Kosmos. Alexander von Humboldt
In einem Werke aber, welches das bereits Erkannte, selbst das, was in dem dermaligen Zustande unseres Wissens für gewiß oder nach verschiedenen Abstufungen für wahrscheinlich gehalten wird, aufzählen; nicht die Beweise liefern soll, welche die erzielten Resultate begründen: ist ein anderer Ideengang vorzuziehen. Hier wird nicht mehr von dem subjectiven Standpunkte, von dem menschlichen Interesse ausgegangen. Das Irdische darf nur als ein Theil des Ganzen, als diesem untergeordnet erscheinen. Die Natur-Ansicht soll allgemein, sie soll groß und frei; nicht durch Motive der Nähe, des gemüthlicheren Antheils, der relativen Nützlichkeit beengt sein. Eine physische Weltbeschreibung, ein Weltgemälde beginnt daher nicht mit dem Tellurischen: sie beginnt mit dem, was die Himmelsräume erfüllt. Aber indem sich die Sphären der Anschauung räumlich verengen, vermehrt sich der individuelle Reichthum des Unterscheidbaren, die Fülle physischer Erscheinungen, die Kenntniß der qualitativen Heterogeneität der Stoffe. Aus den Regionen, in denen wir nur die Herrschaft der Gravitations-Gesetze erkennen, steigen wir dann zu unserem Planeten, zu dem verwickelten Spiel der Kräfte im Erdenleben herab. Die hier geschilderte naturbeschreibende Methode ist der, welche Resultate begründet, entgegengesetzt. Die eine zählt auf, was auf dem anderen Wege erwiesen worden ist.
Durch Organe nimmt der Mensch die Außenwelt in sich auf. Lichterscheinungen verkünden uns das Dasein der Materie in den fernsten Himmelsräumen. Das Auge ist das Organ der Weltanschauung. Die Erfindung des telescopischen Sehens hat seit drittehalb Jahrhunderten den späteren Generationen eine Macht verliehen, deren Grenze noch nicht erreicht ist. Die erste und allgemeinste Betrachtung im Kosmos ist die des Inhalts der Welträume, die Betrachtung der Vertheilung der Materie: des Geschaffenen, wie man gewöhnlich das Seiende und Werdende zu nennen pflegt. Wir sehen die Materie theils zu rotirenden und kreisenden Weltkörpern von sehr verschiedener Dichtigkeit und Größe geballt, theils selbstleuchtend dunstförmig als Lichtnebel zerstreut. Betrachten wir zuerst die Nebelflecke, den in bestimmte Formen geschiedenen Weltdunst, so scheint derselbe in steter Veränderung seines Aggregat-Zustandes begriffen. Er tritt auf, scheinbar in kleinen Dimensionen: als runde oder elliptische Scheibe, einfach oder gepaart, bisweilen durch einen Lichtfaden verbunden; bei größerem Durchmesser ist er vielgestaltet, langgestreckt, oder in mehrere Zweige auslaufend, als Fächer oder scharf begrenzter Ring mit dunklem Inneren. Man glaubt diese Nebelflecke mannigfaltigen, fortschreitenden Gestaltungs-Processen unterworfen, je nachdem sich in ihnen der Weltdunst um einen oder um mehrere Kerne nach Attractions-Gesetzen verdichtet. Fast drittehalbtausend solcher unauflöslichen Nebelflecke, in denen die mächtigsten Fernröhre keine Sterne unterscheiden, sind bereits aufgezählt und in ihrer örtlichen Lage bestimmt worden.
Die genetische Entwickelung, die perpetuirliche Fortbildung, in welcher dieser Theil der Himmelsräume begriffen scheint, hat denkende Beobachter auf die Analogie organischer Erscheinungen geleitet. Wie wir in unsern Wäldern dieselbe Baumart gleichzeitig in allen Stufen des Wachsthums sehen, und aus diesem Anblick, aus dieser Coexistenz den Eindruck fortschreitender Lebens-Entwicklung schöpfen, so erkennen wir auch in dem großen Weltgarten die verschiedensten Stadien allmäliger Sternbildung. Der Proceß der Verdichtung, den Anaximenes und die ganze ionische Schule lehrte, scheint hier gleichsam unter unsern Augen vorzugehen. Dieser Gegenstand des Forschens und Ahndens ist vorzugsweise anziehend für die Einbildungskraft. Was in den Kreisen des Lebens und aller inneren treibenden Kräfte des Weltalls so unaussprechlich fesselt, ist minder noch die Erkenntniß des Seins als die des Werdens: sei dies Werden auch nur (denn vom eigentlichen Schaffen als einer Thathandlung, vom Entstehen, als »Anfang des Seins nach dem Nichtsein«, haben wir weder Begriff noch Erfahrung) ein neuer Zustand des schon materiell Vorhandenen.
Nicht bloß durch Vergleichung der verschiedenen Entwicklungs-Momente, in denen sich die gegen ihr Inneres mehr oder minder verdichteten Nebelflecke zeigen: auch durch unmittelbare auf einander folgende Beobachtungen hat man geglaubt, zuerst in der Andromeda, später im Schiffe Argo und in dem isolirten faserigen Theile des Orion-Nebels wirkliche Gestalt-Veränderungen zu bemerken. Ungleichheit der Lichtstärke in den angewandten Instrumenten, verschiedene Zustände unseres Luftkreises, und andere optische Verhältnisse machen freilich einen Theil der Resultate als wahrhaft historische Ergebnisse zweifelhaft.
