Geliebt und Glücklich. Barbara Cartland
jedoch sah nur die Narzissen unter den alten Bäumen, den weißen und violetten Flieder, der gerade zu blühen begann, und die ersten Knospen an den Mandelbäumchen, die in der nächsten Woche in voller Blüte stehen würden.
»Wenn ich doch nur malen könnte«, dachte sie. »Dann würde ich ein Bild malen, das jeder kaufen wollte.«
Doch selbst dann würde sie sich weder die Leinwand noch die Farben leisten können. Der einzige Mensch, der also das Wunder des Frühlings hier genießen konnte, war sie selbst.
Die Sonne schien sie zu rufen. Gilda fand, die Buchführung könnte warten, denn es war jetzt weit sinnvoller, das gute Wetter zu nutzen und in den Garten zu gehen.
Es gab dort eine Menge für sie zu tun, nicht nur bei den Blumen und Sträuchern, sondern auch im Küchengarten. Sie mußte unbedingt das Unkraut jäten und neues Gemüse pflanzen, sonst würde sie im Laufe des Jahres nichts ernten können.
Außerdem wollte sie sich den weißen Flieder genauer ansehen, den ihre Mutter immer so geliebt hatte. Wenn sie einen Strauß davon auf eine Kommode in die Halle stellte, würde bald das ganze Haus danach duften.
Auf ihren Lippen lag ein Lächeln, als sie sich vom Fenster abwenden wollte. Doch dann fiel ihr Blick auf die Auffahrt, und sie blieb reglos stehen.
Zu ihrem Erstaunen sah sie ein Gespann edler Pferde durch das Tor traben.
Der Kutscher, der sie lenkte, trug einen hohen Hut, und - unglaublich - neben ihm saß doch tatsächlich noch ein Lakai!
Niemand aus der Grafschaft, der so bedeutend war, daß er einen Lakaien auf der Kutsche mitfahren ließ, würde sie besuchen. Als die Pferde näher kamen, war sich Gilda klar, daß es sich um ein Versehen handeln mußte. Wer immer da kam, hatte sich im Haus geirrt.
Bald konnte sie erkennen, daß die Pferde eine sehr elegante Reisekutsche zogen, auf deren Tür ein Wappen prangte.
»Das muß ein Irrtum sein«, murmelte Gilda vor sich hin. »Ich muß es ihnen sagen.«
Als die Kutsche vor der Haustür hielt, eilte sie aus dem Wohnzimmer, und strich sich dabei rasch übers Haar, während sie sich ihres alten Baumwollkleides bewußt wurde. Es war schon so häufig gewaschen, daß es zu kurz und zu eng geworden war. Außerdem war die Farbe verblichen.
Aber das zählte jetzt nicht, denn der Besuch galt ja ohnehin nicht ihr. Und als der Türklopfer laut betätigt wurde, öffnete sie eilig, mehr neugierig als verlegen.
Ein Lakai in einer prachtvollen Livree, an der Silberknöpfe mit Wappen prangten, stand draußen.
Er nahm sich jedoch nicht die Zeit zu fragen, wessen Haus das war, sondern drehte sich um, um den Wagenschlag zu öffnen.
Gilda stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus. Aus der Kutsche stieg eine Vision in blauem Seidentaft mit lieblichem Gesicht, das von einer Kappe umrahmt wurde, die eine Straußenfeder in derselben Farbe zierte.
»Louise!« rief Gilda aus, verbesserte sich dann aber hastig: »Heloise!«
Nachdem sie nach London gezogen war, hatte ihre Schwester ihren Namen geändert. Sie hielt Heloise für außergewöhnlicher und aristokratischer und hatte ihrem Vater geschrieben, daß sie in Zukunft als Heloise angesprochen werden wollte.
»Ich freue mich, dich zu sehen!« begrüßte Gilda sie. »Wieso hast du mir nicht Bescheid gegeben, daß du kommen würdest?«
Heloise beugte sich vor, damit Gilda sie auf die Wange küssen konnte.
»Ich wußte es selbst bis zum letzten Augenblick nicht.« sie wandte sich an den Diener. »Bringen Sie meine Truhe hinauf, James«, befahl sie in autoritärem Ton, »und kommen Sie am frühen Montagvormittag hierher zurück. Sie dürfen nicht zu spät kommen. Ist das klar?«
»Ich habe verstanden, Miss.«
Er schickte sich an, die Seile zu lösen, mit denen die Truhe hinten auf der Kutsche festgezurrt war.
