Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman. Kathrin Singer
viel Glück.«
*
Bettina stand in ihrem Zimmer vor dem Spiegel und kämmte ihr schulterlanges Haar, das in weichen Wellen wie eine goldgelbe Flut herniederrieselte. Sie trug ein langes weißes Kleid, selbst genäht – extra für diesen Tag. Ein spöttisches Lächeln spielte um den Mund der Dreiundzwanzigjährigen. Sie kam sich ein bisschen albern vor. Wenn der Trubel doch schon vorbei wäre!
»Deern, wo bleibst du denn?«, hörte sie ihren Großvater ungeduldig rufen.
»Opa, wir haben viel Zeit!«, rief sie durch die halboffene Tür zurück.
»Und wenn dein Auto unterwegs stecken bleibt? Wir müssen doch pünktlich sein, Kind!«
»Opa, du hast erheblich mehr Lampenfieber als ich!«, lachte Bettina unbekümmert. Sie trat ans Fenster, um es zu schließen. Einen Moment lang verharrte sie und atmete den würzigen Duft des Waldes ein. Vor dem Fenster rauschten die Bäume, die sie schon in ihren Kindertagen in den Schlaf gesungen hatten. Es war schön, wieder zu Hause zu sein! Leider war alles Schöne auf dieser Welt vergänglich. Bettina seufzte schwer. Sie ließ die Stirn an den harten Fensterrahmen sinken. Sie konnten dieses Haus nach dem Tode ihres Vaters nicht mehr halten. Zu viele Hypotheken lasteten darauf. Es blieb ihnen kein anderer Ausweg, als es zu verkaufen, dieses kleine Paradies, in dem ihr Großvater fast sechzig Jahre lang geschaltet und gewaltet hatte. Ihm fiel es noch schwerer als ihr, sich von diesem Besitz zu trennen, wenn er auch versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Darum hatte sie sich breitschlagen lassen, Heide-Königin zu werden, nur dem Großvater zuliebe.
Bettina richtete sich entschlossen auf und verließ ihr Zimmer unter dem Dach. Sie musste das bodenlange Kleid raffen, als sie die schmale steile Holzstiege hinunterschritt.
Rudolf Lühr, der seine Enkelin im Flur unter den mächtigen Hirschgeweihen erwartete, hatte zur Feier des Tages seine alte Forstmeisteruniform angelegt. Die verschmitzt blickenden hellblauen Augen und der gepflegt gestutzte, eisgraue Kinnbart machten ihn vollends zu einem betagten Herrn der Wälder, der stets liebevoll über sein Reich der Tiere und Bäume geherrscht hatte.
Der alte Lühr musterte das blonde Mädchen wohlgefällig. Seine Augen strahlten. »Fein siehst du aus, Deern. Fehlt nur noch das Krönchen. Und die Schärpe natürlich.«
Bettina seufzte übertrieben komisch. »Ich wünschte, wir hätten die Zeremonien nebst Ball und alles, was drum und dranhängt, schon hinter uns.«
»Aber Kind, freust du dich denn nicht, Heide-Königin zu werden?«, fragte Rudolf Lühr mit allen Anzeichen der Entrüstung.
»Ach, weißt du, ich lasse mich nicht so gern bestaunen, und außerdem finde ich, bin ich mit meinen dreiundzwanzig Lenzen für derartige Kindereien schon entschieden zu alt.«
»Papperlapapp! Die Schönste soll Königin werden, und das bist du! Klar, die hätten dich schon längst gekrönt, schon mit siebzehn oder achtzehn, aber du bist ja nie hier gewesen. Heute ist es endlich soweit!« Der alte Herr warf sich voller Stolz in die Brust.
Bettina lächelte gerührt. Für ihren Großvater war es ein denkwürdiger Tag, von dem er noch lange zehren würde. Wie er es genoss, dass seine Enkeltochter heute im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand! Als die Allerschönste, wie er meinte. Dabei hatte das Festkomitee ihm, dem allseits beliebten Forstmeister im Ruhestand, sicher nur einen Gefallen tun wollen.
»So, jetzt müssen wir uns aber schleunigst auf den Weg machen, Betti«, drängte er aufgeregt.
Sie verließen das Forsthaus und stiegen in Bettinas Volkswagen, den nur ein gütiges Schicksal und ein äußerst zählebiger Motor bisher vor dem Schrottplatz bewahrt hatten.
Während sie durch den stillen Wald fuhren, wurde Bettina allmählich von einer feiertäglichen Stimmung erfasst. Die freudige Erwartung ihres Großvaters sprang auf sie über.
