Kosmos. Alexander von Humboldt
angeführt, wenn χόρτος nicht allgemeiner einen eingeschlossenen Platz und so den »Himmels-Raum« bezeichnete. Der Zusammenhang mit dem germanischen Garten (gothisch gards, nach Jacob Grimm von gairdan, eingere) ist aber nicht zu verkennen: so wenig als die Verwandtschaft mit dem slavischen grad, gorod und die von Pott (etymol. Forschungen Th. I. S. 144) bemerkte mit dem lateinischen chors (woher corte, cour) und dem ossetischen khart. Hieran schließt sich ferner das nordische gard, gård (Umzäunung, dann: ein Gehöfte, Landsitz) und das persische gerd, gird: Umkreis, Kreis; dann ein fürstlicher Landsitz, Schloß oder Stadt, wie in alten Ortsnamen in Firdusi’s Schabnameh: Siyawakschgird, Darabgird u. a.), wie sie bald formlos zerstreut und unbegrenzt, ein kosmischer Welt-Aether, bald in Nebelflecke verdichtet ist, zu dem geballten; starren Theile des Universums über; so nähern wir uns einer Classe von Erscheinungen, die ausschließlich mit dem Namen der Gestirne oder der Sternenwelt bezeichnet wird. Auch hier sind die Grade der Starrheit oder Dichtigkeit der geballten Materie verschieden. Unser eigenes Sonnensystem bietet alle Stufen mittlerer Dichtigkeit (des Verhältnisses des Volums zur Masse) dar. Wenn man die Planeten von Merkur bis Mars mit der Sonne und mit Jupiter, und dann diese letzteren zwei Gestirne mit dem noch undichteren Saturn vergleicht, so gelangt man, in absteigender Stufenleiter, um an irdische Stoffe zu erinnern, von der Dichtigkeit des Antimon-Metalles zu der des Honigs, des Wassers und des Tannenholzes. In den Cometen, die den zahlreichsten Theil der individualisirten Naturformen unsers Sonnensystems ausmachen, läßt selbst noch der concentrirtere Theil, welchen wir den Kopf oder Kern zu nennen pflegen, das Sternenlicht ungebrochen durch. Die Masse der Cometen erreicht vielleicht nie den fünftausendsten Theil der Erdmasse. So verschiedenartig zeigen sich die Gestaltungs-Processe in dem ursprünglichen und vielleicht fortschreitenden Ballen der Materie. Von dem Allgemeinsten ausgehend, war es vorzugsweise nöthig hier diese Verschiedenartigkeit zu bezeichnen: nicht als ein Mögliches, sondern als ein Wirkliches, im Weltraume Gegebenes.
Was Wright, Kant und Lambert, nach Vernunftschlüssen, von der allgemeinen Anordnung des Weltgebäudes, von der räumlichen Vertheilung der Materie geahndet, ist durch Sir William Herschel auf dem sichreren Wege der Beobachtung und der Messung ergründet worden. Der große, begeisterte und doch so vorsichtig forschende Mann hat zuerst das Senkblei in die Tiefen des Himmels geworfen, um die Grenzen und die Form der abgesonderten Sternschicht zu bestimmen, die wir bewohnen; er hat zuerst gewagt die Verhältnisse der Lage und des Abstandes ferner Nebelflecke zu unserer Sternschicht aufzuklären. Wilhelm Herschel hat (so sagt die schöne Grabschrift zu Upton) die Schranken des Himmels durchbrochen (caelorum perrupit claustra); wie Columbus, ist er vorgedrungen in ein unbekanntes Weltenmeer, Küsten und Inselgruppen erblickend, deren letzte wahre Ortsbestimmung kommenden Jahrhunderten vorbehalten bleibt.
Betrachtungen über die verschiedene Lichtstärke der Sterne und über ihre relative Zahl, d. i. über die numerische Seltenheit oder Anhäufung in gleich großen Feldern der Fernröhre, haben auf die Annahme ungleicher Entfernung und räumlicher Vertheilung in den durch sie gebildeten Schichten geleitet. Solche Annahmen, in so fern sie zu einer Begrenzung der einzelnen Theile des Weltbaus führen sollen, können allerdings nicht denselben Grad mathematischer Gewißheit darbieten, der in allem erreicht wird, was unser Sonnensystem, was das Kreisen der Doppelsterne mit ungleicher Geschwindigkeit um einen gemeinsamen Schwerpunkt, was die scheinbare oder wirkliche Bewegung aller Gestirne betrifft. Man würde geneigt sein die physische Weltbeschreibung, wenn sie von den fernsten Nebelflecken anhebt, mit dem mythischen Theile der Weltgeschichte zu vergleichen. Beide Disciplinen beginnen im Dämmerlichte der Vorzeit, wie des unerreichbaren Raumes; und wo die Wirklichkeit zu entschwinden droht, ist die Phantasie zwiefach angeregt, aus eigener Fülle zu schöpfen und den unbestimmten, wechselnden Gestalten Umriß und Dauer zu geben.