Ehe Gilda ihm noch sagen konnte, in welches Zimmer er sie tragen sollte, erklärte Heloise: »Da Mamas Zimmer das Beste ist, wünsche ich dort zu schlafen. Sag Bescheid, daß ihm jemand den Weg zeigt.«
»Ja, natürlich. Aber Mrs. Hewlett ist heute nicht da.«
»Dann mußt du es ihm selbst zeigen«, bestimmte Heloise. »Und sorg dafür, daß er die Riemen löst und den Deckel öffnet, ehe er geht.«
»Das tue ich«, willigte Gilda ein.
Heloise ging ins Wohnzimmer, und Gilda wartete in der Halle, bis James die Truhe ihrer Schwester hereinschleppte.
Dann ging sie vor ihm die Treppe hinauf und öffnete die Tür des Zimmers, das ihre Mutter immer benutzt hatte und das seit dem Tod ihres Vaters verschlossen geblieben war.
Hastig zog Gilda die Vorhänge zurück und öffnete die Fenster.
Das Zimmer war sauber, da Mrs. Hewlett regelmäßig jeden Raum im Haus putzte, ob er nun benutzt wurde oder nicht.
Das Bett war mit einem groben Leintuch abgedeckt, das Gilda jetzt zurückschlug, während der Diener die Truhe neben der Tür auf den Boden stellte.
»Geht das hier in Ordnung, Miss?« fragte er.
»Ja, danke«, antwortete Gilda.
Wenn es Heloise so nicht gefiel, würde sie die Truhe eben an einen anderen Platz schieben.
Sie bemerkte, wie sich der Diener mit einem leicht verächtlichen Gesichtsausdruck im Zimmer umsah, als hätte er gleich erkannt, wie schäbig und abgenutzt alles war, und würde es mit dem Haus vergleichen, in dem er angestellt war.
Doch dann grinste er Gilda ganz unerwartet an und meinte: »Schön, aufm Land zu sein, Miss. Ich bin selbst auf ’ner Farm aufgewachsen, und ich vermiß das oft.«
»Das glaube ich gerne. London muß im Sommer sehr heiß und staubig sein.«
»Das kann man wohl sagen. Und im Winter isses dann neblig. Tag auch, Miss.«
Er grinste ihr noch einmal zu, ehe sie ihn die Treppe hinunterlaufen hörte. Da sie glaubte, Heloise bräuchte sie, folgte sie ihm eilig.
Als sie in der Halle ankam, fuhr die Kutsche bereits wieder ab. Mit einem etwas besorgten Ausdruck in den blauen Augen lief sie ins Wohnzimmer hinüber.
»Ich freue mich so . . . dich zu sehen, Liebes«, sagte sie. »Aber warum bist du hier?«
Ihre Schwester hatte die Kappe abgenommen, und Gilda sah, daß sie ein blaues Haarband trug und die goldenen Locken sich über der ovalen Stirn kräuselten.
Die Frisur war ebenso hübsch wie das Gesicht. Auch das Kleid aus weißem Musselin mit der hohen Taille und den blauen Bändern, die über der Brust gekreuzt wurden und über den Rücken hinabhingen, war sehr elegant.
»Du siehst reizend aus . . . einfach reizend!« rief Gilda impulsiv, und Heloise lächelte über das Kompliment.
»Ich freue mich, daß du so denkst. Der Grund, warum ich hier bin, ist einfach der, daß ich jemanden dazu bringen will, mir genau das zu sagen, was du eben gesagt hast.«
Gilda schien verwirrt, und Heloise fuhr fort: »Ich bin fortgelaufen - verschwunden - aber die Frage ist, wird er sich nun Gedanken machen, was mit mir geschehen ist, oder nicht?«
Heloise saß auf dem Sofa, und Gilda nahm auf der Kante des Sessels Platz, der gegenüber stand.
»Du sprichst in Rätseln«, meinte sie. »Erklär es mir ... sag mir genau, was passiert ist.«
Heloise lachte leise.
»Das ist doch ganz einfach: Irgendwie muß ich es schaffen, einen gewissen Herrn dazu zu bringen, sich zu stellen. Und das war das einzige, was mir eingefallen ist, und was wenigstens noch ein bißchen originell war.«
»Oh, Heloise, wie aufregend! Und was glaubst du, was dieser Herr tun wird, wenn er herausfindet, daß du fort bist?«