicherer Tage. Die kalten Finger, welche sich so zitternd um die meinigen schlossen; die bleichen Wangen, auf deren Mitte helle Fieberröthe glühte; das matte Lächeln, das sich auf den Lippen zu erhalten suchte und schon darauf erstarb, während ich sie anblickte, Alles dies sagte mir, mit welchen Opfern es ihr gelang, sich diese äußere Fassung zu bewahren. Ich konnte sie nicht inniger in’s Herz schließen, sonst hätte ich sie in diesem Augenblicke geliebt, wie noch nie zuvor.

      Mr. Gilmore war uns von großem Nutzen. Er war in bester Laune und führte die Unterhaltung mit unermüdlicher Munterkeit. Miß Halcombe unterstützte ihn nach Kräften, und ich that Alles, was in meiner Macht lag, um ihrem Beispiele zu folgen. Die lieben blauen Augen, deren wechselnden Ausdruck ich so gut zu deuten gelernt hatte, sahen mich flehend an, als wir uns zu Tische setzten. Helfen Sie meiner Schwester – schien das gelbe Antlitz zu sagen – helfen Sie meiner Schwester und Sie werden mir helfen.

      Wir kamen allem äußeren Anscheine nach wenigstens glücklich mit dem Mittagessen zu Ende. Als die Damen den Tisch verlassen und Mr. Gilmore und ich allein geblieben waren, bot sich unserer Aufmerksamkeit ein neues Interesse, welches mir die Gelegenheit verschaffte, mich durch einige Minuten der Ruhe und des willkommenen Schweigens wieder zu fassen. Der Diener, der ausgesandt worden, um die Spur von Anna Catherick und Mrs. Clements zu verfolgen, kehrte mit seinem Berichte zurück und wurde augenblicklich in’s Eßzimmer gebracht.

      »Nun,« sagte Mr. Gilmore, »was haben Sie ausgespürt?«

      »Ich habe ausfindig gemacht, Sir,« sagte der Mann, »daß die beiden Frauenzimmer auf unserer Station Billete nach Carlisle nahmen.«

      »Sie gingen darauf natürlich nach Carlisle?«

      »Ja wohl, Sir; aber ich muß leider sagen, daß ich auch nicht eine Spur weiter von ihnen entdecken konnte.«

      »Sie erkundigten sich auf der Eisenbahn?«

      »Ja, Sir.«

      »Und in den verschiedenen Wirthshäusern?«

      »Ja, Sir.«

      »Und gaben den Bericht, den ich für Sie aufschrieb, auf der Polizei ab?«

      »Ja wohl, Sir.«

      »Nun, mein Bester, da haben Sie Alles gethan, was Sie konnten, und ich habe Alles gethan, was ich konnte, und da muß die Sache jetzt ruhen bis auf Weiteres. Wir haben unsere Trumpfkarten ausgespielt, Mr. Hartright,« fuhr der alte Herr fort, als der Diener das Zimmer verlassen hatte. »Für den Augenblick wenigstens haben die Frauenzimmer uns überlistet; und das Einzige, was uns noch übrig bleibt, ist jetzt zu warten, bis Sir Percival Glyde kommt. Wollen Sie Ihr Glas nicht noch einmal füllen? Sehr guter Portwein das – ein kräftiger, starker Wein. Uebrigens besitze ich besseren in meinem Keller.«

      Wir kehrten ins Gesellschaftszimmer zurück, das Zimmer, in welchem ich die glücklichsten Abende meines Lebens zugebracht hatte und das ich nach diesem letzten Abende niemals wieder sehen sollte. Sein Anblick hatte sich verändert, seit die Tage kürzer und das Wetter kälter geworden. Die Glasthüren auf der Terrassenseite waren geschlossen und durch dichte Vorhänge verborgen. Statt des sanften Zwielichtes, in dem wir zu sitzen pflegten, blendete jetzt helles Lampenlicht meine Augen. Alles war anders – im Hause wie draußen, Alles so ganz anders!

      Miß Halcombe und Mr. Gilmore setzten sich zusammen an den Kartentisch. Mrs. Vesey nahm ihren gewohnten Sitz ein. Sie fühlten keinen Zwang darüber, wie sie den Abend hinbringen sollten; und ich fühlte um so mehr den Zwang über die Art und Weise, ihn meinerseits hinzubringen. Ich sah Miß Fairlie am Notentischchen zögern. Es hatte eine Zeit gegeben, wo ich mich zu ihr gesellt hätte. Ich wartete unentschlossen, ich wußte nicht, wohin ich gehen, noch was ich beginnen sollte. Sie warf einen schnellen Blick nach mir hin, nahm ein Musikstück von dem Tischchen und kam von selbst zu mir hin.

      »Soll ich Ihnen einige von den kleinen Melodien von Mozart vorspielen, die Sie so gern zu hören pflegten?« sagte sie, indem sie verwirrt das Heft öffnete und darauf niedersah, während sie sprach.

      Ehe ich ihr noch danken konnte, eilte sie schon an’s Instrument. Der Sessel daneben, den ich immer einzunehmen pflegte, stand leer. Sie schlug ein paar Accorde an – schaute sich nach mir um und dann wieder auf ihre Noten.

      »Wollen sie nicht an Ihren alten Platz kommen?« sagte sie sehr schnell und mit sehr leiser Stimme.

      »An diesem letzten Abende darf ich ihn wohl


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