Butler Parker 155 – Kriminalroman. Günter Dönges
die junge Blondine ein bekanntes und begehrtes Double für weibliche Schauspieler war. In Film- und Fernsehkreisen hatte sie einen Namen. Man sagte Ann Lomings nach, daß sie kein Risiko scheute, um einen guten Stunt abzuliefern.
»Nehmen Sie Platz.« Sie deutete auf eine kleine Sitzecke hinter dem Fahrersitz, »möchten Sie etwas trinken?«
»Danke, nein.« Parker schüttelte unmerklich den Kopf. »Wer von Ihren Freunden und Bekannten weiß von den Morddrohungen, um diese Frage noch mal aufzugreifen?«
»Ich habe bisher keinen Menschen eingeweiht, nur eben Pickett«, entgegnete sie, »ich lernte ihn vor Monaten bei Außenaufnahmen kennen. Mr. Pickett war dort als Berater tätig.«
»Meine Wenigkeit hörte andeutungsweise davon«, erwiderte Josuah Parker, »und seit wann droht man Ihnen mit dem baldigen Tod?«
»Seit genau einer Woche«, antwortete Ann Lomings, »zuerst kamen die Anrufe, dann die Briefe. Hören Sie, Mr. Parker, mißverstehen Sie mich bitte nicht, aber trauen Sie sich tatsächlich zu, diesen Kerl zu fassen?«
»Sie gehen davon aus, Miß Lomings, daß es sich um einen Mann handelt?« fragte Parker.
»Nein, das will ich damit nicht gesagt haben«, erwiderte sie sofort und schüttelte den Kopf, »auf der anderen Seite kann ich mir allerdings nicht vorstellen, daß eine Frau solche Mordbriefe verfaßt haben könnte.«
»Briefe, die Sie meiner Wenigkeit sicher zeigen können, Miß Lomings.«
»Natürlich.« Sie öffnete einen Wandschrank neben dem großen Schminkspiegel und ... stutzte dann sichtlich.
»Sie vermissen offensichtlich die gerade erwähnten Schreiben«, stellte Josuah Parker gemessen fest.
»Tatsächlich«, gab sie zurück und wandte sich ihm zu. Ihr Gesicht schien ratlos, »ich weiß genau, daß die Briefe hier im Wandschrank waren ... Ich weiß es ganz genau!«
»Der Absender, ob männlich oder weiblich, scheint sie wieder an sich genommen zu haben«, glaubte Parker.
»Anders kann ich es mir nicht vorstellen.« Ann Lomings nickte.
»Sie sollten sich darüber keine unnötigen Gedanken machen«, schlug Josuah Parker vor, »man kann und muß wohl davon ausgehen, Miß Lomings, daß Ihr Wohnmobil jedem Besucher offen steht?«
»Natürlich schließe ich nie ab«, antwortete sie, »wir sind hier ja eine große Familie, verstehen Sie, Mr. Parker?«
»Dennoch scheint diese große Familie das aufzuweisen, was man gemeinhin und im Volksmund ein schwarzes Schaf zu nennen pflegt«, entgegnete der Butler.
»Aber wer sollte das sein?« Sie hob ratlos die Schultern. »Ich glaube wirklich nicht, daß ich Feinde habe. Ich tu’ doch keinem Menschen etwas. Ich nehme keinem etwas weg.«
»Wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit sich um das eben erwähnte schwarze Schaf kümmern«, fuhr Parker fort.
»Mißverstehen Sie mich bitte nicht«, wiederholte sie, »aber glauben Sie wirklich, daß Sie es schaffen werden? Bitte, das soll kein Mißtrauen sein.«
»Sie sollten sich alles noch mal gründlich durch den Kopf gehen lassen«, schlug Parker vor, lüftete die schwarze Melone und stieg aus dem Wohnmobil, »meine Adresse haben Sie ja, Miß Lomings. Fühlen Sie sich Mr. Pickett gegenüber keineswegs verpflichtet. Meine Wenigkeit würde durchaus verstehen, wenn Sie sich von einem jüngeren Mann größere Hilfe versprechen. In mir sehen Sie einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann.«
»Ich bin ja so froh, daß Sie Verständnis für mich haben«, meinte sie erleichtert, »aber Sie müssen verstehen, daß ich viel unterwegs bin. Nach diesem Stunt hier muß ich morgen schon wieder bei anderen Außenaufnahmen sein.«
»Wo wird dies sein, Miß Lomings, wenn man sich erkühnen darf, danach zu fragen?«
»Wir drehen in Dorking«, berichtete sie, »es geht da um einen Auto-Stunt. Ich muß vom Kühler eines Jeeps auf die Ladefläche eines Trucks steigen. Und das alles bei etwa achtzig Kilometer pro Stunde.«
»Für Sie bestimmt eine reizvolle Aufgabe.«
»Routine«, meinte sie, »ich springe für eine Kollegin ein, die sich den Fuß verstaucht hat.«
»Meine Wenigkeit möchte nicht versäumen, Ihnen Hals- und Beinbruch zu wünschen«, beendete Parker die Unterhaltung, »aber nehmen Sie dies möglichst nicht zu wörtlich, wie ich hinzufügen möchte.«
*
Josuah Parker schritt gemessen vom Parkplatz, den die Polizei abgesperrt hatte. Er blickte noch mal zum Flachdach und musterte dann die beiden Männer, die auf der Brüstung Jagd auf Ann Lomings gemacht hatten.
