Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
hat er von sich gegeben.
Er ist ein Ekel – denkt sie erbost und beginnt, sich umzukleiden.
Im weißen Kittel sieht sie noch bezaubernder aus als sonst. Das muß sogar Martens feststellen, obgleich ihn ihre Schönheit kalt läßt.
Sie wird eine Niete sein im Beruf, überlegt er. Schöne Frauen nehmen den Arztberuf bestimmt nicht ernst.
Und doch muß er sich eines anderen belehren lassen. Amelie steht bei der Operation neben ihm und errät seine Wünsche, noch ehe er sie ausgesprochen hat.
Es ist ein Zusammenarbeiten, als seien sie schon lange aufeinander eingespielt. Trotzdem lobt er sie nicht. Erst als der blonde Junge aus dem Operationssaal gefahren wird, wendet er sich an sie.
»Dieser Junge gehört zu deiner Station. Er bedarf ganz besonderer ärztlicher Betreuung. Das ist dir wohl klar.«
»Man hat mir in Peru ganz andere Fälle anvertraut«, gibt sie schnippisch zurück und geht in den Waschraum. Zögernd folgt er ihr. Innerlich muß er zugeben, daß sie ihre Sache sehr ordentlich gemacht hat.
Er stellt sich neben sie an das zweite Becken. »Vorläufig gibt es nichts zu operieren, und ich kann dich einführen.«
Sie antwortet nicht, sondern wäscht ihre Hände mit wahrer Hingabe, was ihn maßlos ärgert.
Er ist es gewohnt, daß man ihm sofort eine Antwort gibt. Zumindest vermißt er das übliche »Jawohl, Herr Professor!«
Er schluckt seinen Ärger hinunter und wirft ihr einen schiefen Blick zu. Amelie gibt sich ganz unbefangen, obgleich sie die Welle der Abwehr spurt.
Gleichzeitig mit ihm ist sie fertig.
»Können wir?«
»Bitte!«
Er läßt ihr den Vortritt, und Seite an Seite durchqueren sie die Flure, steigen Treppen empor, bis sie vor einer breiten Flügeltür angelangt sind, die zur Kinderstation führt.
Zunächst geleitet er sie in einen großen Saal.
Aus vielen Kehlen wird Martens stürmisch begrüßt:»Guten Morgen, Onkel Professor!«
»Morgen, Kinder«, erwidert er fröhlich. Amelie ist sprachlos. So hat sie ihn noch nie erlebt. Er geht von Bett zu Bett und macht seine Scherze mit den kleinen Patienten, während die Schwestern noch dabei sind, das Frühstück zu verteilen.
Amelie weicht nicht von seiner Seite, und er erklärt ihr jeden einzelnen Fall. Viele Augenpaare sind auf Amelie gerichtet, so daß Martens sich zu einer Erklärung herbeiläßt.
»Das ist eure neue Ärztin«, stellt er Amelie mit einer Handbewegung über den ganzen Raum hin vor. »Hoffentlich seid ihr zu ihr auch so nett wie zu mir.«
Daraufhin herrscht Schweigen. Amelie wird mißtrauisch gemustert.
»Nun, ihr Rasselbande?« fragt er.
»Kommst du gar nicht mehr zu uns, Onkel Professor?«
»Sicher«, bestätigt er. »Zur Visite komme ich zu euch, sonst wendet ihr euch an Frau Doktor. Verstanden?«
»Jawohl, Onkel Professor.«
Er winkt ihnen zu, faßt Amelie am Arm und schiebt sie vor sich her, der Tür zu.
Sie suchen die Einzelzimmer auf. Auch hier gibt er ihr Erklärungen, die sie eifrig notiert.
»Ich hoffe, daß du meine Anweisungen gewissenhaft befolgst«, sagt er, als sie den Flur entlanggehen.
»Dazu bin ich schließlich da«, antwortet sie bockig.
»Um zehn Uhr erwarte ich dich wieder im Operationssaal«, setzt er das Gespräch fort. Alles sagt er im Befehlston, gegen den Amelie sich innerlich auflehnt.
