Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
großer Geist,« verbesserte Natalia. »Von dem wird man in Rußland noch hören.«
»Er kann schrecklich sein.«
»Mit Sanftmut befreit man kein Volk. Wer dem Volke dienen will, darf vor nichts zurückschrecken; weder vor Leiden und Tod, noch vor Verbrechen.«
Wera dachte daran, daß auch sie vor nichts zurückscheuen wollte, daß auch sie ein Gelübde getan. Sie fragte Natalia, ob sie von Tania Nikolajewna gehört hätte.
»Nein. Wer ist das?«
»Wladimirs Verlobte.«
Natalia stieß einen leisen Schrei aus. Es war wie ein Krampf. Aber es ging schnell vorbei, sie erklärte es für einen Anfall ihres alten Leidens und fuhr sehr bald in ihrer Beschäftigung fort.
»Wo ist das Mädchen?«
»Sie kam mit uns.«
»Beschreibe sie mir. Sie muß sehr schön sein.«
»Sehr schön. Strahlende Augen, prächtiges Haar.«
»Goldblond, nicht wahr?«
»Goldblond. Woher weißt du das?«
»Ich denke es mir. Sie ist zart und sanft, mit einer leisen, lieblichen Stimme?«
»Ganz recht.«
»Und sie betet Wladimir an?«
»Sie betet Wladimir an; sie tut alles für ihn, alles, sogar ein Verbrechen, das aber für sie kein Verbrechen ist, da Wladimir Wassilitsch es befiehlt.«
»Ich möchte sie kennen lernen.«
»Sie wohnt mit mir in einer Kammer; nicht lange mehr, denn – –«
Und sie erzählte Natalia Arkadiewna den Vorgang vom Morgen, etwas verwirrt durch die leidenschaftliche Aufmerksamkeit, mit der ihre neue Freundin zuhörte.
»Wladimir Wassilitsch hat recht,« begann Natalia mit einer gewaltsamen Anstrengung zu sprechen. »Die Eheschließung vor dem Popen ist und bleibt eine konventionelle Sitte und jede konventionelle Sitte ist eine Tyrannei. Aber nun wird es Zeit, daß du zu Anna Pawlowna gehst. Diesen Nachmittag besuche ich dich und Tania Nikolajewna. Du kannst mich dann später begleiten und mir diese Bücher verteilen helfen.«
»Ich danke dir. Laß mich etwas tun.«
»Dazu wird genug Gelegenheit kommen.«
Wera ging, wurde aber von Natalia noch einmal zurückgerufen.
»Du wirst bei Anna Pawlowna ihren Vetter, Boris Alexeiwitsch, finden. Hüte dich vor ihm. Verderben und Fäulnis geht von ihm aus. Leute wie er sind Rußlands wahre ›toten Seelen‹, die über das Land den Geruch der Verwesung verbreiten. Wera Iwanowna, gelobe dir selbst, dir eher das Herz auszureißen, als es dir von einem dieser Würgegeister zermalmen zu lassen. Ich sehe dir an, du wirst den Kampf bestehen.«
Wera ging. Sie vernahm nicht mehr, mit welchem Jammer die junge Nihilistin den Namen Wladimir stöhnte; sie sah nicht mehr, wie die schwache Gestalt zusammenbrach und sich in wilden Krämpfen auf dem Boden wand.
Dreizehntes Kapitel
Anna Pawlowna befand sich in ihrem Kabinett. Die Fürstin Xenia Alexandrowna Danilowsky und Boris Alexeiwitsch waren bei ihr.
Das Kabinett war ein quadratischer, fensterloser Raum mit einer Kuppel aus geschliffenem Glase. Darunter hin lief ein Fries, von einem großen französischen Künstler gemalt. Es war darauf die Geburt der Venus dargestellt, wie die Göttin, aus dem Schaum einer Welle hervorleuchtend, mit einer Gebärde höchsten Entzückens beide Arme dem strahlenden Himmel entgegenstreckt und mit geöffneten Lippen die Sonnenstrahlen einzuschlürfen scheint, die aus einer purpurnen Wolke hervorbrechen.
Dann durchzieht die junge Herrscherin der Welt im Triumph die Meeresflut, welche den herrlichen Leib mit Rosen und Lilien umspült. Tritonen und Najaden tauchen aus der Tiefe und umschwimmen die Schöne. So gelangt Aphrodite nach Zypern, wo sie von blühenden Jünglingen und reizenden Jungfrauen empfangen wird, die beim Anblick der Göttin in Liebe zueinander entflammen. Sie bauen der hehren Himmlischen einen Tempel, in dessen Hallen der Priester die Paare vermählt. Zu dem Liebeshof der Venus gesellen sich alle Götter und Göttinnen, und Jupiter entdeckt eiligst eine einsame Schöne; so stehen Himmlische und Irdische unter dem Zepter der schaumgeborenen Frau, welcher der galante Franzose auf dem ersten Bilde die Züge Anna Pawlownas gegeben hatte.
