Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Kind zu.
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Christina erreichte pünktlich die Kirche, in der das Konzert stattfinden sollte. Sie parkte ihren Wagen auf dem Parkplatz und betrat das Gebäude durch einen Seiteneingang. Herr Wolter, der Dirigent, und ein Großteil der Sänger waren schon da und begrüßten sie freundlich.
Sie hatten einige gemeinsame Proben gehabt, mit denen Herr Wolter sehr zufrieden war. Christina arbeitete sehr professionell und übte hart für ihre Auftritte. Alles mußte perfekt sein. Trotzdem verspürte sie leichtes Lampenfieber, als sich die Kirche mit Zuschauern füllte. Auch die Leute von der Presse waren anwesend. Für sie waren Plätze in der ersten Reihe reserviert worden, damit die Fotografen die anderen Gäste nicht störten.
Endlich war es soweit. Christina war froh, als alle Sänger Aufstellung genommen hatten und sie auf die Bühne treten konnte. Der Dirigent wartete, bis der Applaus beendet war, dann hob er den Taktstock und gab das Zeichen für den Anfang.
Es wurde ein wunderbares Konzert, das sogar Christinas Erwartungen übertraf. Sie schaffte es, ihre Probleme zu verdrängen und sich ganz auf die Musik von Bach zu konzentrieren. Ihre Stimme klang klar und rein durch das Kirchenschiff, das eine hervorragende Akustik hatte.
Der Applaus wollte kein Ende nehmen und immer wieder wurde Christina von Herrn Wolter auf die Bühne gebeten. Sie ertrug geduldig das Blitzlichtgewitter der vielen Kameras und bedankte sich strahlend bei den Zuhörern.
»Es ist ein tolles Publikum«, flüsterte sie Herrn Wolter zu, als er sie ein letztes Mal nach vorn holte.
»Sie waren aber auch fantastisch, Frau von Berg. Ich bin beeindruckt.«
»Es hat mir viel Spaß gemacht, mit Ihnen zu arbeiten. Vielleicht ergibt sich wieder einmal die Gelegenheit dazu.«
»Ich werde an Sie denken, da können Sie sicher sein. Aber Sie sollten den Herrn von der Presse nicht zu lange warten lassen. Er ist nebenan.«
Christina seufzte. »Eigentlich würde ich jetzt viel lieber nach Hause fahren. Meine kleine Tochter ist krank.«
»Das tut mir leid. Es dauert aber sicher nicht lange. Und ein guter Artikel wird Ihrer Karriere förderlich sein.«
»Ich bin ja froh, daß man auf mich aufmerksam geworden ist.« Sie gab ihm die Hand. »Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit, Herr Wolter.« Dann ging sie in den Nebenraum, um sich den Fragen des Reporters zu stellen.
»Es freut mich, daß Sie Zeit für ein Interview haben, Frau von Berg«, begrüßte sie der Journalist freundlich.
Er war nicht allein. »Ich bin Konstantin Hübner, und das hier ist mein Fotograf Anian Fürst. Er möchte ein paar Fotos von Ihnen machen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Er wies auf einen Mann Mitte Dreißig, der zurückhaltend etwas abseits stand. Jetzt kam er auf Christina zu und gab ihr die Hand.
»Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Eigentlich habe ich für klassische Musik nichts übrig, aber Sie haben mich heute abend eines Besseren belehrt.«
Christina freute sich über das Kompliment. »Junge Männer halten im allgemeinen nicht viel von Klassik. Das finde ich sehr schade, weil gerade die klassische Musik von zeitloser Schönheit ist und Charakter besitzt. Anders als die Popmusik heutzutage, bei der man ein Lied nicht mehr von dem anderen unterscheiden kann.«
»Darf ich das gleich notieren, Frau von Berg?« fragte Konstantin Hübner eifrig.
Es wurde ein anregendes Gespräch, ganz anders als sich Christina ein Interview vorgestellt hatte. Schließlich wußte Konstantin genug.