»Was ich noch sagen wollte«, fällt er in ihren Gedankengang ein. »Verwöhne die Kinder nicht zu sehr.«
»Aber freundlich darf ich doch wohl zu ihnen sein?« Ihre Stimme ist voll Hohn, und sie setzt noch wütend hinzu: »Du warst es doch eben auch.«
»Es sind Kinder.«
»Eben«, gibt sie aufsässig zurück und läßt ihn stehen, um sich ins Ärztezimmer zu begeben.
Verblüfft sieht er hinter ihr her, macht auf dem Absatz kehrt und sucht sein Privatzimmer auf. Er versucht, sich zu konzentrieren, aber es gelingt ihm nicht. Immer wieder taucht ein Paar unwahrscheinlich blauer klarer Augen vor ihm auf. Er sieht den spöttisch verzogenen Mund. Sie scheint nicht den geringsten Respekt vor ihm zu haben. Aber ehrlich, wie er ist, muß er zugeben: Sie kann etwas. Sie hat sich großartig während der schweren Operation bewährt.
Er ist ein Flegel – denkt Amelie wütend – und er hat nicht nur eins, sondern mehrere Gesichter. Welches wohl das echte sein mag?
Sie schüttelt den Gedanken an Martens ab und schlüpft in einen sauberen Kittel. Dr. Berthold steckt seinen Kopf zur Tür herein.
»Ah, die Frau Doktor.« Lächelnd kommt er näher und nimmt ihre Hand, die er kameradschaftlich drückt. »Ich hätte Sie schon längst begrüßt, aber der Alte – Verzeihung –«, verbesserte er sich rasch, »der Herr Professor hat uns in Atem gehalten. Haben Sie die Feuerprobe schon hinter sich?«
Bertholds Ton ist erfrischend.
»Wenn meine kleinen Handreichungen bei der Operation des kleinen Jürgen die Feuerprobe gewesen sein sollen, war sie nicht besonders schwer.« Sie seufzt. »Ich befürchte, daß er weitaus Schwereres mit mir vorhat.«
»Hm!« macht Berthold und sieht auf die Spitzen der Schuhe. »Glauben Sie, daß er uns etwas geschenkt hat?«
»Das glaube ich wirklich nicht«, beteuert sie mit Überzeugung.
»Immerhin – Sie sind eine Frau.«
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Das hat bei ihm gar nichts zu besagen. Im Gegenteil, er wird mich fester drannehmen als alle anderen.«
»Vielleicht.« Berthold zuckt die Achseln. »Bei ihm weiß man nie, woran man ist.«
Amelie wirft einen Blick auf die Uhr.
»Gleich zehn Uhr. Ich muß in den Operationssaal. Sie auch?«
»Heute nicht.«
»Dann bis nachher.« Sie lächelt ihm freundlich zu und geht.
Einen leichten Stand wird sie bei dem Alten bestimmt nicht haben, sinnt Dr. Berthold. Sie ist viel zu schön. Er wird sie auf Herz und Nieren prüfen. Arme Amelie!
Vier Stunden lang operiert der Professor pausenlos, und Amelie versieht gewissenhaft ihren Dienst. Sie verständigt sich mit ihrem Onkel nur durch Blicke.
Als endlich das erlösende »Fertig für heute« erklingt, da ist auch Amelie wie ausgepumpt.
Trotzdem gönnt sie sich noch keine Ruhe. Sie sucht das Zimmer des kleinen Jürgen Walther auf und findet Schwester Elsie vor, die sie bereits kennt.
»Wie geht es ihm?« flüstert sie der Schwester zu, die sich sofort erhebt und Amelie den Platz am Bett freimacht.
»Ich weiß nicht«, die Schwester blickt von dem weißen Gesicht in den Kissen auf die junge Ärztin. »Er gefällt mir nicht recht. Ob wir den Professor rufen sollen?«
»Tun Sie es«, bittet Amelie und faßt nach der Hand des hübschen blonden Jungen. Auf den ersten Blick hat sie ihn in ihr Herz geschlossen, schon als er noch auf dem Operationstisch lag. Der Puls geht unregelmäßig.
Noch keine fünf Minuten sind vergangen, als Martens kommt. Er prüft Jürgens Zustand und wendet sich dann an Amelie, die bei seinem Eintritt aufgestanden ist.
»Was würdest du tun?«
»Bluttransfusion«, antwortet sie ohne Zögern.
Er nickt anerkennend. »Dasselbe wollte ich vorschlagen.«
Er