Kosmos. Alexander von Humboldt

Kosmos - Alexander von  Humboldt


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daß die älteren Hebungen am nordischen Meere zu einer anderen Classe von Erscheinungen gehören als das sanfte (nicht plötzliche oder ruckweise) Aufsteigen des schwedischen Littorals im bothnischen Meerbusen. Die letztere, durch sichere historische Zeugnisse wohl bewährte Erscheinung darf ebenfalls nicht mit der Niveau-Veränderung des Bodens bei Erdbeben (wie an den Küsten von Chili und Cutsch) verwechselt werden. Sie hat ganz neuerlich zu ähnlichen Beobachtungen in anderen Ländern Veranlassung gegeben. Dem Aufsteigen entspricht bisweilen als Folge der Faltung der Erdschichten ein bemerkbares Sinken: so in West-Grönland (nach Pingel und Graah), in Dalmatien und in Schonen.

      Wenn man es für überaus wahrscheinlich hält, daß im Jugendalter unseres Planeten die oscillirenden Bewegungen des Bodens, die Hebung und Senkung der Oberfläche intensiver als jetzt waren: so darf man weniger erstaunt sein im Inneren der Continente selbst noch einzelne Theile der Erdoberfläche zu finden, welche tiefer als der dermalige, überall gleiche Meeresspiegel liegen. Beispiele dieser Art bieten dar die vom General Andréossy beschriebenen Natron-Seen, die kleinen bitteren Seen auf der Landenge von Suez, das caspische Meer, der See Tiberias und vor allem das todte Meer Humboldt, Asie centrale T. II. p. 319–324 und T. III. p. 549–551. Die Depression des todten Meeres ist nach und nach ergründet worden durch die barometrischen Messungen von Graf Bertou, durch die weit sorgfältigeren von Rußegger, und durch die trigonometrische Messung des englischen Schiffs-Lieutenants Symond. Die letzte gab, nach einem Briefe, den Herr Alderson an die geographische Gesellschaft zu London richtete und den mir mein Freund, der Capitän Washington, mitgetheilt, – 1506 Fuß für den Unterschied des Wasserspiegels des todten Meeres und des höchsten Hauses in Jaffa. Herr Alderson glaubte damals (28 Nov. 1841), das todte Meer liege ohngefähr 1314 Fuß unter dem Niveau des mittelländischen Meeres. In einer neueren Mittheilung des Lieutenants Symond (Jameson’s Edinb. new Philos. Journal Vol. XXXIV. 1843 p. 178) wird als Endresultat zweier sehr mit einander übereinstimmender trigonometrischen Operationen die Zahl 1231 Fuß (immer Pariser Maaß) angegeben.. Das Niveau der Wasser in den beiden letzten Seen ist 625 und 1230 Fuß niedriger als der Wasserspiegel des mittelländischen Meeres. Wenn man das Schuttland, welches die Steinschichten in so vielen ebenen Gegenden der Erde bedeckt, plötzlich wegnehmen könnte, so würde sich offenbaren, wie viele Theile der felsigen Erdoberfläche auch dermalen tiefer liegen als der jetzige Meeresspiegel. Das periodische, wenn gleich unregelmäßig wechselnde Steigen und Fallen der Wasser des caspischen Meeres, wovon ich selbst in dem nördlichen Theile dieses Beckens deutliche Spuren gesehen, scheint zu beweisen Sur la Mobilité du fond de la Mer Caspienne in meiner Asie centr. T. II. p. 283–294. Auf meine Aufforderung hat die kaiserliche Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg 1830 bei Baku auf der Halbinsel Abscheron durch den gelehrten Physiker Lenz feste Marken (Zeichen, den mittleren Wasserstand zu einer bestimmten Epoche angebend) an verschiedenen Punkten eingraben lassen. Auch habe ich 1839 in einem der Nachträge zu der Instruction, welche dem Capitän Roß für die antarctische Expedition ertheilt ward, darauf gedrungen, daß überall an Felsen in der südlichen Hemisphäre, wo sich dazu Gelegenheit fände, Marken, wie in Schweden und am caspischen Meere, eingegraben werden möchten. Wäre dies schon auf den ältesten Reisen von Bougainville und Cook geschehen, so würden wir jetzt wissen: ob die seculare relative Höhenveränderung von Meer und Land ein allgemeines oder nur ein örtliches Naturphänomen sei; ob ein Gesetz der Richtung in den Punkten erkannt werden kann, die gleichzeitig steigen oder sinken., wie die Beobachtungen von Darwin in den Corallen-Meeren Ueber das Sinken und Steigen des Bodens der Südsee und die verschiedenen areas of alternate movements s. Darwin’s Journal p. 557 und 561–566.: daß, ohne eigentliches Erbeben, der Erdboden noch jetzt derselben sanften und fortschreitenden Oscillationen fähig ist, welche in der Urzeit, als die Dicke der schon erhärteten Erdrinde geringer war, sehr allgemein gewesen sind.