Unter diesem Friese, den gekoppelte Bronzepilaster trugen, schimmerte an den Wänden silbergrauer Atlas in reichen Falten, über welche sich durch das gefärbte Glas der Kuppel ein matter, bläulicher Schein ergoß. Ringsum waren hinter einem vergoldeten Gitter exotische Pflanzen und blühende Frühlingsgewächse aufgestellt. Kamelien und Rosen, Narzissen und Hyazinthen drängten sich durch das strahlende Netzwerk.
Weiße Bärenfelle bedeckten den Boden, orientalische Stoffe die Ottomanen und Sessel, vor denen niedrige, mit Büchern und Quincaillerien beladene Tischchen standen. In der Mitte des Gemaches, auf einem Sockel aus blutrotem Jaspis, war die Bronzestatue eines nackten Knaben aufgestellt, der in seiner emporgehaltenen Rechten eine pompejanische Lampe hielt.
Unter dieser Bildsäule saß in einem Morgenkleid aus heliotropfarbener Seide Anna Pawlowna, anscheinend völlig in die Lektüre eines Flaubertschen Romans vertieft. Aber sie las nicht. Ihr Kopf mit dem farblosen Gesicht, von ihrem rötlichen unfrisierten Haar wie von Flammen umgeben, ruhte zurückgelehnt gegen den Purpur des Steins. Ihre meergrünen Augen starrten vor sich hin, mit demselben Ausdruck, den ihnen der Maler auf dem Bilde gegeben: Venus Anadyomene in die aufgehende Sonne schauend. Mit einem Seufzer schloß sie die Augen, und nun erschien das schöne Haupt leblos und starr auf dem blutroten Hintergrund.
Die Fürstin und Boris Alexeiwitsch befanden sich auf der anderen Seite der Bildsäule; die Dame ausgestreckt auf einem Diwan, der Kavalier hinter ihr auf einem Taburett. Das Promenadenkostüm der Fürstin war mit metallisch glänzendem Schmelzwerk bedeckt; das Neueste, was Paris für die Frühjahrssaison proklamiert hatte. Xenia Alexandrowna war lächerlich stark geschnürt, überreich gepudert und abscheulich frisiert, à l'enfant! Obgleich sie durchaus nicht mehr jung, ziemlich fett und fast häßlich war, besaß sie mehr Anbeter – besonders unter sehr jungen Männern – als Anna Pawlowna. Übrigens war sie gutmütig und ziemlich witzig. Ihr großes Vermögen, ihr uralter Name und ihre gänzliche Unabhängigkeit verschafften ihr in der Gesellschaft aller Länder eine sichere Position, trotzdem sie nicht aufhörte, sich stark zu kompromittieren. Sie benahm sich äußerst unvorsichtig und zeigte sich mit ihrer Gunst wie mit ihrem Gelde so freigebig, als es ihre jungen Freunde nur wünschen konnten. So hatte die böse Welt denn wohl nicht unrecht, wenn sie behauptete, daß Xenia Alexandrowna Romane lieber erlebe als lese. Ihren Aufenthalt wechselte sie wie ihre Neigungen. Sie reiste durch die halbe Welt und sie kannte alle Welt. Nach Paris ging sie der Toiletten und des »pschutt« wegen; nach England, um die Rennen zu sehen; nach Weimar, um Liszt anzubeten; nach Monaco, um zu spielen und nach Rom, um nachmittags auf dem Pincio Korso zu fahren. Sie hatte mit Gladstone gewettet, bei Sarah Bernhardt soupiert, an den Herzog Karl von Braunschweig zehntausend Franken verloren, war von Paul Heyse empfangen und von der Königin von Italien nach Turin eingeladen worden. Ihrer Autographensammlung wegen bildete sie sich ein, mit allen europäischen Berühmtheiten in Korrespondenz zu stehen. Natürlich war sie Wagnerianerin. In den letzten Jahren sprach sie viel von Schopenhauer, Proudhon und Bakunin und hatte sich auf Völkerpsychologie und Sozialismus geworfen. Gegenwärtig interessierte sie sich, obgleich sie nichts davon begriff, für den Nihilismus. Um Boris Alexeiwitsch willen, in den sie leidenschaftlich verliebt war, kam sie seit einigen Jahren regelmäßig im Frühling auf einige Monate nach Rußland. Übrigens verursachte Boris Alexeiwitsch ihr Kummer. Da er sich ihr gegenüber als völlig unzugänglich erwies, liebte sie es, ihn wie einen verwöhnten, trotzigen Knaben zu behandeln, wie einen ungezogenen Liebling der Grazien, dem man seinen Willen nicht lassen durfte. Wohl oder übel mußte