Vergleicht man den Weltraum mit einem der inselreichen Meere unseres Planeten, so kann man sich die Materie gruppenweise vertheilt denken: bald in unauflösliche Nebelflecke von verschiedenem Alter, um einen oder um mehrere Kerne verdichtet; bald schon in Sternhaufen oder isolirte Sporaden geballt. Unser Sternhaufen: die Weltinsel, zu der wir gehören, bildet eine linsenförmig abgeplattete, überall abgesonderte Schicht, deren große Axe zu sieben-bis achthundert, die kleine zu hundert und funfzig Siriusweiten geschätzt wird. In der Voraussetzung daß die Parallaxe des Sirius nicht größer ist als die genau bestimmte des glänzendsten Sternes im Centaur (0”,9128), durchläuft das Licht eine Siriusweite in drei Jahren: während ans Bessel’s vortrefflicher früheren Arbeit Für α Cent. Maclear (Resultate von 1839 und 1840) in den Memoirs of the Astron. Soc. Vol. XII. 1842 p. 370. Wahrscheinlicher mittlerer Fehler 0”,0640; für 61 Cygni s. Bessel in Schumacher’s Jahrbuch für 1839 S. 47–49 u. in Schum. astr. Nachr. Bd. 17. S. 401 und 402. Mittlerer Fehler 0”,0141. Ueber die relativen Entfernungen der Sterne verschiedener Ordnung: wie die dritter Größe wahrscheinlich dreifach entfernter sind, und wie man sich die körperliche Gestaltung der Sternschichten vorstellen solle, finde ich bei Kepler in der Epitome Astronomiae Copernicanae 1618 T. I. lib. 1 p. 34–39 eine merkwürdige Stelle: »Sol hic noster nil aliud est quam una ex fixis, nobis major et clarior visa, quia propior quam fixa. Pone terram stare ad latus, una semidiametro viae lacteae, tunc haec via lactea apparebit circulus parvus, vel ellipsis parva, tota declinans ad latus alterum eritque simul uno intuitu conspicua, quae nunc non potest nisi dimidia conspici quovis momento. Itaque fixarum sphaera non tantum orbe stellarum, sed etiam circulo lactis versus nos deorsum est terminata.« über die Parallaxe des merkwürdigen 61ten Sternes im Schwan (0”,3483), dessen beträchtliche eigene Bewegung auf eine große Nähe hätte schließen lassen, folgt, daß von diesem Sterne das Licht zu uns erst in 9¼ Jahren gelangt. Unsere Sternschicht, eine Scheibe von geringer Dicke, ist zu einem Drittel in zwei Arme getheilt; man glaubt, wir stehen dieser Theilung nahe, ja der Gegend des Sirius näher als dem Sternbild des Adlers: fast in der Mitte der körperlichen Ausdehnung der Schicht, ihrer Dicke oder kleinen Axe nach.
Dieser Ort unsres Sonnensystems und die Gestaltung der ganzen Linse sind aus Stern-Aichungen, d. h. aus jenen Sternzählungen geschlossen, deren ich oben bereits erwähnte und die sich auf gleich große Abtheilungen des telescopischen Gesichtsfeldes beziehn. Die zu-und abnehmende Sternmenge mißt die Tiefe der Schicht nach verschiedenen Richtungen hin. So geben die Aichungen die Länge der Visionsradien: gleichsam die jedesmalige Länge des ausgeworfenen Senkbleies, wenn dasselbe den Boden der Sternschicht oder richtiger gesprochen, da hier kein oben und unten ist, die äußere Begrenzung erreichen soll. Das Auge sieht in der Richtung der Längen-Axe, da wo die meisten Sterne hinter einander liegen, die letzteren dicht zusammengedrängt, wie durch einen milchfarbenen Schimmer (Lichtdunst) vereinigt; und an dem scheinbaren Himmelsgewölbe, in einem dasselbe ganz umziehenden Gürtel, perspectivisch dargestellt. Der schmale und in Zweige getheilte Gürtel, von prachtvollem, doch ungleichem und durch dunklere Stellen unterbrochenem Lichtglanze, weicht an der hohlen Sphäre nur um wenige Grade von einem größten Kreise ab, weil wir uns nahe bei der Mitte des ganzen Sternhaufens und fast in der Ebene selbst der Milchstraße befinden. Stände unser Planetensystem fern außerhalb des Sternhaufens, so würde die Milchstraße dem bewaffneten Auge als ein Ring und, in noch größerer Ferne, als ein auflöslicher, scheibenförmiger Nebelfleck erscheinen.
Unter den vielen selbstleuchtenden, ihren Ort verändernden Sonnen (irrthümlich sogenannten Fixsternen), welche unsere Weltinsel bilden, ist unsere Sonne die einzige, die wir als Centralkörper durch wirkliche Beobachtung in dem Verhältniß zu der von ihr unmittelbar abhängigen, um sie kreisenden geballten Materie (in mannigfacher Form von Planeten, Cometen und aërolithenartigen Asteroiden) kennen. In den vielfachen Sternen (Doppelsonnen oder Doppelsternen), so weit sie bisher ergründet sind, herrscht nicht dieselbe planetarische Abhängigkeit der relativen Bewegung und Erleuchtung, welche unser Sonnensystem charakterisirt. Zwei oder mehrere selbstleuchtende Gestirne, deren Planeten und Monde (falls sie vorhanden sind) unsrer jetzigen telescopischen Sehkraft entgehen, kreisen allerdings auch hier um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt; aber dieser Schwerpunkt fällt in einen vielleicht mit ungeballter Materie (Weltdunst) ausgefüllten Raum, während derselbe bei unserer Sonne oft in der innersten Begrenzung eines sichtbaren Centralkörpers enthalten ist. Wenn man Sonne und Erde oder Erde und Mond als Doppelsterne, unser ganzes planetarisches Sonnensystem als eine vielfache Sterngruppe