Butler Parker 155 – Kriminalroman. Günter Dönges
mit Rum getränkt war. Lady Agatha schnupperte angetan und nickte wohlwollend.
»Obst ist immer gesund«, sagte sie und ließ sich ein Stück reichen. Sie befand sich im Salon des Hauses und hatte sich gerade Parkers Bericht angehört.
»Dieser Tiger ist also eine Frau«, meinte sie, nachdem sie ausgiebig gekostet hatte, »das schränkt den Täterkreis erheblich ein.«
»Eine Feststellung, Mylady, die man nur als trefflich bezeichnen kann«, antwortete der Butler gemessen.
»Ich werde mich in diesen Fall selbstverständlich einschalten«, verkündete die passionierte Detektivin, »aber wie gesagt, er wäre bereits gelöst, wenn ich mitgekommen wäre.«
»Meine Wenigkeit würde niemals widersprechen, Mylady.«
»Warum sollten Sie auch? Tatsachen sind und bleiben Tatsachen, Mr. Parker! Aber nachdem Sie alles unnötig verfahren haben, braucht dieser Fall jetzt eine ordnende Hand.«
»Mylady werden wieder beispielgebend sein.«
»Ich weiß, ich weiß.« Sie nickte wohlwollend. »Übrigens würde ich gern noch etwas Obst essen, Mr. Parker. Dieses Stückchen Kuchen aber jetzt etwas dicker, wenn ich bitten darf.«
Parker hielt sich an die Anordnung und schnitt dreifingerbreit ab. Lady Agatha nickte wohlwollend, als der Butler ihr den gefüllten Kuchenteller reichte.
Sie war eine große, majestätische Erscheinung, die man füllig nennen konnte. Sie hatte das sechzigste Lebensjahr zwar überschritten, doch sie nahm dies einfach nicht zur Kenntnis. Sie verfügte über die Dynamik eines außer Kontrolle geratenen Panzers und genoß es, sich ungeniert und unkonventionell zu geben.
Lady Agatha, schon seit vielen Jahren verwitwet, war eine vermögende Frau, die sich jedes noch so ausgefallene Hobby leisten konnte. Seitdem Josuah Parker in ihren Diensten stand, betrachtete sie sich als Amateurdetektiv und nutzte jede sich bietende Gelegenheit, den Kriegspfad zu beschreiten.
Ein Gefühl für Gefahr oder Angst war ihr völlig fremd. Wo immer sie sich auch aufhielt, Lady Agatha bestach durch ihre robuste Ungeniertheit und Direktheit. Sie nannte die Dinge stets beim Namen und verblüffte ihre Gegner immer wieder durch ihr Temperament.
»Ich werde mir diese Artistin ansehen«, meinte sie, während sie das wirklich sehr große Kuchenstück dezimierte, »wahrscheinlich haben Sie ihr die falschen Fragen gestellt, Mr. Parker.«
»Dies, Mylady, sollte man nicht ausschließen.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Haltung war für ihn oberstes Gebot.
»Es wird sich um eine Eifersuchtsgeschichte handeln«, mutmaßte die ältere Dame weiter, »dieses fahrende Volk, ob es nun zum Zirkus, zum Film oder zum Fernsehen gehört, ist doch nur zu bekannt dafür. Man sieht es doch immer wieder in den Kriminalfilmen.«
»Möglicherweise verzichtet Miß Lomings auf Hilfe«, warf der Butler ein.
»Papperlapapp, Mr. Parker! Das steht überhaupt nicht zur Debatte«, grollte sie prompt, »sie wird erst gar nicht gefragt ... Natürlich braucht sie meine Hilfe, wenn sie nicht umgebracht werden will. Oder könnte es sich hier um einen raffinierten Reklametrick handeln? Haben Sie auch daran schon gedacht?«
»Sehr wohl, Mylady«, lautete Parkers Antwort.
»Aber Sie glauben natürlich nicht daran, wie? Ich weiß doch, wie schnell Sie sich von einem unschuldigen Gesicht täuschen lassen, Mr. Parker. Was Sie brauchen, ist Menschenkenntnis. Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel! Eine Lady Simpson kann man nicht hinter’s Licht führen!«
»Dies kann man nur bewundernd zur Kenntnis nehmen, Mylady.«
»Wo finde ich die Artistin?« fragte die ältere Dame noch mal, »ich denke, ich werde sie mir umgehend ansehen.«
»Miß Ann Lomings wohnt in Southwark«, beantwortete Parker die Frage, »und morgen wird Miß Loming einen «recht gefährlichen Stunt in Dorking ausführen.«
»Sehr interessant. Und um was handelt es sich?«
»Miß Dorking hat die feste Absicht, vom Kühler eines Jeeps auf die Ladefläche eines Trucks umzusteigen.«
»Was ist denn das schon?« Agatha Simpson schüttelte den Kopf, »ich kann nur hoffen, daß beide Fahrzeuge sich dabei auch bewegen.«
»Dies ist allerdings beabsichtigt«, antwortete Parker gemessen.