»Vielen Dank für Ihre Auskünfte. Gleich morgen früh werde ich den Artikel schreiben und Ihnen dann zusenden, damit Sie korrigieren können, falls ich etwas falsch verstanden habe.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ehrlich gesagt hatte ich schon Angst davor, was Sie aus dem machen, was ich Ihnen gesagt habe. Man hört ja viel von Journalisten, die den Leuten die Sätze im Mund umdrehen.«
»Das mag in der Klatschpresse so sein. Ich lege Wert darauf, authentisch zu sein und möchte weder meine Leser noch die Künstler enttäuschen, über die ich berichte.«
»Das ist eine gute Einstellung«, sagte Christina.
»Darf ich jetzt noch ein paar Fotos von Ihnen machen?« mischte sich nun Anian Fürst ein, der die ganze Zeit still dagesessen und Christina beobachtet hatte.
Sie schaute auf die Uhr.
»Das Gespräch hat schon länger gedauert, als ich dachte.«
»Es geht ganz schnell.« Anian sah sie bittend an.
Christina brachte es nicht übers Herz, ihm den Wunsch abzuschlagen.
»Also gut. Aber es müssen schöne Fotos werden.«
»Versprochen.« Schnell machte sich Anian ans Werk und zeigte Christina, wie sie posieren sollte, damit das Licht in einem bestimmten Winkel auf ihr Gesicht fiel.
Behutsam strich er ihr eine Strähne des langen blonden Haares aus der Stirn.
Christina durchfuhr es bei dieser Berührung. Scheu sah sie ihn an.
Anian lächelte nicht. »Bleiben Sie so. Das ist wunderschön«, sagte er mit rauher Stimme.
Dann war es vorbei. Konstantin Hübner packte seine Unterlagen ein und hielt Christina die Tür auf. Anian folgte den beiden. Vor der Tür verabschiedete sich Konstantin, doch Anian begleitete sie noch bis zu ihrem Wagen.
»Darf ich Sie wiedersehen, Christina?« fragte er schüchtern, als sie eingestiegen war. In dem Interview hatte sie erwähnt, daß sie alleinerziehende Mutter war. Das hatte ihm Mut gemacht.
Sie überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf.
»Ich habe schon einmal eine schlechte Erfahrung gemacht. Ein Mann bat mich wie Sie nach einem Konzert um ein Rendezvous, und ich war so leichtsinnig, mich darauf einzulassen. Ich habe mir geschworen, daß mir so etwas nicht mehr passiert.«
»Es sind nicht alle Männer gleich.«
»Trotzdem. Es war nett, Sie kennengelernt zu haben. Ich muß jetzt nach Hause zu meiner kleinen Tochter.«
»Warten Sie! Darf ich Ihnen wenigstens die Fotos zuschicken? Es wird Sie sicher interessieren, wie sie geworden sind.«
»Ja, natürlich.« Christina suchte in ihrer Handtasche und entnahm dann einem kleinen Ledermäppchen eine Visitenkarte.
»Hier ist meine Adresse. Ich vertraue Ihnen, daß Sie mich nicht belästigen werden, sondern nur die Bilder schicken.«
Ohne ein weiteres Wort startete Christina ihr Auto und fuhr davon. Anian stand wortlos da und starrte dem Wagen nach, bis die Rücklichter in der Dunkelheit verschwunden waren.
»Kommst du endlich, Anian. Wie lange soll ich noch warten?«
Die ungeduldige Stimme seines Kollegen riß ihn aus seinen Gedanken.
»Ich komme ja schon.«
»Was ist los mit dir?« fragte Konstantin erstaunt, als er Anians nachdenklichen Gesichtsausdruck bemerkte.
»Das war die Frau, die ich heiraten werde.«
»Du spinnst ja. Wie kommst du auf so eine Idee?«
»Noch nie was von Liebe auf den ersten Blick gehört?«
Konstantin lachte laut auf. »Du bist ein unverbesserlicher Romantiker. »Nein, an so was glaub’ ich nicht.«
»Schade.«
»Jetzt reiß dich zusammen, Anian. Wenn du wolltest, könntest du an jedem Finger eine Frau haben. Außerdem ist da noch Viola. Hast du die vergessen?«
»Ach, Viola«, antwortete Anian und verdrehte die Augen. »Jeden Abend ist sie auf einer anderen Party und wirft mir vor, daß ich ein Langweiler bin. Nur weil mir dieses mondäne Gesellschaftsleben nicht gefällt.«