Mit den eigentlichen vielgestalteten Nebelflecken, deren einzelne Theile einen ungleichen Glanz haben und die mit abnehmendem Umfang sich vielleicht zuletzt in Sterne concentriren; mit sogenannten planetarischen Nebeln, deren runde, etwas eiförmige Scheiben in allen Theilen eine völlig gleiche milde Intensität des Lichtes zeigen: sind nicht die Nebelsterne zu verwechseln. Hier projiciren sich nicht etwa zufällig Sterne auf fernem nebligem Grunde; nein, die dunstförmige Materie, der Lichtnebel bildet Eine Masse mit dem von ihm umgebenen Gestirn. Bei der oft sehr beträchtlichen Größe ihres scheinbaren Durchmessers und der Ferne, in der sie aufglimmen, müssen beide, die planetarischen Nebelflecke sowohl als die Nebelsterne, ungeheure Dimensionen haben. Neue und scharfsinnige Betrachtungen Die optischen Betrachtungen über den Unterschied, welchen ein einziger leuchtender Punkt oder eine Scheibe von meßbarem Winkel darbieten, in der die Lichtstärke in jedem Abstande dieselbe bleibt, findet man entwickelt in Arago, analyse des travaux de Sir William Herschel (Annuaire du Bureau des Longitudes pour l’an 1842 p. 410–412 und 441). über den sehr verschiedenen Einfluß der Entfernung auf die Intensität des Lichtes einer Scheibe von meßbarem Durchmesser oder eines einzelnen selbstleuchtenden Punktes machen es nicht unwahrscheinlich, daß die planetarischen Nebelflecke sehr ferne Nebelsterne sind, in denen der Unterschied zwischen dem Centralsterne und der ihn umgebenden Dunsthülle selbst für unser telescopisches Sehen verschwunden ist.
Die prachtvollen Zonen des südlichen Himmels zwischen den Parallelkreisen von 50° und 80° sind besonders reich an Nebelsternen und zusammengedrängten, nicht aufzulösenden Nebelflecken. Von den zwei Magelhanischen Wolken, die um den sternleeren, verödeten Südpol kreisen, erscheint besonders die größere, nach den neuesten Untersuchungen »Die beiden Magelhanischen Wolken, Nubecula major und minor, sind höchst merkwürdige Gegenstände. Die größere Wolke ist eine Zusammenhäufung von Sternen: und besteht aus Sternhaufen von unregelmäßiger Gestalt, aus kugelförmigen Haufen und aus Nebelsternen von verschiedener Größe und Dichtigkeit. Es liegen dazwischen große, nicht in Sterne aufzulösende Nebelflecke, die wahrscheinlich Sternenstaub (star-dust) sind, und selbst mit dem zwanzigfüßigen Telescop nur als eine allgemeine Helligkeit des Gesichtsfeldes erscheinen und einen glänzenden Hintergrund bilden, auf dem andere Gegenstände von sehr auffallender und unbegreiflicher Gestalt zerstreut sind. An keinem anderen Theile des Himmels sind auf einem so kleinen Raume so viele Nebel und Sternhaufen zusammengedrängt wie in dieser Wolke. Die Nubecula minor ist viel weniger schön; sie zeigt mehr unauflösliches, nebliges Licht, und die darin befindlichen Sternhaufen sind geringer an Zahl und schwächer.« (Aus einem Briefe von Sir John Herschel, Feldhuysen am Cap der guten Hoffnung, 13 Jun. 1836.), »als ein wundersames Gemenge von Sternschwärmen, von theils kugelförmigen Haufen von Nebelsternen verschiedener Größe, und von unauflöslichen Nebelflecken, die, eine allgemeine Helligkeit des Gesichtsfeldes hervorbringend, wie den Hintergrund des Bildes darstellen.« Der Anblick dieser Wolken, des lichtstrahlenden Schiffes Argo, der Milchstraße zwischen dem Scorpion, dem Centaur und dem Kreuze, ja die landschaftliche Anmuth des ganzen südlichen Himmels haben mir einen unvergeßlichen Eindruck zurückgelassen. Das Zodiacallicht, das pyramidenförmig aufsteigt (ebenfalls in seinem milden Glanze der ewige Schmuck der Tropennächte), ist entweder ein großer zwischen der Erde und Mars rotirender Nebelring oder, doch mit minderer Wahrscheinlichkeit, die äußerste Schicht der Sonnen-Atmosphäre selbst. Außer diesen Lichtwolken und Nebeln von bestimmter Form verkündigen noch genaue und immer mit einander übereinstimmende Beobachtungen die Existenz und die allgemeine Verbreitung einer wahrscheinlich nicht selbst leuchtenden, unendlich fein zertheilten Materie, welche, Widerstand leistend, in dem Encke’schen und vielleicht auch in dem Biela’schen Cometen durch Verminderung der Excentricität und Verkürzung der Umlaufszeit sich offenbart. Diese hemmende ätherische und kosmische Materie kann als bewegt, trotz ihrer ursprünglichen Tenuität als gravitirend, in der Nähe des großen Sonnenkörpers verdichtet, ja seit Myriaden von Jahren, durch ausströmenden Dunst der Cometenschweife, als vermehrt gedacht werden.
Gehen wir nun von der dunstartigen Materie des unermeßlichen Himmelsraumes (ουρανου