      Die Erscheinungen, auf welche wir hier die Aufmerksamkeit heften, mahnen an die Unbeständigkeit der gegenwärtigen Ordnung der Dinge; an die Veränderungen, denen nach langen Zeit-Intervallen der Umriß und die Gestaltung der Continente sehr wahrscheinlich unterworfen sind. Was für die nächsten Menschenalter kaum bemerkbar ist, häuft sich in Perioden an, von deren Länge uns die Bewegung ferner Himmelskörper das Maaß giebt. Seit 8000 Jahren ist vielleicht das östliche Ufer der scandinavischen Halbinsel um 320 Fuß gestiegen; in 12000 Jahren werden, wenn die Bewegung gleichmäßig ist, Theile des Meerbodens, welche dem Ufer der Halbinsel nahe liegen und heute noch mit einer Wasserschicht von beinahe 50 Brassen Dicke bedeckt sind, an die Oberfläche kommen und anfangen trocken zu liegen. Was ist aber die Kürze dieser Zeiten gegen die Länge der geognostischen Perioden, welche die Schichtenfolge der Formationen und die Schaaren untergegangener, ganz verschiedenartiger Organismen uns offenbaren! Wie wir hier nur das Phänomen der Hebung betrachten, so können wir, auf die Analogien beobachteter Thatsachen gestützt, in gleichem Maaße auch die Möglichkeit des Sinkens, der Depression ganzer Landstriche annehmen. Die mittlere Höhe des nicht gebirgigen Theils von Frankreich beträgt noch nicht volle 480 Fuß. Mit älteren geognostischen Perioden verglichen, in denen größere Veränderungen im Innern des Erdkörpers vorgingen, gehört also eben nicht eine sehr lange Zeit dazu, um sich beträchtliche Theile vom nordwestlichen Europa bleibend überschwemmt, in ihren Littoral-Umrissen wesentlich anders gestaltet zu denken, als sie es dermalen sind.

      Sinken und Steigen des Festen oder des Flüssigen – in ihrem einseitigen Wirken so entgegengesetzt, daß das Steigen des einen das scheinbare Sinken des andern hervorruft – sind die Ursach aller Gestalt-Veränderungen der Continente. In einem allgemeinen Naturgemälde, bei einer freien, nicht einseitigen Begründung der Erscheinungen in der Natur muß daher wenigstens auch der Möglichkeit einer Wasser-Verminderung, eines wirklichen Sinkens des Meeresspiegels Erwähnung geschehen. Daß bei der ehemaligen erhöhten Temperatur der Erdoberfläche, bei der größeren, wasserverschluckenden Zerklüftung derselben, bei einer ganz anderen Beschaffenheit der Atmosphäre einst große Veränderungen im Niveau der Meere statt gefunden haben, welche von der Zu-oder Abnahme des Tropfbar-Flüssigen auf der Erde abhingen: ist wohl keinem Zweifel unterworfen. In dem dermaligen Zustande unsres Planeten fehlt es aber bisher gänzlich an directen Beweisen für eine reelle, fortdauernde Ab-oder Zunahme des Meeres; es fehlt auch an Beweisen für allmälige Veränderungen der mittleren Barometerhöhe im Niveau der Meere an denselben Beobachtungspunkten. Nach Daussy’s und Antonio Nobile’s Erfahrungen würde Vermehrung der Barometerhöhe ohnedies von selbst eine Erniedrigung des Wasserspiegels hervorbringen. Da aber der mittlere Druck der Atmosphäre im Niveau des Oceans aus meteorologischen Ursachen der Windesrichtung und Feuchtigkeit nicht unter allen Breiten derselbe ist, so würde das Barometer allein nicht einen sicheren Zeugen der Niveau-Veränderung des Tropfbar-Flüssigen abgeben. Die denkwürdigen Erfahrungen, nach denen im Anfange dieses Jahrhunderts wiederholt einige Häfen des Mittelmeeres viele Stunden lang ganz trocken lagen, scheinen zu beweisen, daß in ihrer Richtung und Stärke veränderte Meeresströmungen, ohne wirkliche Wasser-Vermindrung, ohne eine allgemeine Depression des ganzen Oceans, ein örtliches Zurücktreten des Meeres und ein permanentes Trockenlegen von einem kleinen Theile des Littorals veranlassen können. Bei den Kenntnissen, die wir neuerlichst von diesen verwickelten Erscheinungen erlangt haben, muß man sehr vorsichtig in ihrer Deutung sein: da leicht einem der »alten Elemente«, dem Wasser, zugeschrieben wird, was zwei anderen, der Erde oder der Luft, angehört.

      Wie die Gestaltung der Continente, die wir bisher in ihrer horizontalen Ausdehnung geschildert haben, durch äußere Gliederung, d. i. vielfach eingeschnittene Küsten-Umrisse, einen wohlthätigen Einfluß auf das Klima, den Handel und die Fortschritte der Cultur ausübt; so giebt es auch eine Art der inneren Gliederung durch senkrechte Erhebung des Bodens (Bergzüge und Hochebenen), welche nicht minder wichtige Folgen hat. Alles, was auf der Oberfläche des Planeten, dem Wohnsitze des Menschengeschlechts, Abwechselung der Formen und Vielgestaltung (Polymorphie) erzeugt (neben den Bergketten große Seen, Grassteppen, selbst Wüsten, von Waldgegenden küstenartig umgeben): prägt dem Völkerleben einen eigenthümlichen Charakter ein. Schneebedeckte Hochmassen hindern den Verkehr; aber ein Gemisch von niedrigeren abgesonderten Gebirgsgliedern Humboldt, Rel. hist. T. III. p. 232–234. Vergl. auch die scharfsinnigen Bemerkungen über Erdgestaltung und Lage der Höhenzüge in Albrechts von Roon Grundzügen der Erd-, Völker-und Staatenkunde


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