»Wahrscheinlich wird man das alles im Zeitlupentempo drehen«, sagte sie verächtlich, »man kennt doch die Tricks. Sprang sie tatsächlich von diesem Flachdach?«
»Unbezweifelbar, Mylady.«
»Das müßte ich mal versuchen«, sagte sie nachdenklich, »erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran, Mr. Parker.«
»Mylady können sich fest darauf verlassen«, lautete Parkers Antwort. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos.
*
Das Wohnmobil stand auf einem weiten Hinterhof vor einer Lagerhalle, deren Fassade grau und abweisend aussah. Die Fenster waren von innen weiß gekalkt und dazu noch zusätzlich verschmutzt. Die Lagerhalle gehörte zum Komplex einer ehemaligen Reederei, die sich früher mit Baumwolle befaßte. Eine verwaschene Inschrift dicht unter dem Flachdach des dreistöckigen Gebäudes deutete noch darauf hin.
»Hier sollte man einen Kriminalfilm drehen«, sagte Lady Agatha und blickte sich interessiert um, »so etwas kriegt selbst der beste Bühnenarchitekt nicht fertig. Was halten Sie davon, Mr. Parker, wenn ich meinen Bestseller hier beginnen lasse?«
»Damit allein, Mylady, dürfte bereits der Welterfolg garantiert sein«, behauptete Josuah Parker. Er hatte den langen Torbogen schnell passiert und näherte sich dem Wohnmobil, das er bereits kannte. Es war dämmrig geworden. Im Hinterhof herrschte Zwielicht, das unheimlich wirkte. Nur im Wohnmobil brannte ein schwaches Licht.
»Sie muß uns doch längst gehört haben«, sagte die ältere Dame, »diese Artistin scheint sehr unhöflich zu sein, Mr. Parker.«
»Oder ist verhindert, Mylady zu empfangen«, meinte der Butler.
»Sie glauben, daß sich inzwischen etwas ereignet hat?« hoffte Lady Agatha sofort.
»Man könnte Miß Lomings beispielsweise daran hindern, sich zu zeigen.«
»Das wäre ja ausgezeichnet«, freute sich die Detektivin, »dann würde man ja bereits auf mich warten, Mr. Parker.«
»Man sollte dies nicht ausschließen, Mylady.«
Parker fuhr dicht an dem Wohnmobil vorbei und lenkte sein hochbeiniges Monstrum in engem Kreis durch den Hinterhof, steuerte das Fahrzeug dann erneut und hielt dicht neben dem Eingang. Er öffnete die Wagentür und schob sich ins Freie. Der Abstand zwischen seinem Wagen und dem Wohnmobil betrug knapp einen Meter. Parker öffnet die Tür zu Miß Lomings Fahrzeug und ... fuhr unmerklich zusammen, als dicht neben ihm ein Geschoß einschlug. Von der Gewalt des Einschusses wurde ihm die Tür aus der schwarz behandschuhten Hand gerissen.
»Was war das?« wollte Agatha Simpson umgehend wissen.
»Es dürfte sich um einen Schuß gehandelt haben, Mylady«, erwiderte der Butler, »man scheint Mylady in der Tat erwartet zu haben.«
»Natürlich«, gab sie zurück, »das möchte ich mir auch ausgebeten haben. Was werde ich jetzt tun, Mr. Parker?«
»Mylady bleiben im Wagen«, deutete Parker diskret an, »die Scheiben sind erfreulicherweise kugelsicher, wie man versichern darf.«
»Sie glauben doch wohl nicht, daß eine Lady Simpson sich verstecken wird«, grollte sie und öffnete die Wagentür auf der Seite, die dem Wohnmobil zugewandt war. Sie schob ihre Fülle nach draußen und ... fuhr ebenfalls zusammen.
Dicht an ihrem Ohr vorbei zirpte ein Geschoß und landete klatschend im Aufbau des Wohnmobils. Lady Agatha duckte sich und blickte den Butler ärgerlich an.
»Tun Sie endlich etwas, Mr. Parker«, verlangte