Sie winkten sich gerade zu und waren dann zwischen dem technischen Gerät verschwunden, das man für die Aufnahmen benötigte. Parker interessierte sich kurz für das riesige Luftkissen, aus dem gerade die Luft entwich und blickte dann zurück zum Wohnmobil. Er war keineswegs beleidigt, daß Ann Lomings ihm nicht sonderlich viel zutraute. Er kannte Vorbehalte dieser Art nur zu gut. Sie machten ihm schon lange nichts mehr aus.
Parker zuckte unmerklich zusammen, als er einen Lichtblitz wahrnahm, dem ein Scheppern folgte. Er wandte sich um und entdeckte seitlich neben sich ein schweres Wurfmesser, das neben einem daumendicken Elektrokabel auf dem Asphalt des Parkplatzes lag. Es war noch in Bewegung und vibrierte. Parker überprüfte das Gestänge eines Scheinwerfers und entdeckte daran frische Kratzspuren.
Ein Zweifel war ausgeschlossen: Dieses Wurfmesser hatte ihm gegolten. Und es war mit großer Wucht geschleudert worden. Parker bückte sich und nahm mit seinen schwarz behandschuhten Fingern die Mordwaffe auf. Er ließ sie in der linken Außentasche seines schwarzen Covercoats verschwinden. Es war müßig, sich nach dem Messerwerfer umzusehen. Parker ging weiter, als wäre nichts geschehen. Diesmal sorgte er dafür, daß er nicht noch mal überrascht wurde. Er wechselte hinüber auf die frische Fläche des Parkplatzes und näherte sich seinem hochbeinigen Monstrum, das er knapp vor der Polizei-Absperrung geparkt hatte.
Bei diesem sogenannten Monstrum handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das museumsreif war. Man sah es dem seltsamen Wagen wirklich nicht an, daß er technisch völlig neu gestaltet worden war und so etwas wie eine Trickkiste auf Rädern darstellte. Schon von weitem entdeckte Parker einen unter die Windschutzscheibe geklemmten Zettel.
Ohne jede Hast nahm der Butler diesen an sich und überlas die wenigen, aus groben Buchstaben bestehenden Zeilen. Als Schreibgerät schien man einen Lippenstift benutzt zu haben. Parker wurde angeraten, sich um seinen eigenen Dreck zu kümmern. Unterschrieben hatte eine Person, die sich schlicht und einfach Tiger nannte.
Parker war wenig beeindruckt.
Als er sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums setzte, dachte er über diesen Tiger nach. Die Person, die unter diesem Decknamen auftrat, hatte mit den wenigen Zeilen bereits ihren zweiten Fehler begangen. Sie hatte deutlich zu erkennen gegeben, daß sie ihn, Josuah Parker, also kannte. Der erste Fehler hatte darin bestanden, die Drohbriefe an Ann Lomings verschwinden zu lassen. Auch dies deutete darauf hin, daß der Tiger sehr wohl wußte, daß Parker sich mit der Aufklärung von Kriminalfällen befaßte.
Der eindeutig größte Fehler aber war gewesen, ein Messer auf ihn zu werfen. In Parkers Augen kam dies bereits einer Überreaktion gleich. Man schien ihn zu fürchten und hatte die Absicht, ihn so schnell wie möglich aus dem Weg zu räumen.
Das schwarze Schaf, von dem Parker erst gesprochen hatte, schien ein Mitglied der großen Familie zu sein, auf die Ann Lomings hingewiesen hatte. Parker nahm sich vor, eine Liste der Personen anzufordern, die zum Aufnahmestab gehörten. Vielleicht ließen sich solchermaßen bereits erste Rückschlüsse ziehen. Es ging seiner Ansicht nach schon nicht mehr um Ann Lomings, sondern um seine eigene Person. Er war herausgefordert worden, und ein Josuah Parker nahm jede Herausforderung an.
Er verlangte von seinem hochbeinigen Monstrum nichts besonderes, als er nach Shepherd’s Market fuhr, wo sich das Haus der Lady Simpson befand, und erweckte