Bald erreichten sie das Dorf. Birkengrün schmückte alle Häuser. Bunte Fahnen wehten. Von fern her tönte die schmissige Blasmusik der Feuerwehrkapelle.
Als Bettina auf den Parkplatz fuhr, fiel ihr sofort eine große elegante Luxuslimousine auf, die in dezentem Weinrot schimmerte, und neben der ihr klappriges Blechvehikel geradezu grotesk wirkte.
Aus diesem Traumwagen stieg ein Mann.
Ein Traummann!
Groß und schlank war er, dazu breitschultrig und sportlich trainiert. Er mochte etwa dreißig Jahre sein – ein Alter, das Bettina für Männer immer besonders attraktiv und günstig gefunden hatte.
Das dunkle, leicht gewellte Haar und der forsche offene Blick verliehen ihm etwas Verwegenes.
Ein paar Sekunden lang verharrte die Dreiundzwanzigjährige reglos, eine Hand auf der offenen Wagentür. Und in diesen Sekunden geschah etwas Rätselhaftes, etwas völlig Unerklärliches. Die Welt und ihre Gesetze gerieten aus den Angeln. Es war, als stoppe das Schicksal selbst den Lauf der Erde – wie ein Kind, das die Hand auf den rotierenden Globus legt.
In diesen Sekunden, in denen ihr Blick in den dunklen Augen des Fremden versank, war es Bettina, als gleite sie durch undenkliche Zeiträume, allein mit diesem Unbekannten.
Er lächelte nicht. Es schien, als begegne sie unvermutet einem verlorenen Freund.
Und dann war das Wunder vorbei. Ihr Großvater rüttelte Bettina aufgeregt am Arm. »Komm doch, Betti.«
Er stieß den Wagenschlag zu, umklammerte das Handgelenk seiner Enkeltochter und zog sie mit sich.
Während der Krönungszeremonie, als ihre Nachfolgerin ihr das golden schimmernde Krönchen aufs Haar setzte, als der Bürgermeister ihr den purpurnen Mantel um die Schultern legte, sah Bettina den Fremden wieder. Er stand in der Menge, eingekeilt zwischen den Dorfbewohnern, den Schaulustigen und Touristen. Doch sie sah nur ihn, als stehe er einsam auf dem leeren Festplatz. Diesmal war ein kleines amüsiertes Lächeln in seinen Augen, und unwillkürlich lächelte Bettina zurück. Nur ihm galt dieser Gruß, und er begriff, das signalisierte er mit einem kaum merklichen Kopfnicken.
Während der folgenden Stunden, da sie ihren »Pflichten« als neugewählte Heidekönigin nachkommen musste, sah sie den Unbekannten immer wieder. Zufall? Verfolgte er sie? Allmählich wurde Bettina unruhig. Wie er sie musterte! Abschätzend? Frech? Herausfordernd?
Wer war dieser Mensch? Warum ließ er sie nicht aus den Augen? War er allein zum Heideblütenfest gekommen?
Wenn Bettina seine Blicke anfänglich auf seltsame Weise verzaubert hatten, so machten diese bohrenden dunklen Augen sie nun zunehmend nervöser und verlegener. Sie wusste ja kaum noch, wohin sie schauen sollte! Wenn das Fest doch endlich zu Ende wäre. Aber noch stand ihr das Schlimmste bevor, der große Festball.
Am liebsten wäre Bettina geflüchtet. Doch sie wurde von einem Tänzer zum anderen weitergereicht, vom Bürgermeister zum Lehrer und Vorsitzenden des Festkomitees, vom Feuerwehrhauptmann zum Fremdenverkehrsdirektor.
Und dann, nachdem sie mit sämtlichen Honoratioren ihre Ehrentänze absolviert hatte, als das freundliche Lächeln auf ihrem Gesicht schon wie eingefroren wirkte, stand er plötzlich vor ihr.
»Darf ich bitten?«, fragte er höflich.
Bettina bekam plötzlich weiche Knie. Wo war ihre Selbstsicherheit geblieben?
Stumm und betroffen stand sie da.
»Oder tanzen Eure Durchlaucht nicht mit hergelaufenen Fremden?«, fragte er mit freundlichem Spott und einem ungemein gewinnenden Lächeln.
»O doch, sicher«, stammelte sie und kam ihm einen halben Schritt entgegen.
Lässig und elegant nahm er sie in die Arme. Auf der gedrängt vollen Fläche war es jedoch unmöglich, schwungvoll zu tanzen, wie der Mann es zunächst vorhatte. Bald bewegten sie sich nur noch mit kleinen Schritten durch die wogende Menge.
»Nun, wie fühlt man sich als Königin?«, begann der Unbekannte nach einer Weile das Gespräch.
Bettina warf